Kommentar

Den Maidan nicht preis geben!

Von Sabine Adler |
Wer zulässt, dass Sicherheitskräfte unbewaffnete Bürger gezielt töten, hat jegliche Legitimation verloren, meint Sabine Adler. Mit Viktor Janukowitsch darf es darum keine Verhandlungen mehr geben.
Abgehalfterte Diktatoren und Autokraten teilen eine Gemeinsamkeit, sie klammern sich bis zuletzt an ihrem Sessel.
Die Bemühungen der europäischen Troika in allen Ehren: Verhandlungen mit Viktor Janukowitsch kann es nicht mehr geben. Sehr wohl können derartige Gespräche aber seinen Abgang regeln. Deswegen müssen sie geführt werden, deswegen waren sie nötig, richtig und verdienen Respekt.
Doch die Menschen auf dem Maidan tun recht daran, wenn sie eine weitere Führung ihres Landes durch diesen Präsidenten ablehnen.
Wer zulässt, dass Sicherheitskräfte wie kriminelle Heckenschützen unbewaffnete Bürger gezielt töten, hat jegliche Legitimation verloren.
Präsident Janukowitsch hat sein Volk verraten. Die Scharfschützen haben nicht einzelne bewaffnete radikale Aktivsten auf dem Maidan ins Visier genommen, wie man das etwa bei Geiselnehmern tut, um Schlimmeres abzuwenden.
Nein, gestern haben Polizisten Demonstranten von den Barrikaden heruntergeschossen. Die hatten zu ihrer Verteidigung Steine und Molotowcocktails parat, für den Fall, dass sie einmal mehr gewaltsam vom Platz vertrieben werden würden.
Die Bürger geben den Maidan nicht preis. Sie deswegen aus dem Hinterhalt zu erschießen, ist menschenverachtend und ein Armutszeugnis für die politische Führung.
Nur Diktatoren gehen so gegen Andersdenkende vor. Demokraten suchen den Dialog, auch wenn er noch so schwer fällt.
Die Rückkehr zur Verfassung 2004 ist vielleicht der wichtigste Passus der erzielten Vereinbarung, das Parlament hat nicht gezögert und sie in seiner ersten Abstimmung heute verabschiedet. Gibt es ihm doch die Befugnisse zurück, die sich der Präsident angeeignet hatte.
Es hat nun die Vollmacht, die Regierung zu ernennen und machte davon mit der Absetzung des Innenministers sofort Gebrauch.
Und es Änderte ein Gesetz, dass die Freilassung von Julia Timoschenko ermöglicht.
In den politischen Prozess ist kräftig Bewegung gekommen, was die Hoffnung auf ein Ende der Gewalt nährt.
Und damit die beste Nachricht in dieser Woche darstellt.
In einem Punkt jedoch ist die Vereinbarung der Marathonverhandlungen der vergangenen Nacht vermutlich Makulatur: Präsidentschaftswahlen bis Ende des Jahres.
In Kiew werden die ersten Toten bestattet. Jedes einzelne Begräbnis wird daran erinnern, wer dieses viel zu frühen Ausscheiden aus dem Leben zu verantworten hat. Warum sollten die Bürger diesen Präsidenten länger ertragen wollen, wie sollten sie ihm je wieder ihre Stimme geben?
Nichts kann den Präsidenten auf seinem Stuhl retten, er würde gut daran tun, endlich zurückzutreten. Das wäre sein einziges und größter Verdienst.
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