Sprecherinnen und Sprecher: Tonio Arango, Robert Frank, Inka Löwendorf, Michael Rotschopf
Regie: Stefanie Lazai
Ton: Thomas Monnerjahn
Redaktion: Dorothea Westphal
Blick in das Getriebe einer dysfunktionalen Gesellschaft
29:39 Minuten
Kolumbien - Hochburg der Schmuggler, der Drogenbarone und der Kokainkriege. Kolumbianische Autorinnen und Autoren haben die Gewaltexzesse geschildert, eine neue Generation aber schürft nun tiefer und blickt in das Getriebe einer dysfunktionalen Gesellschaft.
In dem Roman "Rosario Tijeras" von Jorge Franco Ramos heißt es: "'Ich habe lange darüber nachgedacht, was Rosario eigentlich damit beabsichtigte. Ich fragte mich, weshalb zum Teufel sie Emilio mit mir untreu sein wollte, wenn sie es schon mit den Oberharten war und darüber hinaus wusste, dass Emilios Reaktion über einen bloßen Wutanfall nicht hinausgehen würde, der sich mit ein paar Gramm Koks wieder legte. Nachdem ich in alle Richtungen Mutmaßungen angestellte hatte, geschah das Schlimmste von allem: Ich gab mich Illusionen hin.'"
Die Harten der Harten
"Rosario Tijeras" ist ein Coming-of-Age-Roman und eine Dreiecksgeschichte über ein schönes, geheimnisvolles Mädchen und zwei junge Männer. Antonio, der Erzähler, himmelt Rosario an und fügt sich, um ihr nah sein zu können, in die Rolle des Vertrauten - soweit es in der Welt, in der sie leben, überhaupt so etwas wie Vertrauen geben kann. Emilio wäre gerne mehr als ihr Liebhaber und ist nicht einmal das exklusiv, denn da sind noch die Oberharten, wie Antonio sie in einer Mischung aus Furcht und Ehrfurcht nennt.
In "Rosario Tijeras" heißt es:
"Die, von denen sie alles bekam, die die Kohle bereitstellten, weshalb sie sich den Luxus erlauben konnten, uneingeschränkt über Rosario zu verfügen."
"Die, von denen sie alles bekam, die die Kohle bereitstellten, weshalb sie sich den Luxus erlauben konnten, uneingeschränkt über Rosario zu verfügen."
Der Autor Jorge Franco Ramos erzählt: "Bei den Harten der Harten hatte ich den Klan der Ochoas im Sinn und natürlich Pablo Escobar. Das waren die Köpfe des Drogenhandels in Kolumbien, wobei wir nie wussten und bis heute nicht wissen, wer über ihnen war, irgendwo in den USA oder in Europa. Da muss es jemanden gegeben haben, bei dem vielen Geld, das im Spiel war."
Jorge Franco Ramos sitzt in seinem Büro im elften Stock eines Hochhauses, das förmlich an einem Hügel im Norden von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá klebt: ein drahtiger Mann, mit schwarzen, an den Schläfen grau melierten Haaren. Von seinem Schreibtisch aus genießt er einen fantastischen Blick auf die Hochhausschluchten der Metropole, in der er seit zweieinhalb Dekaden lebt, die in seinem Werk aber keine Rolle spielt. Bis auf eine Ausnahme spielen alle seine bislherigen Bücher in Medellín, der Stadt, in der Jorge Franco Ramos 1962 geboren wurde.
Die Phase der Gewalt
"Medellín ist immer eine Handelsstadt gewesen", sagt er: "fortschrittlich und wohlhabend. Deshalb war die Stadt immer attraktiv für Leute vom Land, besonders aber in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, in einer Zeit, die wir in Kolumbien La Violencia nennen, eine Phase politischer Gewalt."
Ausgelöst wurde die Gewalt durch den Mord an dem linken Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán im Jahr 1948. In der Folge bekämpften sich Anhänger der konservativen Partei und die von Gaitáns Partido Liberal bis aufs Blut. Diese Auseinandersetzungen zerstörten die Lebensgrundlagen vieler Menschen auf dem Land, die vor den Kämpfen fliehen mussten. Auch die marxistische Guerilla der FARC ist dadurch entstanden.
Ramos erzählt: "Damals flohen viele Menschen in die Städte und mussten dort unter ungünstigen Bedingungen leben. Medellín liegt in einem Tal, die Reichen leben traditionell unten. Also fingen die Flüchtlinge an, die Hänge zu besiedeln. In diesen Siedlungen, den "comunas", gab es nichts, keine Schulen, keine Straßen oder Wege, keine öffentlichen Dienstleistungen. Als dann in den 70er- und 80er-Jahren das Medellín-Kartell entstand, brauchten die Drogenbarone einen bewaffneten Arm für Kämpfe gegen andere Kartelle, gegen die Guerilla, später gegen den Staat. Die Leute dafür haben sie in den comunas rekrutiert. Das waren die sicarios, die Auftragsmörder."
Eine aus den Fugen geratene Welt
Rosario Tijeras kommt aus einer dieser "comunas". Sie ist bei ihrer Mutter aufgewachsen, - vom Vater erfahren wir nichts - und als Jugendliche vergewaltigt worden. Dem Täter hat sie als Vergeltung den Penis abgeschnitten. Daher der Nachname, den sie angenommen hat: "tijera" heißt auf Deutsch Schere. Rosario ist Drogenkonsumentin, Geliebte der Bosse - und eine sicaria. Ihren Opfern haucht sie einen Kuss auf den Mund, bevor sie deren Leben auslöscht.
Es ist eine aus den Fugen geratene Welt, in die Jorge Franco Ramos uns entführt. Gewalt ist allgegenwärtig, anders als viele kolumbianische Autoren der letzten Jahrzehnte verzichtet er aber darauf, sie mit morbider Lust zu schildern. Gewalt ist bei ihm nur die Folie, auf der sich die Handlung entfaltet, wie etwas, das immer da ist und deshalb keine große Aufregung wert ist. Damit ist "Rosario Tijeras", erschienen bereits 1999, Vorreiter einer neuen Entwicklung in der kolumbianischen Literatur. Autoren wie er, aber auch Evelio Rosero oder Juan Gabriel Vásquez richten den Blick nicht nur in die Abgründe des Landes, sondern in das Getriebe einer Gesellschaft, die sich über weite Teile des 20. Jahrhunderts als dysfunktional erwiesen hat.
Das Jahrzehnt des Drogenkriegs
In dem Roman "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" heißt es:
"'Wo waren Sie, als Lara Bonilla erschossen wurde?' fragt die zurückgezogen lebende Maya Fritts ihren Besucher, den Juradozenten Antonio Yamarra. Typisch für unsere Generation, die heute 40- bis 50-Jährigen, denkt sich dieser.
'Wir fragen einander, wie unser Leben im Augenblick dieser Anschläge aussah, die sich fast alle in den achtziger Jahren ereigneten und es definierten oder in andere Bahnen lenkten, ohne dass wir überhaupt merkten, was da mit uns geschah. Dadurch, scheint mir, wollen wir uns vergewissern, dass wir nicht alleine sind, wollen es erträglicher machen, dass wir während dieses Jahrzehnts erwachsen wurden, wollen das Gefühl der Verwundbarkeit dämpfen, das uns seitdem begleitet.'"
"'Wo waren Sie, als Lara Bonilla erschossen wurde?' fragt die zurückgezogen lebende Maya Fritts ihren Besucher, den Juradozenten Antonio Yamarra. Typisch für unsere Generation, die heute 40- bis 50-Jährigen, denkt sich dieser.
'Wir fragen einander, wie unser Leben im Augenblick dieser Anschläge aussah, die sich fast alle in den achtziger Jahren ereigneten und es definierten oder in andere Bahnen lenkten, ohne dass wir überhaupt merkten, was da mit uns geschah. Dadurch, scheint mir, wollen wir uns vergewissern, dass wir nicht alleine sind, wollen es erträglicher machen, dass wir während dieses Jahrzehnts erwachsen wurden, wollen das Gefühl der Verwundbarkeit dämpfen, das uns seitdem begleitet.'"
Auch Gabriel Vásquez befasst sich in seinem Roman "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" mit den 80er Jahren, dem Jahrzehnt des Drogenkriegs.
Damals drängten die Mafiabosse ins Zentrum der kolumbianischen Gesellschaft, Pablo Escobar saß sogar ein Jahr lang im Parlament. Als ihm der Status als Abgeordneter auf Betreiben von Justizminister Lara Bonilla entzogen wird, ist dies der Auftakt zu einer beispiellosen Welle der Gewalt.
Als Treffpunkt hat Juan Gabriel Vásquez das Café La Manzana in Bogotás Altstadtviertel La Candelaria vorgeschlagen. Er erscheint ganz in schwarz, in Stiefeln, Jeans, langärmligem Hemd und einem leichten Regenmantel. Kolumbiens Hauptstadt liegt auf 2.600 Höhenmetern und das Wetter schlägt jeden Tag Kapriolen: Auf einen sonnigen Morgen bei strahlend blauem Himmel folgt oft ein wolkiger Vor- und ein kühler, verregneter Nachmittag. Oder umgekehrt. Vásquez ist Jahrgang 1973. Die Zeit des Drogenkriegs hat er als Jugendlicher erlebt.
Was ist damals mit uns passiert?
"Das Geräusch der Dinge beim Fallen" ist sein persönlichster Roman. Für das Buch, es ist Ende 2014 in deutscher Übersetzung erschienen, wurde Vázquez mit dem renommierten spanischen Literaturpreis Premio Alfaguara de novela ausgezeichnet.
Gabriel Vásquez erzählt: "Ich habe dieses Buch geschrieben, weil über die Jahre des Narco-Terrorismus, über Pablo Escobars Krieg gegen den kolumbianischen Staat, zwar viel veröffentlicht wurde, aber nur auf Basis dessen, was der Öffentlichkeit bekannt ist. In Büchern und Reportagen finden wir Bilder der ermordeten Politiker, der ermordeten Richter, der von Bomben zerstörten Gebäude. Aber niemand hat sich damit befasst, was jene Jahre im Privatleben der Menschen angerichtet haben. Aus dieser Erkenntnis ist eine Obsession geworden. Ich wollte herausfinden, was damals mit uns passiert ist, moralisch und emotional, welche Spuren diese Zeit hinterlassen hat."
Privatzoo von Pablo Escobar
Der Roman spielt in Bogotá. In einer Stadt im ständigen Werden und Vergehen, wie Ich-Erzähler Antonio Yammara sinniert, in einer Stadt, in der man die Augen nicht zu lange schließen sollte, sonst wacht man womöglich in einer anderen Welt auf. Das Bild eines toten Nilpferds, das in der Provinz Magdalena Medio von Scharfschützen erlegt wurde, versetzt ihn zurück in die 90er Jahre. Das Tier war von der Hacienda Nápoles entflohen, dem ehemaligen Landsitz von Pablo Escobar. Dort hatte sich der Drogenboss neben einer Autorennstrecke auch einen Privatzoo gehalten.
Vásquez erinnert sich: "Im Jahr 2009, in dem der Roman beginnt, bin ich tatsächlich beim Blättern in einer Illustrierten über ein Bild des Nilpferdes gestolpert, mit dem der Roman beginnt. Das hat mich an meinen Besuch in Pablo Escobars Zoo erinnert. Ich war damals zwölf und in den Ferien zu Besuch bei Freunden im Tal des Río Magdalena, in der Nähe eine Dorfes names La Dorada. Jemand hatte vorgeschlagen, den Zoo auf der Hacienda Nápoles zu besuchen, der war ja öffentlich zugänglich, bei freiem Eintritt, und damals eine touristische Attraktion. Total verrückt."
Das Geheimnis des Piloten
Ein Streifzug durch La Candelaria, dem Viertel, in dem "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" beginnt: Vorbei an alten Kolonialbauten, an denen der Putz blättert und die kunstvoll gedrechselten Holzbalkone längst wurmstichig sind. Auf den Straßen verkaufen fliegende Händler Raubkopien, Sonnenbrillen, Uhren, CDs, auch Bücher. Vor dem Café de Película bleibt Juan Gabriel Vásquez stehen. Hier hat er als Jurastudent Vorlesungen und Seminare geschwänzt. Neben dem Café ein Treppenaufgang zum Billares Aventino.
Ein Billardsalon, wie er typisch ist für Bogotá. Im ersten Stock wird das Queue geschwungen, im zweiten Schach gespielt, im dritten befindet sich die Bar. Dort gibt es Kaffee, Wasser, Bier und Aguardiente, billigen Schnaps. Die Besucher sind ausnahmslos männlich - und wortkarg.
In einem Billardsalon wie diesem lernt Antonio Yamarra aus dem Roman von Juan Gabriel Vásquez Mitte der 90er Jahre Ricardo Valverde kennen. Valverde war Pilot, hat lange im Gefängnis gesessen und erwartet zu Weihnachten Besuch von seiner Frau, einer US-Amerikanerin, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Das ist alles, was Yammara erfährt. Aber er spürt, dass diesen gut 20 Jahren älteren Mann etwas Mysteriöses umgibt. Eines Abends wird Laverde auf offener Straße erschossen. Yammara ist Zeuge des Attentats, ein Querschläger verwundet ihn. Nach seiner Genesung macht er sich auf, das Geheimnis des Piloten zu ergründen und besucht dazu dessen Tochter Maya Fritts, über die es im Roman heißt: "Sie hatte die hellgrünsten Augen, die ich je gesehen hatte, und in ihrem Gesicht traf eine Mädchenhaut auf den Ausdruck einer reifen, leicht verstörten Frau. Ihr Gesicht war wie ein Fest, das alle Gäste verlassen hatten".
Die Rolle des Friedenskorps
Antonio Yammara und Maya Fritts sind Geschwister im Geiste. Beide sind im Grunde ihres Herzens einsam, er inmitten der Großstadt, sie zurückgezogen auf dem Land lebend. Sie klammern sich aneinander, besuchen die Hacienda Nápoles und erforschen in tagelangen Gesprächen die Wunden, die der Narco-Terrorismus ihnen geschlagen hat. Die tiefere Qualität des Romans aber ist eine historische: Er beleuchtet die Rolle, die Mitglieder des Friedenskorps, einer US-amerikanischen Hilfsorganisation, in der Anfangszeit des Drogenschmuggels gespielt haben.
Valverde nämlich, und das ist sein Geheimnis, hat Marihuana in die USA geflogen. Sein Kompagnon Mike, ein Hippie, war mit den Friedenskorps ins Land gekommen. Als die beiden ins weitaus lukrativere Kokaingeschäft einsteigen, kommen sie den Drogenbaronen in die Quere: Laverde wird verraten und nach der Landung in den USA verhaftet, Mike wird erschossen.
Vásquez erzählt: "In der offiziellen Geschichte des Drogenschmuggels kommt dieser Aspekt nicht vor. Vielleicht weil die Friedenscorps eine angesehene Organisation sind und man sie nicht in den Schmutz ziehen will, nur weil ein paar ihrer Mitglieder zur richtigen Zeit aus der gestiegenen Nachfrage nach kolumbianischem Marihuana in den USA Vorteile gezogen haben. Bei meinen Recherchen habe ich nur wenige Hinweise darauf in öffentlich zugänglichen Dokumenten gefunden. Im Grunde ist das ein offenes Geheimnis. Und damit sind bei meinem Roman. In meinen Augen funktioniert er dann am besten, wenn er uns nicht das erzählt, was wir eh schon wissen, sondern Winkel der Realität ausleuchtet, zu denen mit anderen Mitteln kein Zugang besteht."
Wer sie sind, wissen wir nicht
Wo "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" endet, bei der Erkenntnis nämlich, dass es letztlich die Liebe ist oder zumindest die Zweisamkeit, die unserem Leben Halt gibt, da fängt "Zwischen den Fronten" von Evelio Rosero an. Ismael Pastos ist pensionierter Lehrer in San José, einem kleinen Bergdorf. Ein Tagträumer, der sich mit seiner Frau Otilia nichts mehr zu sagen hat und die schöne Nachbarin Geraldina anschmachtet, wenn sie sich nackt in ihrem Garten räkelt. Bis der Brasilianer entführt wird, Geraldinas Mann. Völlig aufgelöst, erzählt sie Ismael, was geschehen ist.
"Um Mitternacht war er plötzlich da, mit ein paar Männern, und hat die Kinder mitgenommen, ohne ein Wort zu mir zu sagen, wie ein Toter. Die anderen Männer hatten die Waffen auf ihn gerichtet; bestimmt haben sie ihm verboten, mit mir zu sprechen, nicht wahr? Deswegen konnte er nichts zu mir sagen. Ich will nicht glauben, dass er aus purer Feigheit nicht gesprochen hat. Er hat die Kinder an die Hand genommen. 'Los jetzt', hat er zu ihnen gesagt: 'Wir gehen nur spazieren.' Das hat er zu ihnen gesagt, und zu mir kein einziges Wort, als wäre ich nicht die Mutter. Sie sind fortgegangen und haben mich zurückgelassen, ich soll mich ums Lösegeld kümmern."
(aus "Zwischen den Fronten")
Wer sie sind, wissen wir nicht. Und wir werden es im Verlauf des Romans auch nicht erfahren. Nur so viel ist klar: In den Bergen um San José bekriegen sich die Rebellenarmee der FARC und paramiltärische Verbände. Das spiegelt die Realität in abgelegenen Gebieten. Die FARC sind politisch gescheitert und militärisch besiegt. Doch einzelne Verbände harren aus, weil sie nach der Zerschlagung der Drogenkartelle Teile des Geschäfts übernommen haben, ebenso wie ihre Gegenspieler, die Paramilitärs.
Nach der Entführung des Brasilianers rücken sie im Dorf ein, verfolgt von jenen. Oder umgekehrt. Damit beschreibt Rosero die Essenz des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien. Bei ihm gibt es kein Gut und kein Böse, nicht einmal etwas, das - durch die Brille der Ideologie betrachtet - Gut oder Böse erscheint. Hier ist der bewaffnete Konflikt auf die reine Gewalt reduziert. Die staatlichen Institutionen haben abgedankt, auch die spirituellen.
"Mir ging es darum, einen bestimmten Teil unserer Realität darzustellen, und zwar die Hilflosigkeit der Zivilisten im Kreuzfeuer von Armeen, die manchmal gemeinsame Sache machen, wie das kolumbianische Heer mit den Paramilitärs. Das haben ja die vielen Massaker gezeigt. All das wollte ich darstellen, am Leben des Lehrers Ismael", sagt Evelio Rosero.
Evelio Rosero, Jahrgang 1958. "Zwischen den Fronten" ist sein zwölfter Roman, der zweite, der in deutscher Übersetzung vorliegt. Wie ein Zombie taumelt Ismael durch eine Welt, die sich mehr und mehr auflöst. Er sucht Otilia, die in den Wirren spurlos verschwunden ist und nicht mehr auftauchen wird.
Auf seiner Suche begegnet er verschiedenen Menschen. Die einen wollen bleiben und werden am Ende des Romans tot sein. Die anderen haben sich zur Flucht entschlossen - vielleicht kommen sie durch, wenn sie unterwegs ihnen und jenen entgehen. Meisterhaft und fesselnd schildert Rosero den Zusammenbruch jeglicher Ordnung, jeglicher Struktur, die totale Desintegration.
Und doch gibt es Hoffnung, denn über diese Gewalt, die Ismael nicht begreift, nicht begreifen kann, weil sie vollkommen sinnlos ist, hat er den Verstand verloren. Und damit auch sie und jene die Macht über ihn. Sie oder jene mögen ihn töten, aber ängstigen kann ihn das nicht mehr.
Am Ende wird der Narr zum Weisen
Ein Hauch von Don Quijote weht durch die letzten Seiten von Evelio Roseros "Zwischen den Fronten": Der Narr ist am Ende zum Weisen geworden.
Es ist die Crux Kolumbiens, dass sich die Gewalt, von der das Land immer wieder heimgesucht wird, aus sich selbst speist, sich quasi recycelt. Aber dahinter, sagt Jorge Franco Ramon, verbirgt sich eine Lebenswirklichkeit. Und die wollte er mit "Rosario Tijeras" beleuchten:
"Indem der Roman vordergründig eine Liebesgeschichte erzählt, öffnet er den Blick auf die große kolumbianische Lebenslüge. In diesem Land gibt es große Klassenunterschiede. Und hier ist eine Frau vom Rand der Gesellschaft mit zwei Typen aus der Oberschicht. Das ist die typische Konstellation in unseren Telenovelas. Und die Telenovela ist Ausdruck unserer Kultur, sie fesselt sehr, sehr viele Menschen. Abends hängt das ganze Land vor dem Fernseher und guckt sich an, wie sich Menschen aus unterschiedlichen Klassen ineinander verlieben. Im wirklichen Leben gibt es das nicht, also gaukelt man es den Leuten in der Fiktion vor."
In "Rosario Tijeras" ist diese Begegnung eingebettet in einen historischen Kontext: Im Medellín der 80er Jahre sind nicht nur die Drogenbosse unvorstellbar reich geworden, auch der Jugend in den "comunas", den Armenvierteln, hat der Drogenschmuggel Geld in die Taschen gespült. Doch Geld ändert nichts daran, dass es in einer Klassengesellschaft wie der kolumbianischen keinen sozialen Aufstieg gibt.
Auch in seinem Roman "El mundo de afuera" lässt Ramon zwei Welten aufeinander prallen, die des alten Geldadels in Medellín und die der Marginalisierten. Die Handlung spielt Anfang der 70er Jahre, in einer Gesellschaft, die noch nicht vom Drogenhandel korrumpiert ist. Aber aus "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" wissen wir, dass die Saat längst gelegt war. Die Auseinandersetzung mit den Drogenschmugglern wird auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda bleiben. Und damit eine Thema fürs die kolumbianischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Eine Wiederholung vom 11. September 2015.