Gesellschaftliche Spaltung
Die Masken sind weitgehend aus unserem Alltag verschwunden. Der Streit über die Coronamaßnahmen wirkt aber bis heute nach. © picture alliance / Sven Simon / Frank Hoermann
Was können wir aus der Coronakrise lernen?

Im Streit über Corona sind etliche Freundschaften zerbrochen. Vor fünf Jahren wurde der erste Lockdown in Deutschland verhängt. Seitdem herrscht zwischen "Team Freiheit" und "Team Sicherheit" oft noch immer Sprachlosigkeit. Dabei lohnt es sich, aufeinander zuzugehen.
„Team Freiheit“ oder „Team Sicherheit“? „Schwurbler“ oder „folgsames Schaf“? Die Frage steht im Raum, sobald es um Corona und Coronamaßnahmen geht. Auch fünf Jahre, nachdem es mit der Pandemie in Deutschland losging.
Streit gehört dazu
Die Spaltung wirkt bis heute nach und führt zu Sprachlosigkeit. Ich selbst erlebte das mit einer Freundin. Sie zog sich während der Pandemie zurück. Bei Facebook sah ich einen Post von ihr, der die Nazi-Diktatur mit der Coronapolitik verglich. Der Kontakt brach erst mal ab. Später luden wir uns wieder zu unseren Geburtstagen ein. Richtig unterhalten haben wir uns dabei nicht.
Nun habe ich sie wieder getroffen, um über die Coronazeit zu sprechen. Sie schildert mir, wie sich damals bei ihr „erst Verzweiflung, Unverständnis und irgendwann Resignation, dann Trotz“ breitgemacht hat. Weil sie meinte, dass es „die Entscheidung von jedem Einzelnen ist, ein Risiko einzugehen oder nicht,“ und die Coronamaßnahmen als massive Einschränkung der Freiheit empfand.
Damals habe sie sich auch von Freunden ziemlich viele böse Sachen anhören müssen. „Das Schlimmste war, dass ich schuld bin, wenn irgendwer stirbt. Ich müsste eigentlich weggesperrt werden, weil ich ja andere gefährde durch mein Verhalten, durch mein Sein.“ Sie wiederum wollte Freunde am liebsten davon abhalten, sich zu impfen, weil sie um deren Gesundheit fürchtete.
Das über Corona und die Coronamaßnahmen damals erbittert gestritten wurde, finde ich verständlich. Schließlich ging es für viele Menschen um massive Einschränkungen des Alltags, um die wirtschaftliche Existenz, um Leben und Tod. Streit und Diskurs gehört zur Demokratie außerdem dazu, sind ihrer Kernelemente. Im Wettstreit verschiedener Ideen kommen wir zu Kompromissen und Lösungen.
Allerdings geht es nicht darum, die eigene Meinung herauszuposaunen und sich dann die Ohren zuzuhalten, um die Argumente der Gegenseite ungehört an sich vorbeiziehen zu lassen. Im Gegenteil: Gerade wenn es unangenehm wird, sollte man ganz genau zuhören und versuchen zu verstehen.
Denn einfache Wahrheit gibt es selten. Das zeigt sich auch bei den Diskussionen über Corona und die Coronaschutzmaßnahmen.
Corona und Grippe
Zum Beispiel die Behauptung, Corona und Grippe seien durchaus vergleichbar. 2020 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 40.000 Menschen an Corona als Todesursache. An der Grippe starben 2017/18 etwas mehr als 25.000.
Nun werden die einen sagen: Die Zahlen liegen doch nicht allzu weit auseinander. Außerdem seien viele der Verstorbenen schon sehr alt gewesen und hätte Vorerkrankungen gehabt.
Die anderen werden eher die große Differenz der Zahlen betonen – und außerdem auf die zahlreichen Schutzmaßnahmen gegen Corona verweisen, die bei der Grippewelle nicht ergriffen wurden. Ohne sie hätten die Todeszahlen sehr viel höher gelegen. Dazu kommt, dass man bis heute nicht weiß, welche Langzeitfolgen das Virus noch zusätzlich zu Long Covid haben könnte. Ich bin keine Wissenschaftsjournalistin und keine Virologin: Ein abschließendes Urteil über die Gefahr des Coronavirus‘ wage ich da ganz sicher nicht.
Ländervergleich Schweden und Deutschland
Oder die Frage, ob Schweden, welches seine Bevölkerung zu weniger Schutzmaßnahmen gegen Corona verpflichtete, besser oder schlechter durch die Pandemiejahre gekommen ist als Deutschland. Bei den Corona-Todesfällen pro Einwohner liegen die beiden Länder wohl fast gleichauf.
Das zeigt aber noch lange nicht, dass Maßnahmen wie Impfen oder Masken nicht sinnvoll waren. Denn obwohl das Land viele Maßnahmen nicht verpflichtend vorschrieb, befolgten viele Menschen diese, ließen sich impfen und trugen Maske.
Darüber hinaus lassen sich die beiden Länder beispielsweise auch wegen ihrer Einwohnerdichte schwer vergleichen. Ganz davon abgesehen, ob die statistischen Zahlen in gleich Weise erhoben wurden und sich so einfach vergleichen lassen.
Maskengebot - ja oder nein?
Selbst die Frage, ob Maskengebote nun sinnvoll sind, wage ich selbst fünf Jahre nach der Pandemie nicht wirklich zu beantworten. Richtig auf- und eingesetzt, sowie alle paar Stunden gegen eine neue Maske gewechselt, schützen Masken sicher. Wenn die meisten Menschen die Maske aber eher als Schnäuztuch einsetzen und sie mehrere Tage lang im Gesicht vor sich hertragen, helfen sie wohl eher nicht.
Ein einfaches Richtig oder Falsch kann es bei vielen Behauptungen deswegen oftmals nicht geben. Stattdessen lohnt es sich, genau zuzuhören und nachzufragen. Vor allem für uns Journalisten und Journalistinnen muss das gelten.
Kritik an Medien und Corona-Berichterstattung
Damals warf mir meine Freundin vor, die öffentlich-rechtlichen Medien wären durch die Regierung zensiert, auch weil diese schließlich das Geld geben würden. Eine typische Behauptung, die damals kursierte und sicher einer der Gründe, weswegen ich den Kontakt mit ihr erst einmal mied.
Ein Gespräch, in dem ich versicherte, niemals irgendwelche Vorgaben erhalten zu haben, und das System des Rundfunkbeitrags erklärte, endete mit der Frage: Aber wieso habe ich die Berichterstattung so einseitig wahrgenommen?
Die Frage mit einem „Das stimmt doch gar nicht, die war nicht einseitig“ abzutun, finde ich zu einfach. Schließlich sind laut einer Umfrage der Universität Dortmund etwa 40 Prozent der Bevölkerung der Meinung, die Glaubwürdigkeit des Journalismus habe durch die Corona-Berichterstattung abgenommen. Es ging also nicht nur meiner Freundin so. Eine einfache Antwort habe ich aber auch hierauf nicht.
Ich kann mir nur weiterhin Fragen stellen. Habe ich wirklich alle ausreichend zu Wort kommen lassen? Habe ich zugehört – oder bin ich mit einer vorgefertigten Ansicht ins Gespräch gegangen? Habe ich zu sehr verkürzt, zugespitzt? Habe ich mich zu sehr auf die Expertise weniger Quellen verlassen?
Fehler einräumen - Meinungen ändern
Fünf Jahre nach dem Ausbruch von Corona in Deutschland bestehen die Gräben zwischen „Team Freiheit“ und „Team Sicherheit“ weiterhin. Beide Lager haben es sich mit ihren Ansichten bequem gemacht – und fordern von den anderen, doch endlich, endlich mal richtig zuzuhören und Fehler einzuräumen.
Ich habe einen Vorschlag. Vielleicht sollten wir uns stattdessen fragen: Wann habe ich selbst denn mal Fehler eingeräumt oder habe meine eigene Meinung korrigiert? Was habe ich aus all den heftig geführten Debatten gelernt? Denn das man selbst mit seiner Einschätzung immer richtig liegt und der andere grundsätzlich falsch, ist ziemlich unwahrscheinlich.
lkn