Kolumbiens Friedensabkommen

Ein Schlussstrich nach 50 Jahren Krieg

Burkhard Birke im Gespräch mit ehemaligen Guerilla Kämpfern und Ex Paramiltärs.
Burkhard Birke im Gespräch mit ehemaligen Guerilla Kämpfern und Ex Paramiltärs © Deutschlandradio / Burkhard Birke
Von Burkhard Birke |
Am 23. März soll in Kolumbien ein Friedensabkommen zwischen den FARC, der linksgerichteten Guerilla und der Regierung unterzeichnet werden. Der UN-Sicherheitsrat hat eine Resolution auf den Weg gebracht, um die Einhaltung eines Waffenstillstandes zu überwachen.
"Ein Frieden für alle: Das würde den Prozess bereichern und die Zukunft dieses Landes viel freundlicher erscheinen lassen."
Präsident Juan Manuel Santos.
"Frieden um jeden Preis. Frieden um des Friedens willen. Alle Kröten schlucken sie. Da sagen wir: Nein!"
Senator José Obdulio Gaviria vom Centro Democrático.
"Teil der Lösungen ist die Gewehrkugeln durch Stimmen zu ersetzen. Deshalb darf unser Kontakt mit der Bevölkerung nicht mehr eingeschränkt werden."
Ivan Márquez, Sprecher der FARC Guerilla.
"Eine Gruppe darf ihren Willen den anderen nicht aufzwingen: Sie muss sich in die Kultur, die Gesellschaft einfügen."
José de Los Santos, Sprecher der indigenen Gemeinschaft der Koguis.
"Ohne Vergebung und Versöhnung kann kein neues Kolumbien aufgebaut werden, das hieße nämlich weitermachen mit Gefühlen von Hass und Rache im Herzen."
Monsenor Luis Augusto Castro, der Vorsitzende der Bischofskonferenz der katholischen Kirche Kolumbiens.
Sind die Menschen bereit zu vergeben, einen mehr als fünf Jahrzehnte währenden Konflikt zu beenden, das, was Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez endemische Gewalt nannte?

57 Prozent der Kolumbianer sagen: Die Friedensverhandlungen waren negativ

Die Sehnsucht nach Frieden ist unverkennbar: Frieden ja – aber um welchen Preis? Präsident Santos hat dem Volk ein Plebiszit über das Abkommen versprochen. Es ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich, aber der Präsident will sein Volk hinter sich und dem Abkommen wissen. Die Stimmung kippt: Zuletzt beurteilten 57 Prozent der Kolumbianer die Verhandlungen in Havanna negativ. Nicht Mal ein Viertel der Kolumbianer ist mit der Arbeit ihres Regierungschefs zufrieden.
"Es war ein sehr schwieriger Prozess. Ich habe viel gelernt. Ich werde Ihnen ein Beispiel geben: Ich dachte, die Opfer wären diejenigen, die am meisten auf Gerechtigkeit pochen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Opfer sind die großzügigsten. Sie sind am ehesten bereit, zu verzeihen und diesen Friedensprozess mitzutragen."
Solche Menschen begegnen einem in Kolumbien immer wieder, Menschen die materiell alles verloren, aber stets ihre Würde und Gabe zur Vergebung bewahrt haben, bereit auf die Täter zuzugehen. Israel Ruiz Diaz Gutierrez hatte 24 Hektar im Norden Kolumbiens bei Valledupar, züchtete Ziegen und Rinder, baute Mais und Yucca an. Dann nahmen ihm vor zwölf Jahren zunächst die Guerilleros der FARC das Land weg, das später eine Gruppe Paramilitärs eroberte.
"Mein Herz sagt mir, dass ich ihnen verzeihen soll. Ich würde sie umarmen, damit sie ins zivile Leben zurückkehren. Jeder Mensch kann sich doch ändern. Das war ein Konflikt zwischen Guerilla und Paramilitärs, alles einfache Leute, arme Leute, die sich gegenseitig umgebracht haben."
Große Worte dieses kleinen, hageren, eher schüchternen Mannes, der die Schattenseiten des bewaffneten Konfliktes kennengelernt hat.
Israel Ruiz Diaz Gutierrez ist Binnenflüchtling, einer von mehr als 6,5 Millionen in Kolumbien.
Israel hatte Glück und ist wohl eher die Ausnahme: Ihn hat die kolumbianische Regierung mit einem Stück Land weit ab von den Gefahren seiner Heimat entschädigt. Seit einem Jahr ist er stolzer Besitzer einer "Finca" in Fusagasugá, etwa zwei Stunden südlich von Bogotá.

Nach 50 Jahren sind die Fronten des Konflikts längst verwischt

Dort, in der Hauptstadt, sind die meisten der "desplazados", der Vertriebenen gelandet. In der Anonymität der Neun-Millionen-Metropole entrinnen sie den Gefahren eines nunmehr seit mehr als 50 Jahren schwelenden Konfliktes, bei dem die Fronten längst verwischt sind.
Verschiedene Guerillagruppierungen, Paramilitärs, Militär und Polizei: Bei diesem Konflikt verschwimmen die Grenzen von Gut und Böse. Alle haben sich die Finger schmutzig gemacht. Einer von sechs Kolumbianern ist Opfer des Konfliktes geworden: Mehr als siebeneinhalb Millionen Opfer zählt die offizielle Registrierungsstelle der Regierung.
"Um die 200 000, 300 000 Tote, aber die meisten sind nicht Tote, sondern Vertriebene oder Entführte oder forcibly disappeared (Menschen, die man gewaltsam hat verschwinden lassen, Anm. der Red.). Von den Zahlen sind hauptsächlich die Guerillas verantwortlich für die meisten Toten, aber die Paramilitärs sind mehr verbunden mit Massakern, also mit kollektiven Ermordungen, und mit der Vertreibung, der Landesvertreibung. Und der kolumbianische Staat hingegen wird öfters in Frage gestellt, in Bezug auf forced disappearence und Ermordung Linker."
Die Abwesenheit des Staates in weiten Landesteilen hat den Konflikt überhaupt erst entstehen lassen, meint Konfliktforscherin Angelika Rettberg von der Universidad de Los Andes in Bogotá. Kolumbien war und ist eines der Länder Lateinamerikas mit besonders ungleicher Einkommensverteilung. Trotz enormer Anstrengungen lebt rund ein Drittel der Bevölkerung noch immer unter der Armutsgrenze. In einigen Gegenden wie der Guajira, an der Grenze zu Venezuela, oder im Chocó haben zwei Drittel der Menschen kein vernünftiges Auskommen, müssen hungern.

Drogenanbau und –handel als der einfache Weg zum schnellen Geld und Gewalt als Instrument der Konfliktlösung galten als Auswege, gehören zum traurigen Alltag. Neben der Passivität gegenüber der sozialen Ungleichheit werfen Menschenrechtsaktivisten wie Danilo Rueda dem Staat und seinen Vertretern aber auch eine aktive Rolle bei den Auseinandersetzungen vor.
"Wir reden von 50 Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen, bei denen staatliche Institutionen und Akteure bedauernswerterweise am Entstehen des kriminellen Paramilitarismus beteiligt waren. Das ist gerichtlich belegt. Mehr als 200 Massaker wurden verübt, Menschen vertrieben und zuletzt wurden mehr als 4000 Menschen einfach ohne jede rechtliche Grundlage von Militäreinheiten ermordet und als vermeintliche Guerillakämpfer ausgegeben. Man zählt mehr als sieben Millionen Opfer! Darüber hinaus hat man mehr als 45 000 Menschen in unserem Land gewaltsam verschwinden lassen: Mehr als während der argentinischen Militärdiktatur."
Erschreckende Statistiken, Zahlen, die jedoch nur bedingt das menschliche Leid widerspiegeln können. Direkt oder indirekt ist jeder Kolumbianer in seinem Leben mit dem Konflikt in Berührung gekommen. Ein Konflikt, der im Grunde nicht erst seit der Gründung der Guerillagruppen, darunter der noch immer aktiven FARC, ELN und EPL Anfang der 1960iger Jahre entstand. Schon seit Ende der vierziger Jahre tobte in Kolumbien ´"La violencia", auf Deutsch "Die Gewalt", bekriegten sich die Anhänger der großen traditionellen Parteien, der Konservativen und Liberalen.
Der kubanische Präsident Raul Castro (M.) hält die Hände des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos (l.) und des FARC-Führers Rodrigo Londono 'Timochenko' Echeverri (r.)
Der kubanische Präsident Raul Castro (M.) hält die Hände des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos (l.) und des FARC-Führers Rodrigo Londono 'Timochenko' Echeverri (r.)© Alejandro Ernesto/dpa

Der Drogenhandel lud den ursprünglich sozialen Konflikt auf

Im Grunde war und ist der Konflikt ein sozialer, aufgebläht durch die Gier nach dem schnellen Geld des Drogenhandels. Allen ideologischen Werten zum Trotz verfielen ihr auch die Guerillas nach dem Niedergang der Sowjetunion. Vor allem die FARC, die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, und das ELN, das Nationale Befreiungsheer, finanzierten sich durch Schutzgelder auf den Handel mit Drogen wie Kokain, beteuern allerdings selbst nicht in das schmutzige Geschäft involviert zu sein. Ivan Márquez, Verhandlungsführer der FARC
"Wir produzieren kein Kokain, wir pflanzen kein Coca an, haben weder Labore noch exportieren wir: Dahinter stecken die Kartelle."
Auch durch Erpressungen und Entführungen kamen die Rebellen an Einnahmen. Das wohl prominenteste Entführungsopfer war die Grünen Politikerin Ingrid Betancourt. Sie verbrachte fast sieben Jahre in Gefangenschaft der FARC im Dschungel des Amazonas.
Sie war in ein Gebiet von der Größe der Schweiz gereist, das Präsident Andres Pastrana den FARC im Caquetá, im Süden des Landes, als Vorbedingung für Friedensgespräche überlassen hatte. Dieses Entgegenkommen wurde nicht honoriert. Dieser Anlauf zum Frieden scheiterte – wie so viele zuvor.
Weshalb soll ausgerechnet der im Sommer 2012 initiierte Prozess von Erfolg gekrönt sein?
Cepéda: "Nachdem man sich über die Rechte der Opfer und die spezielle Übergangsjustiz für den Frieden geeinigt hat, was eigentlich so nicht erwartet worden war, und nachdem die FARC seit sechs Monaten ihren erklärten Waffenstillstand einhalten und auch die Armee ihre Aktivitäten spürbar heruntergefahren hat, halte ich den Erfolg des Friedensprozesses praktisch für unumkehrbar."
Möglich waren diese Erfolge, so Senator Ivan Cepéda vom linken Polo Democrático, weil sowohl Regierung als auch FARC endlich eingesehen haben, dass dieser Konflikt nicht mit Waffengewalt zu lösen ist.

Präsident Santos – früher Politik der harten Hand, nun Friedenstaube

Präsident Juan Manuel Santos, der Mann, der als Verteidigungsminister die Politik der harten Hand von Präsident Alvaro Uribe umgesetzt und die Kampfstärke der FARC von einst 20000 auf nur mehr 7000 Aktive reduziert hat, steigt als Friedenstaube auf - sehr zum Ärger seiner einstigen politischen Verbündeten, die vom Ausverkauf des Landes an die FARC sprechen. Senator José Obdulio Gaviria vom Centro Democrático ist enger Vertrauter des früheren Präsidenten Alvaro Uribe.
"Die FARC setzen sämtliche ihrer Interessen erfolgreich durch, selbst bei Themen wie Landverteilung, Umweltschutz, Kokaanbau etc. Im Gegenzug machen sie kein einziges ernsthaftes Zugeständnis, außer dass sie keine Menschen mehr entführen und nicht mehr morden wie mit der Bombe seinerzeit im Club 'El Nogal'.
Das allein ist für viele Kolumbianer freilich schon ein enormer Fortschritt. Die Skepsis gegenüber den FARC im Land bleibt indes sehr groß.

"Kolumbien ist gespalten. In einer Umfrage würden sich 80 % der Leute für die Unterzeichnung des Abkommens und für Frieden aussprechen. Aber im Grund wollen sie den Frieden ohne die FARC, als ob die einfach so von der Erdoberfläche verschwinden könnte."
Marina Gallego hat den Finger am Puls der Bevölkerung: Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich die Menschenrechtsanwältin mit ihrer Organisation "Ruta Pacífica" für Versöhnung und Frieden, und dabei vor allem für die Belange der Frauen ein, die sie auch am Verhandlungstisch in Havanna vertreten durfte.
Dort befinden sich die Gespräche in einer entscheidenden Phase. Eigentlich war der 23. März als Termin für eine Unterzeichnung vorgesehen. Daran glaubt niemand ernsthaft. Für Ärger sorgte unlängst das Auftreten von voll bewaffneten FARC Kämpfern, die in einem Dorf im Norden Kolumbiens für den Friedensprozess warben.
Die FARC besetzt unser Land: Was passiert erst nach dem Abkommen – unkten die Kritiker.
Gründlichkeit vor Schnelligkeit: Diese Devise hat jetzt Präsident Juan Manuel Santos dabei ausgegeben.
"Beide Seiten bemühen sich mit aller Kraft, um am 23. zum Abschluss zu kommen. Der 23. März bleibt ein wichtiges Datum, um Verständigung zu erzielen. Ich habe aber gesagt, dass wir nur um eines Datums willen kein schlechtes Abkommen abschließen werden."
Nichts gilt als beschlossen, bis nicht alle Punkte verhandelt sind: Gemutmaßt wird, dass am 23.März ein umfassender Waffenstillstand ausgerufen werden könnte. Somit könnten beide Seiten zumindest das Gesicht wahren.

Vier wichtige Kapitel der Verhandlungen sind abgeschlossen

Vier wegweisende Kapitel konnten jedoch schon abgeschlossen werden: Landreform und ländliche Entwicklung, politische Teilhabe, d.h. die Möglichkeit nicht nur für Ex-Guerilleros, sondern auch andere Gruppen der Zivilgesellschaft die politischen Prozesse aktiv mitzugestalten, neue Strategien beim Kampf gegen illegale Drogen – da soll verstärkt auf nachhaltigen Umstieg auf alternative Landwirtschaftsprodukte gesetzt werden – und die Frage wie man mit Opfern und Tätern des Konfliktes umgeht.
Dabei hat die Regierung Bereitschaft zu umfangreichen Amnestieregelungen im Rahmen einer Sonderjustiz signalisiert.
"Alle Vergehen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt werden der Sonderjustiz unterstellt. Für einige Delikte, insbesondere die politischen, wird es Amnestie und Strafminderung geben."
Mit Haftstrafen von maximal fünf bis acht Jahren. Schwere Menschenrechtsverletzungen sollen jedoch ausgenommen bleiben, betonte Justizminister Yesid Reyes im Exklusivinterview.
"Die Sonderjustiz ist nur ein Element in einem integralen System der Wahrheit, Justiz, Entschädigung und Verpflichtung, nicht wieder straffällig zu werden. Dazu gehört auch die außergerichtliche Wahrheitskommission, mit der kooperiert werden muss. Es wird auch eine Kommission zur Suche der Verschwundenen eingerichtet und die Entschädigung der Opfer geregelt sowie die Verpflichtungen, nicht rückfällig zu werden."
Grundvoraussetzung für Amnestie und Strafminderung ist neben dem Geständnis die Beteiligung an der Aufklärung begangener Verbrechen.

Für Kritiker wie den früheren Präsidenten Andres Pastrana und Senator José Obdulia Gaviria sprengt die Übergangsjustiz den verfassungsrechtlichen Rahmen des Landes, mehr noch:
"Die Herren von den FARC, die die schlimmsten Verbrechen begangen haben, können danach gewählt werden. Die Paramilitärs können nicht gewählt werden. Deren Strafen von bis zu acht Jahren Haft versperren ihnen für immer den Weg in die Politik."
Senator Joé Obdulio Gaviria vom Centro Democrático, der Partei des früheren Präsidenten Uribe, spielt auf das Gesetz Justicia y Paz an, Gerechtigkeit und Frieden, mit dem vor zehn Jahren die Paramilitärs auch mit großzügigen Amnestie- und Strafminderungsregelungen demobilisiert wurden.
Die indigene Gemeinschaft der Kogis hofft auf Frieden und Erhalt ihrer Kultur.
Die indigene Gemeinschaft der Kogis hofft auf Frieden und Erhalt ihrer Kultur.© Deutschlandradio / Burkhard Birke

Die Demobilisierung der Paramilitärs hat bisher kaum geklappt

Wird da mit zweierlei Maß gemessen oder hat man aus Fehlern gelernt?
Fakt ist: Die Demobilisierung der ursprünglich von reichen Großgrundbesitzern geschaffenen und von den Sicherheitskräften und zahlreichen Politikern gestützten Paramilitärs war nur bedingt erfolgreich: Nur ein paar Dutzend Anführer wurden tatsächlich bestraft. Viele verdingen sich mittlerweile in Banden als gemeine Kriminelle, treiben weiter ihr Unwesen.
Pikanterweise wurde gerade dieser Tage Santiago, der Bruder des früheren Präsidenten Alvaro Uribe, verhaftet wegen Verwicklung in paramilitärische Aktivitäten vor über 20 Jahren.
Obwohl der ermittelnde Staatsanwalt unabhängig ist, vermutet die Opposition dahinter ein Komplott von Präsident Santos, um seinen Amtsvorgänger auf seinen, auf Friedenskurs zu bringen und schaltet auf Konfrontation.
"Mit oder ohne Uribe werden wir den Frieden schaffen, aber es wäre natürlich viel besser, wenn er dabei wäre, damit es ein Frieden für alle wird."
Präsident Juan Manuel Santos zeigt sich ungebrochen optimistisch. Im Grunde hat er keine andere Wahl als den Prozess durchzuziehen, auch in der Hoffnung, dass auch die zweite Guerillagruppe, das 1700 Kämpfer zählende Nationale Befreiungsheer ELN demnächst die Kampfzone im Urwald mit dem Verhandlungstisch tauscht.
Ganz unbegründet scheint diese Hoffnung nicht. Der der Guerilla nahestehende Senator Ivan Cepéda vom Polo Democrático:
"Zum ersten Mal haben sich Regierung und ELN auf einen Themenkatalog für Verhandlungen verständigt. Das ist kaum bekannt, aber enorm wichtig. Es fehlt nur noch ein kleiner Schritt, damit sie sich an den Verhandlungstisch setzen, aber ich bin überzeugt, dass es dazu kommt."
Denn sonst droht die Gefahr, dass abtrünnige FARC Kämpfer den bewaffneten Kampf beim ELN fortsetzen. Ein Friede ohne ELN wäre nur ein halber Friede.
"Wir bekämen einen richtigen Frieden, wenn mit allen bewaffneten Gruppen verhandelt würde."
Auch mit Paramilitärs, die wieder oder immer noch aktiv sind?

Schon jetzt gibt es ein staatliches Reintregationsprogramm für Paramilitärs

Ferley Ruiz Moreno weiß wovon er spricht. Als Minderjähriger war er von rechtsgerichteten Paramilitärs zwangsrekrutiert worden, hat fünf Jahre lang gegen die Guerilla gekämpft, den Drogenhandel protegiert und Bauern von ihren Ländereien vertrieben. Ferley hat den Absprung geschafft. Er nimmt am staatlichen Reintegrationsprogramm teil und hat seinen früheren Feinden, den Guerilleros die Hand zur Versöhnung gereicht.
"Ohne Vergebung und Versöhnung kann kein neues Kolumbien aufgebaut werden, das hieße nämlich weitermachen mit Gefühlen von Hass und Rache im Herzen. Als Kirche engagieren wir uns deshalb im Friedensprozess, damit die Kolumbianer im Herzen vergeben und sich versöhnen können."
Monsenor Luis Augusto Castro ist der oberste katholische Seelsorger im Land, der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
Die Kirche, in einem nicht von ausgesprochener Religiosität geprägten Land, ist auch in den Gegenden präsent, wo der Staat durch Abwesenheit geglänzt und die bewaffneten Gruppen ihr Unwesen getrieben haben. Gegenden, die von extremer Armut und krassen sozialen Gegensätzen geprägt sind.
Befreiungstheologen wie der legendäre Camilo Torres hatten sich seinerzeit sogar dem ELN angeschlossen, das auch heute noch oft auf die Kirche als Vermittler zukommt.
Derzeit scheint die ELN Führung aber die entscheidenden letzten Weichenstellungen in Havanna abwarten zu wollen.
Gerungen wird dort zurzeit vor allem um die Frage der Entwaffnung, um die künftigen Aufenthaltsorte der noch kampfbereiten 7000 FARC Guerilleros, ihre Resozialisierung und ihre Sicherheit.
Beabsichtigt ist die Guerilla in gewissen Zonen zu konzentrieren.
Die Entwaffnung und Einhaltung eines Friedensabkommens soll im Rahmen einer unbewaffneten Beobachtermission der Vereinten Nationen durchgeführt werden.
Der Teufel steckt dabei natürlich wie stets im Detail. Problematisch scheint auch die Frage der Sicherheit ehemaliger FARC Rebellen, die ihre Ziele künftig politisch verfolgen wollen. Vergangene Erfahrungen sind nicht gerade ermutigend.

Resozialisierte Guerillakämpfer riskieren ihr Leben

Hunderte, wenn nicht tausende Guerilleros, die ihre Vorstellungen politisch statt mit der Waffe durchsetzen wollten, wurden nach früheren Teil-Friedensprozessen ermordet – ebenso wie viele Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten, von denen gerade in diesen Tagen wieder einige ihr Engagement mit dem Leben bezahlt haben.
Somit ist klar: Allen Garantien zum Trotz riskieren resozialisierte Guerillakämpfer mit politischen Engagement ihr Leben. Sie scheinen bereit dazu! Und Kolumbiens Bevölkerung?
Sehnt sich nach Frieden, bleibt aber skeptisch in der Ahnung, was für eine enorme Herausforderung emotional, politisch und finanziell die Umsetzung des Abkommens bedeutet. Den Frieden zu schließen scheint da die vergleichsweise leichte Aufgabe, meint Lothar Witte von der Friedrich Ebert Stiftung.
"Es ist natürlich auch so, dass die FARC eine Entschuldigung dafür waren, die dringenden Probleme des Landes nicht anzugehen. Die dringendsten Probleme sind erst einmal, dass die Staatlichkeit wiederhergestellt werden muss, der Rechtsstaat hergestellt werden muss, die Gewaltökonomien, die sich entwickelt haben über 50 Jahre auch Werte größerer Teile der Bevölkerung pervertiert. Das geht von den ärmsten Bevölkerungsschichten bis zu den reichsten. Es müssen die illegalen Ökonomien überwunden werden. Man könnte sie auch legalisieren – das wäre auch eine Möglichkeit."
Über die die Regierung sogar laut nachdenkt. Sie hält den bisherigen Kampf gegen Drogen für gescheitert. Der private Konsum jedweder Droge ist in Kolumbien weitgehend entkriminalisiert, wird also weniger als Strafdelikt denn als Gesundheitsproblem behandelt. Im Rahmen des Friedensabkommens sollen nun Bauern überzeugt werden, Koka durch andere, legale Kulturpflanzen zu ersetzen. Ein langer schwieriger Weg.
Klar ist: Weder der Drogenhandel, noch die Kriminalität und Unsicherheit werden in Kolumbien per Federstrich unter ein Friedensabkommen verschwinden. Die Verlockung des schnellen Geldes ist zu groß, die Not im Land auch. Übergangsjustiz, Resozialisierung, Entschädigung der Opfer, vor allem aber die Entwicklung riesiger vernachlässigter Landstriche werden Unsummen verschlingen. Die internationale Staatengemeinschaft ist bereit zu helfen. Dennoch wird Kolumbien den Großteil selbst auftreiben müssen: Ober- und Mittelschicht, die am wenigsten unter dem Konflikt gelitten haben, werden wohl zur Kasse gebeten werden.
Der Zeitpunkt ist ungünstig: Trotz beachtlicher Wachstumsraten in den letzten Jahren beeinträchtigen die niedrigen Öl-, Kohle- und Kaffeepreise die Dynamik. Budgetkürzungen waren die Folge. Die Klimaveränderungen durch das Phänomen ‚ El Nino‘ führen infolge anhaltender Trockenheit zu Energieengpässen, da das Land auf Wasserkraft gesetzt hat.
Der Friede könne aber eine Wachstumsdividende von einem Prozent jährlich bescheren – hoffen die Optimisten. Neben Wirtschaftswachstum braucht das 48-Millionen-Einwohner-Land mit der größten Biodiversität auf dem Erdball aber vor allem eines: Einen grundlegenden Mentalitätswandel.
"Der Frieden würde dann Realität, wenn wir den illegalen Drogenanbau und Bergbau abstellen würden. Das sind zwei entscheidende Elemente. Und der Staat müsste der Korruption endlich einen Riegel vorschieben."
Meint der Ex Paramilitär Ferley Ruiz Moreno stellvertretend für viele im Land.
Drogen und illegaler Bergbau, bewaffneter Kampf in den Bergen und im Urwald: Dort leben diejenigen, denen Kolumbien einst ganz gehörte, die indigenen Gemeinschaften wie die Koguis aus der Sierra Nevada de Santa Marta.
"Die Guerilla soll endlich Frieden schließen, damit unsere Kinder als Saat des wahren Denkens, der wahren Werte, des richtigen Bewusstseins leben können. Wir müssen auch in Frieden mit der Erde, dem Wasser, der Gesellschaft leben, in Frieden mit der Luft und der Nahrung."
Harmonie im Inneren, mit der Gesellschaft, mit der Natur – nachhaltig: Der Cabildo, der politische Kopf der Koguis, José de Los Santos, setzt sich nicht nur für das Schweigen der Waffen, sondern für globalen Frieden des Menschen mit sich und der Natur ein. Mit dieser Lebenseinstellung hat sein Volk nicht nur die Kolonialisierung, sondern auch die 50 Jahre bewaffneten Konfliktes überlebt.
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