Theater unterm Sommerhimmel
13:46 Minuten
Regisseur und "Rang 1"-Kolumnist Ersan Mondtag schaut aufs Theaterjahr 2021. Als Folge der Lockdowns befürchtet er Verteilungskämpfe. Er sagt aber auch: Das Theater könne neue Wege gehen – beispielsweise nach draußen.
In seiner "Rang 1"-Kolumne "Samstag mit Mondtag" hat Theaterregisseur, Bühnenbildner und Bühnenvisionär Ersan Mondtag das große Pandemie- und Krisenjahr 2020 begleitet und kommentiert – durchaus polemisch und angriffslustig. Es gab und gibt viel zu sagen, über die einzigartige Situation, in der die Bühnen sich noch immer befinden – in einem Lockdown, von dem man noch nicht weiß, wann und unter welchen hygienischen Vorsichtsmaßnahmen er wieder aufgehoben werden kann.
Auch Ersan Mondtag hat im vergangenen Jahr viele geplante Projekte nicht umsetzen könne. "Was sich als Gefühl festgesetzt hat, ist, dass man festgestellt hat, es ist alles gar nicht mehr so sicher, wie man dachte. Dass die ganze Theater- und Kulturförderung und die ganze Kunstpraxis, auch in ihrem Luxus vielleicht, wie wir sie hatten – nicht mehr selbstverständlich sind. Dass das plötzlich sehr angreifbar ist und auch sehr fragil." Als Künstler bedeute das einen starken Einschnitt. "Das hat gewissermaßen ein Stück Freiheit von einem genommen – man hat ein viel stärkeres Gefühl von Abhängigkeit."
Furcht vor Verteilungskämpfen
Die Pandemie wird auch in diesem Jahr Folgen haben, die noch nicht absehbar sind, aber Theatermacherinnen- und Theatermacher schon jetzt stark beschäftigen. "Es ist die Ungewissheit, die damit einhergeht, denn es werden bestimmt auch Kürzungen auf uns zukommen, es werden Verteilungskämpfe kommen", nimmt Ersan Mondtag an. "Und die Solidarität, die sich jetzt vielleicht eingestellt hat, könnte schnell wieder verschwinden. Das macht einem schon ein bisschen Angst und Sorge, wie das die nächsten Jahre ausschauen kann."
Bei einer Konferenz über postpandemisches Theater, die kürzlich unter anderem von nachtkrititk.de und der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet wurde, sagte Ersan Mondtag: "Das Theater, das ich vermisse, hat es nie gegeben." Aber welche Utopie hat er dabei im Sinn? "Das Theater muss sich erst mal grundsätzlich neu vermischen, um überhaupt etwas darzustellen, was die Gesellschaft mitnimmt." Diversere Bühnen, so Mondtag, brauchen diversere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Es wird sich erst dadurch ändern, dass man Leitungspositionen anders besetzt – mit Menschen, die andere Biografien haben."
Theater an neuen Orten
Viele Stadt- und Staatstheater haben sich angesichts der Bühnen-Lockdowns darüber empört, als reine Unterhaltungsbetriebe bezeichnet zu werden, haben ganz auf klassische Bildungsbürgerwerte gesetzt. Für Ersan Mondtag ist das nur teilweise nachvollziehbar, wie er erklärt. "Natürlich ist Theater auch Unterhaltung, machen wir uns doch nichts vor – Theater ist auch Freizeitbeschäftigung, und es ist auch nichts Falsches daran. Es ist aber auch nicht nur Unterhaltung und nicht nur Freizeitgestaltung. Das heißt, man muss die Mitte finden, glaube ich. Wir müssen uns nicht überschätzen, aber wir dürfen uns auch nicht unterschätzen."
Für das Theaterjahr 2021 sei in jedem Fall Flexibilität nötig. "Wenn Thomas Ostermeier sagt, wir möchten Theater im Sommer spielen beispielsweise, was ich ziemlich interessant finde, dann hat man jetzt Zeit, die Bühnen zu bauen", stellt Ersan Mondtag fest. "Das ist vielleicht auch ein Moment des Aufbruchs, dass man eben vielleicht auch mal aus der Spielzeitlogik herausdenkt und sagt: Ja, wir gehen mal in die Stadt rein oder in die Parks, machen da 400 Zuschauerplätze, arbeiten mit dem Sonnenlicht. Es gibt viele Möglichkeiten.