Lied der Deutschen

Hymnensalat mit Nachgeschmack

04:38 Minuten
Siegerehrung im Springreiten bei den Olympischen Spielen in Paris: Gold für Christian Kukuk (BRD), Steve Guerdat (SUI) und Bronze für Maikel van der Vleuten (NED)
Nationalhymne bei der Siegerehrung: Der deutsche Springreiter Christian Kukuk gewinnt bei den Olympischen Spielen in Paris Gold im Einzelspringen der Herren. © picture alliance / rscp-photo / FRANK HEINEN
Von Hartmut Fladt · 09.08.2024
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Große Sportereignisse wie die Olympischen Spiele sind ohne das Abspielen der Nationalhymnen kaum vorstellbar. Ein Blick auf die deutsche Nationalhymne und ihre wechselvolle Geschichte.
Hoffmann von Fallersleben schrieb 1841 den Text vom „Lied der Deutschen“ in einer Zeit, in der Deutschland noch ein Flickenteppich aus großen, kleinen und kleinsten politisch-wirtschaftlichen und kulturellen „Einheiten“ war. Er wählte Joseph Haydns ruhig-getragene, schöne Melodie, die der Komponist in einem Streichquartett und in seiner „Kaiserhymne“ verwendete.
Hoffmanns „Einigkeit und Recht und Freiheit“ erklang vor der 1848er-Revolution als ein Appell. Wobei das Lied, besonders durch das „Deutschland, Deutschland über alles“ aus der ersten Strophe, bei entsprechender Singweise und bei Militärkapellen-Inszenierung immer wieder auch „militarisiert“ wurde und so einen chauvinistischen Charakter bekam. Zur Nationalhymne wurde das Lied erst 1922 in der Weimarer Republik.

1945: die Marsch- und Hymnenpause

Den Nazis gefiel das „Deutschland über alles“, und sie ließen ab 1933 nur diese erste Strophe singen. Ihr folgte aber immer das „Horst-Wessel-Lied“, ein dumpf trottender SA-Marschgesang.
Nachdem Hitler-Deutschland 1945 - über alles in der Welt - in die Katastrophe marschiert war, gab es erst einmal für vier Jahre eine von den Alliierten verordnete Marsch-und-Hymnen-Pause. Dann musste für die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland eine neue Hymne gefunden werden, und das galt später auch für die neu gegründete DDR.
Bundesrepublikanisch gab es einen Hymnen-Wettbewerb, der einen unsäglichen, tiefgründelnden Kitsch hervorbrachte. Da erwies sich der vielfache Gründervater Konrad Adenauer auch als Hymnen-Geburtshelfer.
Auf einer Veranstaltung im Berliner Titania-Palast stimmte er die dritte Strophe des Deutschlandliedes an, mit nachhaltigem Erfolg: Diese ist wirklich die schönste, schlichteste und wahrste in dieser Hymne, und sie ist der schönen Haydn-Melodie angemessen – und die beruht, wunderbar paradox, auf einem kroatischen Volkslied (Vjutro rano). Wenn das die Identitären wüssten!

Geschrei über die „Spalter-Hymne“

Wie reagierte die DDR? Zwei vor den Nazis ins Exil geflohene Künstler, der früher einmal avantgardistische Lyriker Johannes R. Becher und der revolutionäre Komponist Hanns Eisler, in den USA Freund von Charlie Chaplin und auch in Hollywood erfolgreich, schrieben ihre Hymne: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“. Das Geschrei über diese „Spalter-Hymne“ war in der Bundesrepublik groß, aber wenn man genau hinhörte, war da die schöne Zeile „Deutschland, einig Vaterland“ als offener Wunsch zu hören.
1974, Fußball-WM in der Bundesrepublik, in der Vorrunde treffen die beiden deutschen Mannschaften aufeinander. 1:0-Sieg der DDR, beide Hymnen erklingen, die der DDR aber hatte seit fast vier Jahren keinen Text mehr, wurde nur noch instrumental gespielt.
„Deutschland, einig Vaterland“, hatte ausgedient, ohne offiziellen Beschluss. Und bis zum DDR-Ende, fast 20 Jahre lang, wurde der Text eliminiert. Eine „Nation“ ohne Hymnentext? Das gibt es aber auch zum Beispiel in Spanien, wo die Zwietracht zwischen den Hauptregionen keine Hymnen-Einheit zulässt, auch in neugegründeten Staaten, die spät zu solchen wurden und vergeblich wenigstens nach alter Identität suchten und suchen.

Ideologie verzerrt den Charakter der Melodie

Nur zu oft endete diese Suche in der Neu-Textierung alter Militärmärsche mit dummen, prahlerischen Parolen. Und die sind nicht „des Glückes Unterpfand“. Dieses Glück stellt sich beim „Lied der Deutschen“ für die Singenden und die Instrumentalisten erst ein, wenn der Charakter der wunderbaren Haydn-Melodie nicht ideologisch verzerrt wird.
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