Juan Gabriel Vásquez: Das Geräusch der Dinge beim Fallen
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Schöffling & Co. 2014. 293 Seiten, 22,95 Euro
Spuren der Gewalt
Mit dem Buch "Die Informanten" wurde der kolumbianische Autor Juan Gabriel Vásquez international bekannt. Nun erscheint sein Roman "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" auf Deutsch. Er versetzt die Leser nach Kolumbien, in die Zeit des mächtigen Drogenbarons Pablo Escobar und der mit dem Drogenkrieg verbundenen Gewaltexzesse.
Juan Gabriel Vásquez spaziert vorbei an den Smaragdhändlern im Zentrum Bogotás und bleibt vor einem unscheinbaren Haus mit der verblichenen Aufschrift "Billares Avention" stehen. Eine schmale Eisentreppe führt hoch in den ersten Stock.
"Dieser Eingang gehört wohl zum selben Billardsalon. Aber kommt man wirklich über diesen Eingang rein? Der sieht irgendwie verschlossen aus. Das hat sich hier so stark verändert. Als ich in diesem Viertel Jura studiert habe, gab es diesen Eingang noch nicht."
Nach dem Studium verließ Vásquez seine Geburtsstadt Bogotá und lebte 16 Jahre in Europa. Erst 2012 zog er mit seiner Familie zurück in die kolumbianischen Hauptstadt. Nun will er hier zum ersten Mal wieder im legendären Billardsalon spielen. Über den Haupteingang betritt Vásquez den Salon, den er zum zentralen Ort seines Romans "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" gemacht hat.
Die 33 Billardtische sind so eng aufgestellt, dass die älteren Männer, die daran spielen, aufpassen müssen, dass sie beim Ausholen mit dem Queue keinen Spieler vom Nebentisch berühren.
Ein Billardsalon als Schauplatz
"An einem dieser Tische haben Antonio und Ricardo gespielt."
Die beiden Hauptfiguren des Romans, der schweigsame Pilot Ricardo Laverde und der junge Juraprofessor Antonio Yammara, der Ich-Erzähler, lernen sich hier kennen:
"Ich klatschte bei einer seiner Karambolagen - ihm lag das Spiel über die Banden - und lud ihn schließlich ein, an meinem Tisch zu spielen, oder bat um einen Platz an seinem. [...] Billard war für Laverde kein Zeitvertreib, nicht einmal ein Wettstreit, sondern die einzige Möglichkeit, in Gesellschaft zu sein."
Der mysteriöse Laverde ist nach langer Haft gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Mehr wissen seine Mitspieler nicht. Wenige Monate nach ihrem ersten Treffen spazieren Yammara und Laverde durch die Altstadt Bogotás und werden Opfer eines Attentats, das Laverde gilt. Er stirbt. Yammara überlebt schwer verletzt und verfolgt von nun an wie besessen ein Ziel: hinter das Geheimnis von Ricardo Laverde zu kommen, der als Pilot Drogen in die USA schmuggelte. Eine Spurensuche beginnt, die Yammara schließlich zum ehemaligen Landsitz des Drogenbosses Pablo Escobar führt. Escobar ist die heimliche Hauptfigur des Romans:
"Er war in jeglicher Hinsicht ein Mensch der Übertreibung. In seinen Vorlieben, seiner Grausamkeit, in seinem Zynismus. Er hat sich zum Beispiel auf eigene Kosten ein Gefängnis bauen lassen, in dem er leben konnte, wie er wollte. Mit einem angeschlossenen Fußballfeld. Da lud er dann die besten kolumbianischen Fußballer der Zeit zum Spiel ein. Und er hat dafür gesorgt, dass das Gefängnis eine Sicherheitslücke hatte, damit er dann problemlos fliehen konnte. Genau das hat er dann auch getan. Escobar ist natürlich eine dankbare literarische Figur. Er ist in seinem Leben einige Male dem absoluten Bösen begegnet. Das ist hochinteressant für einen Romanautor."
Vásquez porträtiert Escobar indirekt, zum Beispiel durch die Erwähnung der Morde, die er in Auftrag gegeben hat, nennt Escobars Namen an der entscheidenden Stelle ganz bewusst nicht und macht ihn so zur abwesend übermächtigen Person.
Vásquez und die Kunst der Andeutung
Leider versteht sich Vásquez sonst im Roman gerade nicht auf diese Kunst der Andeutung. Der Autor traut der Kraft der eigenen Worte nicht, meint, sie wiederholen, umformulieren oder durch oftmals gewollt klingende Metaphern erläutern zu müssen. Das ist umso ärgerlicher, als Vásquez uns ansonsten eindringlich vor Augen führt, wie die Gewalt des Drogenkriegs im Kolumbien der 80er- und 90er-Jahre die Opfer und Familienangehörigen verändert, ihre Seelen quält, ihr Leben vergiftet. Besonders am Beispiel des traumatisierten Juraprofessors Antonio Yammara.
"Am Beispiel dieser Figur habe ich versucht, die verborgene Seite dieser Jahre zu erzählen. Die öffentliche Seite der mit dem Drogenhandel verbundenen Gewalt kann man ja in allen möglichen Archiven nachlesen. Es gibt Statistiken über die Zahl der Toten und sogar eine Video-Aufzeichnung vom Mord am Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán, den Pablo Escobar 1989 töten ließ. Das alles kann jeder einsehen. Was aber fehlt, ist ein Ort, an dem die emotionale, die moralische Seite von all dem versammelt ist. Diesen Ort wollte ich mit meinem Roman schaffen."
Vasquéz deckt meisterhaft das Perfide an der Gewalt auf, indem er sie im Leid der Menschen spiegelt. Das ist die große Stärke des Romans, in dem der Autor gleich mehrfach die für Kolumbien so prägende Gleichzeitigkeit von Schönheit und Schrecken gekonnt inszeniert. Kurz vor dem Attentat lauschen die beiden Hauptfiguren am selben Ort in der Altstadt Bogotás zur selben Zeit jeweils einer Tonbandaufnahme, Antonio Yammara der Lesung eines Gedichtes und Ricardo Laverde einer Blackbox-Aufzeichnung von jenem Flug, bei dem seine Frau ums Leben kommt. Später wird auch Yammara diese dramatische Aufnahme hören, die Vásquez zum Titel seines Romans, "Das Geräusch der Dinge beim Fallen", inspiriert hat.
"Höher, höher", sagt der Kapitän.
"OK", sagt der Kopilot. Und der Kapitän: "Hoch, hoch, hoch."
Wieder ertönt der Alarm.
"Pull up"«, sagt eine elektronische Stimme.
Man hört einen Schrei, der abbricht, oder etwas, was einem Schrei ähnelt. Man hört ein Geräusch, das ich nicht identifizieren kann, nie werde identifizieren können: ein Geräusch, das nicht menschlich ist oder allzu menschlich, das Geräusch der Leben, die gerade erlöschen, dazu das berstende Material.
"OK", sagt der Kopilot. Und der Kapitän: "Hoch, hoch, hoch."
Wieder ertönt der Alarm.
"Pull up"«, sagt eine elektronische Stimme.
Man hört einen Schrei, der abbricht, oder etwas, was einem Schrei ähnelt. Man hört ein Geräusch, das ich nicht identifizieren kann, nie werde identifizieren können: ein Geräusch, das nicht menschlich ist oder allzu menschlich, das Geräusch der Leben, die gerade erlöschen, dazu das berstende Material.
Tipp: Der Autor kommt mit seinem neuen Roman auf Lesereise nach Deutschland:
Frankfurt: Haus des Buches, Dienstag, 16. September 2014, 19.30 Uhr
Berlin: Instituto Cervantes, Mittwoch, 17. September 2014, 19.30 Uhr
Stuttgart: Literaturhaus, Donnerstag, 18. September 2014, 20.00 Uhr
Bochum: Bahnhof Langendreer, Montag, 22. September 2014, 19.00 Uhr