Wut im Internet
Bewegen sich Nutzer in den Sozialen Netzwerken nur noch in ihrer eigenen Filterblase? Und macht dies wirklich Diskussionen im Internet aggressiver? Soziologin Anna-Katharina Meßmer hält diese Theorie der Filterblase für überholt. © imago/ Westend61 / Gary Waters
Die Filterblasen-Theorie ist überholt
Durch Algorithmen im Internet konsumierten Nutzer vor allem Inhalte, die ihrem Weltbild entsprechen. Das steigere die Ablehnung gegensätzlicher Meinungen - so heißt es oft. Soziologin Anna-Katharina Meßmer hält diesen Erklärungsansatz für falsch.
Haben Sie auch ein Wort, bei dem Sie in den hundertjährigen Schlaf fallen, wenn Sie es hören? Für mich ist es: Filterblasen. Das Buzzword, wenn es um die Risiken sozialer Medien geht. Was mich daran stört? Dass es so inflationär verwendet, jede Aussagekraft verloren und mit der Realität nur bedingt zu tun hat.
Filterblasen, so die landläufige Meinung, entstehen dadurch, dass uns Algorithmen und Empfehlungssysteme sozialer Medien nur das anzeigen, was unsere Meinung bestätigt. Das stellt – so die Annahme – eine Gefahr für Menschen und Demokratien dar, weil Filterblasen unsere Einschätzung bestätigen, uns von anderen Meinungen abschotten und wir verlernen, miteinander in Austausch zu treten. Was schließlich zu einer gesellschaftlichen Polarisierung führt. Doch so einfach ist es nicht.
Ja, es stimmt – Algorithmen sortieren, was wir in den sozialen Medien zu sehen bekommen. Dabei spielen unsere Interessen eine zentrale Rolle. Empfehlungssysteme lernen, was uns interessiert und zeigen uns mehr davon an. Interesse wird dabei in mathematischen Parametern gemessen: zum Beispiel, wie viele Sekunden und wie oft wir ein Video anschauen, ob wir es liken, ob wir es kommentieren.
Wut klickt gut
Eine Form der Interaktion ist das sogenannte „Hate Following“. Das ist die Social-Media-Variante des Lesens von Klatschzeitschriften. Hate Following bedeutet, dass wir einer Person folgen oder einen Account regelmäßig aufrufen, weil er uns aufregt. Ich ärgere mich zum Beispiel gerne über Michael Wendler – früher bekannt für schlechte Musik, heute ein prominenter Verbreiter von Verschwörungsmythen.
Ähnlich wie Verkaufszahlen nichts darüber aussagen, warum ich eine Klatschzeitschrift kaufe, können Algorithmen auch nicht unterscheiden, ob ich mir ein Video anschaue, weil ich den Protagonisten großartig finde, oder ich mich mal wieder fremdschämen will. Es geht ausschließlich um die Berechnung, wie wahrscheinlich eine Interaktion ist.
Damit sind wir bei der ersten Fehleinschätzung in Bezug auf Filterblasen: Wir bekommen nicht mehr zu sehen von dem, was uns gefällt, sondern von dem, womit wir interagieren. Nicht ohne Grund lautet eine Social-Media-Binsenweisheit: Wut klickt gut.
Filterblasen in sozialen Medien verlassen
Damit sind wir beim zweiten Punkt: Der Annahme, dass wir als Gesellschaft auseinanderdriften, weil wir in den sozialen Medien nur angezeigt bekommen, was unsere Meinung bestätigt. Auch diese These ist nicht ganz zutreffend, sagt zumindest der digitale Geograph Petter Törnberg. Seine Studie kommt zu einem interessanten Schluss: Nicht das Isoliertsein von gegensätzlichen Ansichten treibt Polarisierung voran, sondern das Gegenteil.
Soziale Medien bringen uns dazu, außerhalb unserer lokalen Blasen zu agieren. Sie konfrontieren uns mit unterschiedlichen und gegensätzlichen Welten, Weltanschauungen und Meinungen. Wenn nun im globalen digitalen Raum unsere lokale Verwurzelung wegbricht, muss an diese Stelle ein anderes Identitätsmerkmal treten. Das ist in den sozialen Netzen die politische Überzeugung. Dieser wird dann alles andere untergeordnet: selbst private Präferenzen. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass soziale Medien keine Arena für den Austausch von sachlichen Argumenten sind. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Emotionen, die der Identitätsbildung und Identitätsabsicherung dienen. Und dies geschieht oftmals in Konfrontation – Stichwort Hate Following.
Das ist der Grund, warum Filterblase als Buzzword problematisch ist: Es entsteht dabei der Eindruck, wir könnten die gesellschaftliche Polarisierung überwinden, indem die Plattformen Nutzer:innen mit konträren Meinungen konfrontieren. Doch wenn Törnbergs Ergebnisse zutreffen, würde das die Polarisierung erst so richtig anheizen, und die eigentliche Lösung wären, nun ja: Filterblasen.