"Kolonialismus ist eine Struktur, die bis heute reicht"
Der Umgang mit ethnologischen Objekten aus dem 19. Jahrhundert in den Museumssammlungen zählte zu den zentralen kulturpolitischen Debatten 2017. Experte Nikolaus Bernau fasst die Diskussionen und Problemstellungen im Gespräch zusammen.
Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe Deutschlands? Wie umgehen mit Exponaten aus dem 19. Jahrhundert in den ethnologischen Museen? Diese kulturpolitischen Fragen wurden 2017 besonders engagiert diskutiert, sagte Experte Nikolaus Bernau im Deutschlandfunk Kultur. Jede Institution mit entsprechenden Sammlungen sei von dieser Diskussion betroffen – auch wenn die Debatte schon seit geraumer Zeit geführt werde. Dies bislang aber vor allem intern, unter Spezialisten und Experten.
"Das hat sich jetzt diesen Sommer sehr geändert. Dann ist die deutsch-französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit einem Riesen-Aplomb zurückgetreten aus dem Beirat des Humboldt-Forums."
Zu wenig Herkunftsforschung?
Es gebe zu wenig Provenienzforschung und zu wenig Ideen dafür, wie man die Geschichte der Exponate transparent vermitteln könne, begründete Savoy diesen Schritt. Doch Herkunftsforschung, unterstrich Bernau, sei ganz im Gegenteil "ein ganz zentraler Teil" der Arbeit in den Museen, die bislang allerdings vor allem intern beachtet wurde.
"Für die Museumsleute ist es eine neue Erfahrung und Entwicklung, weil die Idee, dass man den politischen und kulturellen Hintergrund jedes Objekts im Museum zeigt, sehr neu ist. Bislang habe man sich in Museen darauf konzentriert, die Objekte zu zeigen und nicht unbedingt deren Geschichte im Einzelnen." Der Kontext der einzelnen Objekte rücke demgegenüber jetzt in den Vordergrund.
Größte Teil der Exponate "völlig legal hier"
Außerdem unterstrich Bernau:
"Der allergrößte Teil der Objekte in den Museen ist völlig legal hier – und zwar legal aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts und legal aus der heutigen Perspektive. Es ist einfach Handelsgut gewesen." Dies betreffe "zwischen 98 und 99 Prozent" der Objekte.
Was illegale Faktoren betrifft, "verändern sich die Maßstäbe teilweise heftig", sagte Bernau weiter.
Doch die Museen lernen seit geraumer Zeit dazu, könnten allerdings auch nicht "schnell umschwingen. Es dreht sich auch natürlich immer um die Frage gesellschaftlichen Eigentums. Das sind Werte, die in irgendeiner Form vorhanden sind. Die auch einen kommerziellen Wert darstellen, die kann man auch nicht einfach so mal abgeben, in dem Sinne. Sondern das muss auch legitimiert werden. Das ist in Deutschland sogar vergleichsweise einfach, weil viele dieser Institutionen sind eigenständige Bürokratien innerhalb der Kulturverwaltung. Das heißt, wenn die Parlamente sagen: ‚Jetzt macht mal!‘, dann geht das. Das ist in anderen Ländern viel, viel komplizierter."
Inhaltlicher oder symbolischer Wandel?
Die Debatte werde an allen in Frage kommenden Stellen in Deutschland geführt. Fragen der Rückgabe – ausgenommen menschliche Überreste, da sei die Sachlage eindeutig – stünden dabei allerdings eher im Hintergrund. Meist gehe es um Fragen der Präsentation und der Einbindung der Kulturen und Erben deren Objekte gezeigt werden.
Aber auch um Begriffe werde diskutiert. Etwa in Hamburg, wo es um die Frage geht, ob man das Museum für Völkerkunde umbenennen solle, "um aus dieser Kolonialschiene rauszukommen", so Bernau. Doch "bevor man diese Begriffe aufgibt, sollte man erstmal wissen, was man an deren Stelle setzt", sagte Bernau. "Und: Ist es ein inhaltlicher Wandel oder nur ein symbolischer Wandel?"
Eine Struktur, die bis heute reicht
Verdeutlichen bei der Debatte über solche Fragen müsse man sich auch die historische Dimension, so Bernau. Der deutsche Kolonialismus ende nicht mit dem Verlust der Kolonien im Jahr 1918.
"Kolonialismus ist eine Struktur, die bis heute reicht und bis heute das Wirtschaftsleben, das kulturelle Leben, den Austausch zwischen den Völkern bestimmt wie kaum eine andere soziale und kulturelle und politische Entwicklung der letzten 500 Jahre."