Steiniger Weg zum Frieden
Die Guerillakämpfer der FARC müssten Ende Mai eigentlich ihre letzten Waffen abgeben - so sieht es das Friedensabkommen vor. Beobachter glauben aber nicht, dass das auch klappt. Die Waffen sind nicht das einzige Hindernis auf dem Weg zum Frieden in Kolumbien.
"Ich bin 20 Jahre alt. Ich bin schon bei den FARC geboren und aufgewachsen. Und sobald ich alt genug war, die Ausrüstung und ein Gewehr zu tragen, bin ich auch Guerillero geworden. … Dann bin ich den FARC beigetreten, die mir alles gezeigt und beigebracht hat, was ich weiß. … Wir sind keine Ex-Kämpfer, wir kämpfen weiter. Von jetzt an ohne Waffen. Aber unser Kampf ist noch lange nicht zu Ende, wir kämpfen für ein besseres Land."
Ein tropischer Regenschauer prasselt auf das Rebellenlager von Icononzo ein. Zwischen Zelten und Baracken streunen Hundewelpen herum, Hühner scharren, ab und zu flattert ein Kolibri vorbei und der Blick schweift über ein weites, grünes Tal.
Blutiger Krieg mit 220.000 Toten
Man könnte den Ort idyllisch nennen – wenn nicht viele hier immer noch die dunkelgrüne Uniform der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, kurz: FARC, tragen würden. Wenn nicht Plakate mit politischen Parolen und dem Logo mit den gekreuzten Maschinengewehren daran erinnern würden, dass man hier bei den FARC ist: Bei der ältesten Guerilla Kolumbiens, die das Land in einen 50 Jahre dauernden blutigen Krieg mit mindestens 220.000 Toten gestürzt hat.
Diesen Krieg haben die Guerilla und die Regierung Kolumbiens zwar mittlerweile für beendet erklärt. Aber versöhnliche Worte oder Reue sind von den FARC-Kämpfern trotzdem nicht zu hören.
Guerilleros wie "Tito" und "Carlos" empfangen Besucher höflich und gastfreundlich, von ihrer Kriegsrhetorik haben sich die Untergrundkämpfer jedoch noch nicht verabschiedet.
"Wir bieten den Opfern eine Entschuldigung an, aber nicht für den bewaffneten Konflikt. Denn damals gab es eben andere Gründe, warum die FARC die Waffen ergriffen hat … Wir haben unsere Fahne nicht eingeholt und kapituliert. Sie haben uns nicht im Krieg besiegt. Deswegen ist unsere Aufgabe noch nicht erfüllt. Wir müssen weiterkämpfen, um ein besseres Land aufzubauen."
Die Waffen schweigen schon seit Jahren
Dabei schweigen die Waffen schon seit Jahren, und Ende September hatten Kolumbiens Regierung und die FARC bei einer pompösen Zeremonie den Beginn eines neuen Zeitalters verkündet.
"Die schreckliche Nacht ist vorbei, die schreckliche Nacht der Gewalt, die unsere Leben länger als ein halbes Jahrhundert verdunkelt hat. Und es bricht der Tag mit all seinen Versprechungen an."
Doch kurz danach kam der erste herbe Rückschlag. Überraschend lehnte bei einer Volksabstimmung eine knappe Mehrheit der Wähler dieses Abkommen ab. Präsident Santos, zwischenzeitlich zum Träger des Friedensnobelpreises ernannt, verhandelte eilig nach und schaffte es, ein zweites Abkommen nachzuschieben, das Anfang Dezember in Kraft trat.
Aber es war eine deutliche Warnung. Hoffnung und schöne Worte reichen nicht. Kolumbiens Weg zum Frieden ist holpriger und steiniger als erwartet. Mindestens so steinig und holprig wie der steile Feldweg, der zum Lager der Rebellen bei Icononzo führt, einem abgelegenen Ort in den Bergen, gut vier Stunden Fahrt von Bogotá entfernt.
Diese Zonen sind der erste Schritt zur Umsetzung des Friedensabkommens: Die FARC-Kämpfer haben ihre Untergrund-Stellungen in den Bergen oder in den Urwäldern des Tieflands von Kolumbien aufgeben. Im ganzen Land wurden 26 Übergangszonen eingerichtet – hier sollen sich die Untergrundkämpfer, nach der Entwaffnung, auf den Übergang ins zivile Leben vorbereiten.
"Faber Sanchez" führt durch das Lager
Ein FARC-Kämpfer namens "Faber Sanchez" führt durch das Lager. Wobei das nicht sein richtiger Name ist. Bis heute verwenden die Guerilleros nur ihre Kriegsnamen.
Die Türen stehen für alle Besucher offen, sagt der Faber. Und das ist tatsächlich ein Zeichen der neuen Zeit in Kolumbien. Jahrzehntelang lebten die FARC-Guerilleros im Untergrund, überzogen das Land mit Gewalt und Terror. Heute besuchen Studentengruppen am Wochenende das Rebellenlager.
Eigentlich sollten die FARC-Kämpfer hier längst in festen Behausungen leben, zivile Kleidung tragen und die Straße zum Lager sollte besser ausgebaut sein. Doch tatsächlich ist nur die Küche in einer Art Blockhaus untergebracht, der Rest des Lagers besteht aus Not-Zelten aus Bambusstangen und grünen Plastikplanen. Ein älterer FARC-Guerillero mit dem Kriegsnamen "Alfredo Jaramillo":
"Die FARC haben sich in den Übergangszonen wie dieser hier versammelt, um die Abgabe der Waffen einzuleiten. Und um uns direkt in den politischen Prozess Kolumbiens einzugliedern. Auf diesen Moment haben wir gewartet. Aber was hier steht, haben wir selbst mit unseren Reserven aus unserer Kriegskasse gebaut. Wir haben Plastikplanen besorgt, um uns einzurichten. Jetzt haben wir ein Lager errichtet mit dem, was uns aus den Kriegszeiten übrig geblieben ist. Der Staat hinkt mit dem Bau der Zonen hinterher. Die FARC halten ihr Versprechen, der Staat nicht. An diesem Punkt sind wir jetzt."
In einer etwas stabileren Baracke wohnen zwei Kämpferinnen mit ihren Säuglingen. Die anderen Unterkünfte sind spartanische Zelte mit Holzpritschen und Wolldecken. Immerhin gibt es hier in Icononzo Strom – im Gemeinschaftszelt flimmert eine Telenovela über den Bildschirm und an einer Steckerleiste hängen viele Smartphones. Trotzdem sind die FARC-Kämpfer hier unzufrieden.
"Beim Aufbau der Übergangszonen gab es viele Verzögerungen. Unsere Unterkünfte hat nicht die Regierung hergestellt, die haben wir selbst gebaut."
Keine Kleidung, zu wenig Lebensmittel
Sandro Ávila trägt noch immer die dunkelgrüne Uniform der FARC. Sie ist dem 20-Jährigen viel zu weit. Aber auch die versprochene Kleidung und Hygieneartikel sind noch nicht bei den FARC-Kämpfern angekommen. Noch mehr Ärger gab es aber mit den ersten Lebensmittellieferungen.
"Das war schlecht organisiert. Es kamen nicht genügend Lebensmittel an. Da gab es Probleme. Manchmal haben wir Vorratslieferungen bekommen, die verdorben waren oder nicht vollständig. Dann kamen Vorräte für eine Woche, die eigentlich für zwei Wochen reichen sollten."
Dass der Aufbau der Übergangszonen so zäh vorankommt, könnte sich noch zum ernsthaften Stolperstein auf dem Weg zum Frieden auswachsen. Bei den Guerilleros ist zu hören: Wenn die Regierung den Zeitplan nicht einhalte, dann könnten sie sich auch nicht an den Zeitplan zur Abgabe der Waffen halten.
"Wir warten noch darauf, dass die Regierung ihre Verpflichtungen aus dem Friedensabkommen erfüllt. Wir halten unser Versprechen, dass wir die Waffen von UN-Beobachtern registrieren lassen. Wir halten still und lassen den Krieg hinter uns. Wir haben schon geliefert."
Die FARC haben den Zeitplan eingehalten, das bestätigt auch Konteradmiral Orlando Romero. Er vertritt die kolumbianische Regierung in der Kommission, die die Entwaffnung und den Friedensprozess überwacht.
"Alle Waffen der Guerilleros in den Übergangszonen wurden mittlerweile registriert. Aber sie liegen in 945 verschiedenen Waffenverstecken. In 500 dieser Waffenlager liegen Munition und Sprengstoff."
Waffenabgabe: Die Frist läuft ab
Eigentlich läuft in diesen Tagen die vereinbarte Frist zur Abgabe aller Waffen ab. Aber schon seit Wochen ist allen Seiten klar, dass die Entwaffnung schon logistisch nicht innerhalb der vorgesehenen Zeit zu schaffen ist. Zu viele Waffen liegen an abgelegenen Orten. Das FARC-Kommando hat deswegen eine Verlängerung der Frist beantragt. Es könnte noch weitere drei Monate dauern, bis alle Waffen übergeben sind, schätzt Jesus Santrich, neben "Timoshenko" einer der bekanntesten Kommandanten der FARC.
Er war bei den Friedensverhandlungen auf Kuba mit dabei. Jetzt hat er in einer kleinen Pension in der Einflugschneise des Flughafens von Bogotá Quartier bezogen. Der Guerillaführer ist fast blind, bemüht sich aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Und wie die Kämpfer in Icononzo betont er, die Regierung habe ihren Teil der Vereinbarungen nicht erfüllt. Als die Kämpfer der FARC Ende Januar in die Übergangszonen einrückten, sei dort überhaupt nichts vorbereitet gewesen. Und heute sehe es in manchen Zonen kaum besser aus.
"Da war gar nichts. Einige der besseren Übergangszonen sind mittlerweile zu 70 oder 80 Prozent fertig, aber in anderen haben die Bauarbeiten noch gar nicht angefangen, aus verschiedenen Gründen. Schlechter Planung, einige der Firmen, die das erledigen sollten, waren unfähig oder unwillig. Die meisten Firmen hatten überhaupt keine Ahnung von solchen Bauaufträgen."
Die Regierung gibt die Probleme offen zu
Die Regierung gibt offen zu, dass der Weg zum Frieden holpriger ist, als gedacht. Roy Barreras saß ebenfalls mit am Verhandlungstisch in Havanna, der Senator war früher Chef der Regierungspartei und Senatspräsident und gilt als einer der Kandidaten für die Nachfolge von Präsident Santos. Er empfängt Gesprächspartner in einem Café im schicken Norden von Bogotá.
Im Wesentlichen laufe der Friedensprozess gut, findet der Senator. Er räumt zwar ein, dass in den Übergangszonen vieles nicht rund läuft, dass Lieferungen nicht ankommen und Versprechen nicht oder nicht ganz eingehalten wurden. Aber diese Probleme seien alle lösbar.
"Die Kritik ist überzogen. Natürlich gibt es Verzögerungen und natürlich gibt es viele kleine logistische Probleme. Wie schön, dass wir uns jetzt mit Wasserleitungen und Straßen auseinandersetzen müssen, und nicht mehr mit toten Kolumbianern."
Der Ex-Präsident torpediert den Friedensprozess
Für ihn hakt der Friedensprozess an ganz anderer Stelle: In der kolumbianischen Innenpolitik. Konservative Kräfte um den nach wie vor populären Ex-Präsidenten Uribe bekämpfen den Friedensprozess mit allen Mitteln. Barreras nennt seinen früheren politischen Ziehvater Uribe mittlerweile einen Rechtsradikalen.
"Mittelfristig besteht es eine politische Gefahr. Die extreme Rechte, die Partei von Uribe sagt öffentlich, dass sie den Friedensprozess rückgängig macht, falls sie nächstes Jahr an die Macht kommt. Deswegen müssen wir jetzt unsere Kräfte bündeln, auch mit den linken Oppositionsparteien: Damit 2018 kein Präsident gewählt wird, der den Friedensprozess an die Wand fährt."
Ein weiteres Problem: Mit dem Abzug der FARC aus ihren früheren Einflusszonen ist ein gefährliches Machtvakuum entstanden. In weiten Teilen des Landes hatte die Guerilla den Staat praktisch ersetzt. Dort kämpfen jetzt neue Gruppen um die Macht – und natürlich um die Kontrolle über den Drogenhandel.
Teilweise ist die ELN, die zweite, ähnlich radikale linke Guerilla in früheren FARC-Gebieten aufgetaucht. In anderen Regionen verbreiten abtrünnige FARC-Kämpfer Angst und Schrecken - sie setzen weiter auf das Geschäft mit Entführungen, Erpressung und Drogenhandel.
Gewalt, Erpressung und Mord sind wieder alltäglich
Aber vor allem in den alten FARC-Gebieten im Westen und Südwesten Kolumbiens macht sich der Golf-Clan breit, das derzeit mächtigste Drogenkartell des Landes. Gewalt, Erpressung und Mord sind dort mittlerweile wieder alltäglich geworden.
Und alle, die an eine Normalisierung der Verhältnisse in diesen Gebieten glaubten, schweben jetzt in akuter Lebensgefahr. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens wurden mehr als 30 "líderes sociales" ermordet. Also Aktivisten, Gemeinschaftsführer oder Lokalpolitiker, die sich den neuen Machthabern nicht sofort untergeordnet haben.
"Der kolumbianische Staat trägt die Verantwortung, diese Menschen zu schützen und die Gebiete zu übernehmen, die die FARC verlassen hat. Da muss die Regierung jetzt Gas geben und besser werden."
Bei den Rebellen wächst unterdessen die Angst, dass sich rechte Paramilitärs wieder ausbreiten und Jagd auf die FARC-Kämpfer machen. So wie schon Ende der 90er Jahre. Die Paramilitärs gingen dabei zum Teil noch menschenverachtender vor als die linken Guerilleros.
Viele vermuten deshalb, dass die Guerillakämpfer sicherheitshalber noch die eine oder Waffe zurückhalten. Der Frieden ist jedenfalls längst nicht so stabil, wie die ländliche Idylle in Icononzo es scheinen lässt. Die Rebellen hier machen sich aber nicht nur um ihre Sicherheit Gedanken, sondern sie wissen auch, wie schlecht ihr Ruf bei der Bevölkerung ist.
"Für uns ist das kein Problem, so zu leben. Wir machen das schon lange so. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Leute uns kennenlernen und sehen, dass wir nicht so schlimm sind, wie die Medien uns immer dargestellt haben. Sie haben uns immer verteufelt, aber so sind wir gar nicht."
Die Integration der Kämpfer wird nicht einfach
Schon jetzt, während der Entwaffnung sollen die FARC sich auf das Zivilleben vorbereiten. Schwerter zu Pflugscharen: Menschen, die Jahrzehntelang im Untergrund gelebt haben und kein anderes Leben kennen als das des Guerilleros, sollen sich in die Zivilgesellschaft integrieren. Kein einfacher Weg.
Wer die Rebellen nach ihrer Zukunft fragt, merkt schnell, dass sie noch in ihrer Welt voll revolutionärer Romantik und politischer Doktrin gefangen sind. Fast alle wollen sich für die Partei engagieren, die nach der Entwaffnung aus der Guerilla-Bewegung entstehen soll. Diese Partei soll zunächst einige Sitze ohne Stimmrecht im Parlament bekommen – vom nächsten Jahr an soll sie dann ganz normal an Wahlen teilnehmen.
"Ich will mein Abitur nachmachen und studieren und dann will ich Pilot werden. … Ich will zur Schule gehen, Abitur machen, Wirtschaft studieren. Außerdem will ich lernen, Gitarre zu spielen. Vielleicht ein Kind bekommen und einen Sohn großziehen. Aber mein größter Wunsch ist einen Beitrag zur Partei zu leisten, die wir gründen werden. … Ich sehe meine Zukunft im politischen Kampf, in der politischen Arena. Ich will mit den Genossen an den Alternativen arbeiten, um unser Land besser zu machen."
Die Gesellschaft wartet nicht mit offenen Armen
Nicht all diese Wünsche werden sich erfüllen. In Kolumbien glauben nur wenige den FARC, dass sie aus hehren Zielen für die arme Landbevölkerung gekämpft haben. Die meisten sehen die Guerilleros nur als Kriminelle und Terroristen. Die kolumbianische Zivilgesellschaft wartet nicht mit offenen Armen auf die knapp 7.000 Kämpfer, die das Land jahrzehntelang mit Gewalt überzogen haben.