Theater zum Möglichkeitsraum machen
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Die Stadt Frankfurt will Theater und Oper am Willy-Brandt-Platz abreißen lassen und durch einen Neubau ersetzen. Ersan Mondtag hofft, dass dabei kein weiteres Monument patriarchaler Zentralperspektive in Beton herauskommt. Sondern eine "Bastion der Begegnung".
Die Stadt Frankfurt hat beschlossen, das Theater- und Operngebäude am Willy-Brandt-Platz abzureißen, um ein neues zu errichten. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, auch das Theater an sich zu reformieren, indem man seine Spielstätten und Hinterzimmer neu konzipiert.
Denn nicht nur die Struktur des Betriebs definiert die Architektur, auch andersherum. Die Möglichkeiten, die uns ein Foyer, Garderoben, eine Guckkastenbühne und ein Zuschauerraum mit ein, zwei Rängen geben, begrenzen die künstlerische Realität jeder Inszenierung. Und nicht nur das.
Auch dem Abbau von Hierarchien kann ein Neudenken der Räumlichkeiten zuträglich sein. Solange sich zwischen Intendantenbüro über die Dramaturgie bis zum Assistentenkämmerlein die pyramidale Herrschaftsordnung spiegelt, wird es schwer fallen, diese anders zu organisieren. Vielleicht ist also das Theater auch deshalb in seiner Reformierbarkeit gelähmt, weil die Hierarchien sich derart tief in seine Architektur eingeschrieben haben.
Es braucht eine offene Debatte
Ich möchte an den großen Bühnenbildner und Künstler Bert Neumann erinnern, der seit Anfang der achtziger Jahre Berlin in seiner kulturellen Identität geprägt hat wie kein zweiter. Als Chefbühnenbildner von Frank Castorfs Volksbühne spielte er auf unterschiedlichste Weise mit der widerspenstigen Architektur des Theatergebäudes.
Er brach mehrfach die Zentralperspektive der Guckkastenbühne auf. Dafür tauschte er Stuhlreihen durch Sitzkissen aus oder betonierte kurzerhand den gesamten Zuschauerraum. Diese Widerständigkeit gegen das architektonische Diktat konnte ganz neue Seherlebnisse provozieren. Ein Unglück, dass Bert Neumann vor fünf Jahren starb, er hätte uns noch viel zu zeigen gehabt.
Der beschlossene Neubau in Frankfurt jedenfalls könnte eine große Chance sein. Bevor dort allerdings für eine knappe Milliarde Euro das nächste Monument patriarchaler Zentralperspektive in Beton gegossen wird, braucht es eine Debatte darüber, wie das neue Theater aussehen sollte.
Zugänglichkeit, Flexibilität, Offenheit
Darum fordere ich, dass man nicht nur ein neues Gebäude, sondern auch ein neues Modell von Strukturen im Theater ausschreibt. Der Entwurf der Architektur muss sich dann orientieren an diesen neuen Strukturen. Die Essenz des Theaters der Zukunft muss hier wortwörtlich seiner Existenz vorausgehen.
Wie schafft man Raum für neue Strukturen, wie schafft man Zugänglichkeit und Flexibilität in den Spielstätten? Muss sich das Theater der Stadt offener zuwenden, durchgehend geöffnet sein, das eine oder andere Café ausbilden, Platz schaffen für neue Aktivitäten und Lehreinrichtungen? Was für einen Ort braucht das Theater, um wieder oder endlich diese vielbeschworene Bastion der Begegnung zu werden?
All das muss offen diskutiert werden. Nur eine Erwartung an das neu zu errichtende Theater scheint klar: dass es Möglichkeitsraum wird. Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne