Friedlicher Kampf gegen Drogenbanden
Bis April war das Leben in Puente Nayera, einem Stadtteil des kolumbianischen Buenaventura, lebensgefährlich: Drogenbanden töteten jeden, der sich gegen sie auflehnte. Dann errichteten Einwohner erfolgreich eine humanitäre Zone. Mit der Hilfe eines Bischofs.
Der Frieden ist nach Puente Nayera zurückgekehrt. Drei Frauen sitzen an einem Tisch und spielen Würfeln, ein paar Fischer laden ihren Fang aus, ein Jugendlicher übt auf seinem Xylofon. Auch Mercy Caisero verkauft jetzt wieder ihre gebratenen Würste mit Kartoffeln. Daran war bis vor Kurzem nicht zu denken. Über ein Jahr lang kontrollierten kriminelle Banden das Viertel in der kolumbianischen Hafenstadt Buenaventura. Bis Anfang April war jeder Schritt lebensgefährlich.
"Man konnte nicht einmal bis ans Meer gehen. Sie waren bewaffnet und hatten die Straßen besetzt. So schüchterten sie von den Kindern bis zu den Alten alle ein. Niemand ging mehr raus. Jetzt ist es ruhiger und das Schlachthaus wurde abgerissen."
Jeder wusste vom Schlachthaus. Jener Hütte, in der die Killer Menschen bei lebendigem Leib zerstückelten. Wer kein Schutzgeld zahlte oder sich gegen die Kriminellen stellte, endete dort. Heute erinnert nur noch eine Lücke zwischen den Holzhäusern an diesen grausamen Ort. Gleich nebenan lebt Orlando Castillo. Der junge Mann erinnert sich noch genau daran, wie er nachts die Schreie hörte. Doch seit sich Bischof Hector Epalza Quintero für das Viertel einsetzt, hat das Morden ein Ende.
"Mit der Hilfe von Monseñor Hector Epalza erklärten wir den Stadtteil im April offiziell zur humanitären Zone. So entstand internationaler Druck und die Verbrecher mussten Puente Nayera verlassen."
"Die Angst hat die Menschen fest im Griff"
Einige der Kriminellen wurden von der Polizei verhaftet, manche zogen sich in andere Viertel zurück. Keine der Banden sollte mehr nach Puente Nayera kommen. Die Bewohner bauten Zäune und ein Tor. Wer eine Waffe trägt, muss den Ort verlassen. So sieht es das Konzept der humanitären Zonen vor, das von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission unterstützt wird. Ohne Bischof Epalza wäre das alles nicht möglich gewesen, meint Pfarrer John Reyna:
"In Buenaventura hat die Angst die Menschen fest im Griff. Alle fürchten sich davor, jemanden anzuzeigen oder auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Wenn ein sozialer Aktivist seine Stimme erhebt, wird er bedroht, muss die Stadt verlassen oder stirbt. Doch der Bischof setzte ein Zeichen, indem er als erster das Wort ergriff. Nun folgen ihm die anderen. Die Kirche kann sich Gehör verschaffen. Sie wird respektiert."
Der 19. Februar dieses Jahres: Angeführt von Bischof Epalza ziehen 70.000 Menschen durch Buenaventura. Der Geistliche fordert ein Ende der Erpressungen, Morde und Rekrutierungen von Jugendlichen. Fast jeden Tag wird in der Pazifikstadt jemand umgebracht. Mindestens 150 Menschen sind zudem seit 2010 verschwunden. Vor allem Afrokolumbianer sind zur Demonstration gekommen. Sie stellen 80 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen haben sich in den armen Stadtteilen am Meer vor langer Zeit als Fischer auf Pfahlbauten niedergelassen. Diese Lage mache Orte wie Puente Nayera für die Kriminellen attraktiv, meint Buenaventuras Polizeikommandant José Correa Hernández.
"Von hier aus ist es sehr einfach, Drogen auf Schnellbooten in andere Kontinente zu bringen. Die Hintermänner schicken ihre Leute in die am Meer gelegenen Stadtteile, um die Transportrouten abzusichern. Dort bekämpfen sich Angehörige verschiedener Banden und bringen sich gegenseitig um."
Gefälschte Markenjeans, unverzollte Fernsehgeräte, Waffen
Es geht um den Kokainschmuggel. Und es geht um die Kontrolle des Hafens. Denn die vielen Frachter, die aus China, den USA oder Südkorea hier anlegen, bringen auch andere illegale Waren ins Land: gefälschte Markenjeans, unverzollte Fernsehgeräte, Waffen.
Zwei Drittel des legalen kolumbianischen Frachtverkehrs werden hier abgewickelt. Schon jetzt ist der Hafen der bedeutendste des Landes. Seit Jahren vergrößern Speditionsfirmen ihr Gelände, auf jeder Freifläche lagern Container. Wie sich die Stadtplaner die Zukunft Buenaventuras vorstellen, verdeutlicht eine Wandtafel im Rathaus. Sie zeigt neue Hochhäuser, einen modernen Containerhafen und Hotelanlagen. Wo heute noch die Pfahlhütten der Armen ins Meer ragen, soll eine Hafenpromenade entstehen. Was aber soll mit jenen geschehen, die dort leben? Jährlich flüchten etwa 15.000 Menschen wegen des Bandenterrors. Sollen die Kriminellen den Platz vielleicht auch für eine ungezügelte Modernisierung frei räumen? Bischof Epalza schließt das nicht aus:
"Da agieren im Hintergrund mächtige Personen, die die Menschen mit Gewalt oder durch Betrug vertreiben wollen. Die Leute sollen ihre Häuser verlassen, um die geplanten Bauarbeiten durchführen zu können. Anstatt die afrokolumbianischen Gemeinden zu respektieren, werden diese schon lange von einer unheilvollen und heuchlerischen Politik in die Ecke gedrängt."
Dieses Vorgehen hat in Kolumbien Tradition. In anderen Regionen vertrieben Paramilitärs Kleinbauern im Auftrag von Unternehmern. Wenig später siedelten sich agrarindustrielle Firmen auf dem frei gewordenen Land an. Auch die Banden in Buenaventura sind aus paramilitärischen Einheiten entstanden. Orlando Castillo geht fest davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Hafenausbau und der Gewalt.
"Es ist seltsam. Immer, wenn man an einem Ort nicht mehr leben kann und die Leute geflüchtet sind, beginnen einige Monate später die Arbeiten an diesem Mega-Projekt."
Ein paar Straßen von Castillos Haus entfernt hat die Pfarrgemeinde San Pedro ein soziales Zentrum eingerichtet. Drei Jugendliche nehmen gerade in einem Studio einen Rap auf. Nebenan lernen einige Frauen nähen, einmal die Woche treffen sich hier Angehörige von Gewaltopfern. Die Kirche ist einer der wenigen Orte in der 400.000-Einwohner-Stadt, wo Arme Hilfe erwarten können. Für Pfarrer Reyna ist das ein unerträglicher Zustand. Der Hafen erwirtschafte hohe Steuereinnahmen, doch weniger als ein Prozent bleibe in Buenaventura. Dabei lebten hier vier von fünf Menschen in Armut.
Boden für die Mafia gut gedüngt
Das Problem ist die systematische, strukturelle Gewalt. Grundlegende Bedürfnisse werden nicht befriedigt: Es gibt kein Trinkwasser, keine vernünftige Stromversorgung, keine guten Wohnungen. Bildungssystem und Gesundheitswesen funktionieren nicht. Der Boden für die Mafia ist also gut gedüngt.
Auch die humanitäre Zone ist keine sichere Insel. Aktivist Castillo hat in den letzten Monaten 22 Morddrohungen erhalten und vor dem Tor geht der Krieg der Banden weiter. Der Soziologe zweifelt nicht daran, dass seine Stadt neue Wege gehen muss.
"Wir wehren uns nicht gegen die Entwicklung von Buenaventura, aber wir müssen einbezogen werden. Bislang sind die Menschen in den Vierteln am Meer nicht eingeplant."
Mercy Caisero hätte gar nichts dagegen, wenn die Hafenpromenade gebaut wird. Vorausgesetzt, sie kann weiterhin in Puente Nayera leben. Dann würde die 36-jährige Mutter ihre gebratenen Würste auf der Promenade verkaufen. Und vielleicht könnte sie dann sogar den Traum ihrer Tochter erfüllen: Die Zwölfjährige will Ärztin werden. Caisero:
"Wenn wir es schaffen würden, dass alle Arbeit haben oder lernen können, wäre Schluss mit der Gewalt. Denn dann hätten alle etwas, von dem sie leben könnten."