Nach Magdeburg
Vor der Johanniskirche in Magdeburg haben die Menschen Kränze, Blumen und Kerzen zum Gedenken an die Opfer der Todesfahrt auf dem Weihnachtsmarkt niedergelegt. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Kommentar: Ein weiterer Abbau des Asylrechts verbietet sich
04:38 Minuten
Nach der Amokfahrt von Magdeburg ließen Forderungen von rechts nicht lange auf sich warten, die Asylpolitik in Deutschland zu verschärfen. Doch die Lage in Syrien wird noch länger unübersichtlich und instabil bleiben. Das Schüren von Angst verbietet sich daher.
Die Tat von Magdeburg lehrt neue Achtsamkeit und Demut zugleich. Genauer hinsehen für unsere Sicherheit. Täter-Profile, die in kein bekanntes Muster passen, nicht schnellen Vorurteilen aussetzen und mediale Routinen überprüfen: Wenn der Täter der AfD nahe und anti-islamisch ist, dann sollte dies auch in Nachrichten konsequent erwähnt werden.
Überlegenswert sind Hinweise, dass und wie sich psychische Erkrankungen und subjektive Radikalität in demokratiefeindlichen Einstellungen widerspiegeln können.
Wird die Politik einige dieser Ansätze für neue Vernunft im Wahlkampf beherzigen? Schaffen wir es, Gesellschaft nicht immer wieder in ‚Wir‘ und ‚die‘ einzuteilen, was Neid und Hass schürt? Als kenne niemand seine Nachbarn: den anatolischen Friseur, die osteuropäische Pflegekraft, den syrischen Schneider.
Die Debatte um Syrien nach Assad lässt erschaudern wegen übereilter Rufe nach Abschiebungen. Noch auf Wochen hinaus wird die Lage in Syrien unübersichtlich und instabil bleiben. Ein weiterer Abbau des Asylrechts und das Schüren von Angst verbieten sich daher.
Die aktuelle Abschiebe-Diskussion verunsichert unnötig viele Menschen – Zugewanderte wie Deutsche. Das finden gerade mittelständische Unternehmen, die mit den eingewanderten Arbeitskräften überwiegend gute Erfahrungen machen.
Die Ausländer von heute sind die Gründer von morgen
Ausgerechnet dort, wo die AfD ihre Hochburgen hat, im Osten, könnte vielen Menschen ein Licht aufgehen, wenn erkennbar wird, dass ihr Ärzte- und Pflegepersonal, ihre Krankenstationen und Not-OPs in der Fläche wegbrechen ohne Fachkräfte aus dem Ausland. Regionale Notstände könnten die Folge sein – und neue Spaltung. Denn Gesellschaft bedeutet immer auch soziale Dynamik, sie ist nie im Stillstand. Die Ausländer von heute sind die Gründergeneration von morgen.
Die Doppelmoral aus „Retten“ und „schnell wieder Abschieben“ fällt zusammen mit politischer Kurzsichtigkeit auf dem Höhepunkt von Krieg und Krise: Als das freie Syrien 2011 militärische Hilfe vom Westen gebraucht hätte, zögerte dieser. Russland füllte das Vakuum.
Nun droht Syrien bei aller Freude über die neu erlangte Freiheit, womöglich von den Begehrlichkeiten Israels, der Türkei, US-Amerikas, Irans und Russlands erneut zerrieben zu werden. Afghanistan lässt grüßen.
Wo bleibt Deutschlands Verantwortung für Afghanistan?
Vor 45 Jahren flüchteten AfghanInnen vor der sowjetischen Invasion am Hindukusch nach Deutschland. Den beschämenden Abzug aus Afghanistan im August vor drei Jahren und der Exodus, der ihm folgte, hat Deutschland mit zu verantworten.
Nun stehen auch Afghanen und Afghaninnen vor erneuter Abschiebung. Und das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, im Oktober 2022 für monatlich 1.000 Bedrohte geschaffen, sehr wahrscheinlich vor dem Aus.
Nur wenige Hundert Menschen wurden tatsächlich aufgenommen. Tausende, die bereits eine schriftliche Aufnahmezusage haben, sitzen noch in Pakistan. Um sie wird jetzt politisch gerungen. Spielt die Politik hier auf Zeit?
Oder stellt sie sich der Verantwortung?
Gerade weil das Ansehen von Politikern auf einem Tiefstand ist, der Mangel an politischen Visionen zugleich mit den Händen zu greifen und gerade weil gesellschaftlicher Zusammenhalt so fragil wie selten erscheint, lohnt es sich, an zivilgesellschaftliche Tugenden zu erinnern:
Im Januar vor einem Jahr gingen die Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Gegen politische Instrumentalisierung - für kreative, dezentrale Lösungen.
Wenn wir diesen Esprit wiederfinden, ist mir um 2025 nicht bang.