Kolonialgeschichte in Kamerun

Ein nötiges Zeichen der Demut

05:29 Minuten
Ein Mann auf Stelzen in zerrissener, blutiger Kleidung bewegt sich auf zwei Podeste zu, auf denen Menschen stehen. Rechts und links am stehen Menschen am Wegesrand und beobachten das Geschehen.
Das Goethe-Institut brachte Dutzende afrikanische Künstler, Performerinnen und Historiker zusammen - in privaten Kunstgalerien, einer Off-Bühne, einem Kino, dem örtlichen Goethe-Institut selbst und auf offener Straße, so wie hier. © Vladimir Balzer
Von Vladimir Balzer |
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Am Wochenende ging in Yaoundé die Kulturwoche „The Burden of Memory“ zu Ende − eine Initiative des Goethe-Instituts zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Kamerun. Die Bühne wurde den afrikanischen Akteuren überlassen.
In Kameruns Hauptstadt Yaoundé kommt man aus den Widersprüchen gar nicht mehr raus. Da ist doch tatsächlich eine der wichtigsten Straßen der Innenstadt nach dem deutschen Kolonialherren Gustav Nachtigal benannt. Ausgerechnet diese Straße führt zum Unabhängigkeitsplatz, der das Ende der Kolonialzeit zelebriert.
Hier waren die Deutschen, später die Franzosen und die Briten. Die Deutschen beginnen endlich mit ihrer Aufarbeitung und schicken die Kunst vor. Das Goethe-Institut bringt hier Dutzende afrikanische Künstler, Performerinnen und Historiker zusammen - in privaten Kunstgalerien, einer Off-Bühne, einem Kino, auf offener Straße und dem örtlichen Goethe-Institut selbst, das Fabian Mühlthaler leitet:
"Kamerun ist eine deutsche Gründung. Ohne deutsche Kolonialpolitik gäbe es dieses Land nicht. Und das spielt natürlich bei dem Prozess des Nation Building und den Prozessen der Staatswerdung eine unheimlich große Rolle. Allerdings wird diese Vergangenheit im täglichen Bewusstsein als eine Gegebenheit hingenommen, man setzt sich nicht wirklich mit ihr auseinander."

"Deutschlandbild in Kamerun erschreckend positiv"

Dementsprechend scheint das Deutschlandbild für die meisten Kameruner ungetrübt zu sein. Sein Institut ist überaus beliebt, viele junge Leute wollen nach Deutschland zum Studium. Wie man hier in Kamerun auf Deutschland schaut, irritiert sogar den Institutsleiter: "In erschreckender Weise positiv. Deutsche, Deutschland, die Deutschen haben ein sehr positives Image."
Diese Kulturwoche bringt Künstlerinnen und Künstler aus Afrika zusammen, von denen sich die meisten vorher noch nie gesehen haben. Eine Möglichkeit der Vernetzung, die auch der Kameruner Künstler Jean David Nkot nutzt. Er beklagt allerdings, dass sich gerade seine jüngeren Landsleute Informationen über ihre koloniale Vergangenheit aus dem Ausland holen müssen. In Kamerun werde das Thema verschwiegen:
"Unsere gesamte Kolonialgeschichte wird verdrängt und in den Schulen nicht gelehrt. Das betrifft nicht nur die Deutschen, das betrifft auch die Franzosen und Briten. Und das kommt daher, dass die meisten Kameruner Politiker, die damals mit den Kolonialherren paktiert haben, noch am Leben sind und Einfluss ausüben."

"Eine Art Nostalgie gegenüber den Deutschen"

Während die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia seit einigen Jahren ernsthaft aufgearbeitet wird, ist Kamerun noch ganz am Anfang. Die Deutschen bauten hier zwar ein brutales Unterdrückungsregime auf, aber sie führten in Kamerun keinen systematischen Vernichtungskrieg wie in Namibia. Sie schafften es hier, die einzelnen Völkergruppen – insgesamt 250 – gegeneinander auszuspielen und sie so zu schwächen. Die Kolonialherren bauten Straßen und Schienenwege, sie investierten.
Eine der Kuratorinnen ist Marylin Douala Manga Bell, Nachkommin des berühmten Widerständlers Rudolf Manga Bell, der von den Deutschen gehängt wurde: "Es gibt sogar eine Art Nostalgie gegenüber den Deutschen. Sie waren zwar rücksichtlos, aber sie stellten klare Regeln auf - im Gegensatz zu den Franzosen, bei denen herrschte Unordnung."
Der Erste Weltkrieg beendete die deutsche Kolonialzeit in Kamerun. Es brauchte hundert Jahre, um die Aufarbeitung dieser Geschichte zumindest zu beginnen. Das Ambivalente daran: Die Deutschen selbst beginnen damit, indem sie vor Ort afrikanischen Akteuren die Bühne bieten. "Mit diesem Widerspruch müssen wir leben", heißt es von den afrikanischen Kuratorinnen. Bei einer der zahlreichen Diskussionsrunden bringt die namibische Künstlerin Trixie Munyama die verspätete Aufarbeitung auf den Punkt:
"Unsere Vorfahren weinen noch, aber trauern ist dennoch bis heute schwer. Auch unsere Generation hat kaum Möglichkeiten zu trauern. Wir hatten keinen Raum, um das Trauma zu heilen. Das geht nicht mit einer Generation vorbei. Wir spüren es allein schon, weil uns unser Land vorenthalten wurde, weil uns Wohlstand vorenthalten wurde."

Es geht auch um Rückeroberung

Künstlerinnen kämpfen mit ihrer Herkunft, mit ihrer Identität, mit den zerstörten Familiengeschichten. Sie suchen nach Wurzeln, führen Trauerrituale auf, gedenken der Opfer. Die einzelnen Tage hier hatten Überschriften wie Last, Trauer, Erinnerung, Widerstand, Neuerfindung und Rückeroberung - das meint auch Kunstwerke, die aus Kamerun verschleppt wurden.
Doch genaue Zahlen gibt es dazu bisher nicht, aber dafür einzelne Objekte, etwa eine Statue, die vom Volk der Nso angebetet wurde und für die Deutschen nur ein exotisches Artefakt war. Die Filmemacherin Sylvie Nojobati, die zu diesem Volk gehört, macht klar: Im Depot des Ethnologischen Museums in Berlin ist es am falschen Ort, sogar wenn es legal dahin gekommen sein sollte: "Das ist kein Kunstwerk. Es ist unsere Identität. Das sind wir."
Eine Woche voller Begegnungen geht in Yaoundé in Kamerun zu Ende. Eine Woche, bei der auffiel, dass das organisierende Goethe-Institut in einer Art souveränen Bescheidenheit einen Schritt zurückgetreten ist und den afrikanischen Akteuren die Bühne überlassen hat. Der richtige Anfang für eine gemeinsame Aufarbeitung. Und ein nötiges Zeichen der Demut.
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