Chodorkowski in Freiheit schadet Putin weniger
In Berlin kündigte Michail Chodorkowski an, sich künftig weder politisch, noch geschäftlich zu betätigen. Das sei auch die einzige Botschaft, die in der russischen Bevölkerung ankommen soll, so Korrespondentin Gesine Dornblüth.
Das war ein sympathischer Auftritt des Ex-Häftlings Michail Chodorkowski. Er hat zwar nicht viel Neues gesagt, aber was er sagte, hatte Gewicht. Er erinnerte an die vielen politischen Gefangenen, die nach wie vor in Russland in Gefängnissen und Lagern sitzen, und er versprach, sich für sie einzusetzen.
Da nannte er natürlich seinen ehemaligen Partner Platon Lebedew, aber auch, und das ist wichtig, die wegen sogenannter "Massenunruhen“ angeklagten Teilnehmer einer Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau im Mai 2012. Auch sie sind Opfer russischer Behördenwillkür, wenn auch nicht so prominent. Für sie müssen sich westliche Politiker genauso einsetzen wie für den prominenten und exzellent vernetzten Ex-Magnaten.
Chodorkowski zeigte sich heute auch als verantwortungsbewusster Manager. Er verriet, weshalb er ein Schuldeingeständnis immer ausgeschlossen habe: Weil er damit viele tausend ehemalige Mitarbeiter seines Yukos-Konzerns ans Messer der Unrechtsjustiz geliefert hätte. Scheint heute ein hochanständiger Mensch zu sein, der Michail Borisowitsch. Was er in den 90er-Jahren in der Zeit des Raubtierkapitalismus getrieben hat, steht auf einem anderen Blatt, aber das müssten unabhängige Gerichte klären.
Viele Menschen in Russland kennen Chodorkowski gar nicht
Ihn nun zu einem künftigen Herausforderer Wladimir Putins zu stilisieren, zu einem möglichen Oppositionsführer, ist völlig unangebracht. Chodorkowski hat zwar in den Jahren seiner Haft an Sympathie in der russischen Bevölkerung gewonnen, aber sehr viele Menschen kennen ihn gar nicht. Eine russische Wochenzeitschrift fragte kürzlich Jugendliche nach verschiedenen Persönlichkeiten, unter anderem nach Chodorkowski. Die originellste Antwort: Der habe doch jüngst an einem wichtigen Boxwettkampf teilgenommen.
Dafür, dass Chodorkowski nicht bekannter wird, sorgt das allgegenwärtige Staatsfernsehen. Während zahlreiche Sender weltweit seine Pressekonferenz live übertrugen, strahlte der Staatssender Rossija 24 ein langatmiges Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden von "Gerechtes Russland“, Sergej Mironow, aus. Oppositionell ist der nur auf dem Papier.
In die russischen Nachrichten schaffte es dann lediglich Chodorkowskis Ankündigung, sich künftig weder politisch, noch geschäftlich zu betätigen. Das ist die Botschaft, die in den Weiten des Landes ankommen soll. Chodorkowski hatte Putin das bereits aus dem Lager heraus in einem persönlichen Brief zugesagt. Und das wird auch eine Rolle gespielt haben, als Putin sich nach zehn Jahren entschloss, seinen Intimfeind nun doch zu begnadigen.
Natürlich ist es dem Präsidenten auch darum gegangen, das Image Russlands vor den Olympischen Spielen aufzupolieren. Außerdem aber ist ein Moment eingetreten, in dem ein inhaftierter Chodorkowski Putin mehr schadet als ein Chodorkowski in Freiheit. In Freiheit außerhalb des Landes, versteht sich.
Erinnerungen an die Ausbürgerungen der Sowjetzeit
Glaubt man Chodorkowski, hatte er keine Wahl. Wecken nachts um zwei mit den Worten: Es geht nach Hause. Aufbruch. Unterwegs dann die Ansage: Es geht nach Berlin. Die Wachen verschwanden erst, als die Flugzeugtüren schon geschlossen waren. Mit vorweihnachtlicher Gnade hat das nichts zu tun. Diese Sonderoperation erinnert an die Ausbürgerungen der Sowjetzeit.
Chodorkowskis Begnadigung wirft einmal mehr die Frage auf, wie mit Russland umzugehen ist. Er selbst hat darauf diplomatisch geantwortet. Westliche Regierungen sollten an die noch verbliebenen politischen Gefangenen denken.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am Wochenende, Chodorkowskis Begnadigung und die Amnestie der Staatsduma gingen in die richtige Richtung, das sei – Zitat – "eine anständige Grundlage für weitere Gespräche, gerade im Bereich von Modernisierung und Rechtsstaatlichkeit.“
Steinmeier sollte bei diesen Gesprächen im Kopf behalten, dass just an dem Tag, an dem Chodorkowski frei kam, im Olympiaort Sotschi ein Umweltaktivist für drei Jahre eingesperrt wurde. Das sind die Realitäten in Russland.