Kommentar
Im Fokus des Wahlkampfs der CDU steht die deutsche Wirtschaft – Friedrich Merz ist ein Wirtschaftsliberaler und gibt sich als Anwalt der „Fleißigen in unserem Land“, wie er sagt. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Mit Friedrich Merz kommt eine neoliberale Wende
04:34 Minuten
Friedrich Merz bringt sich als nächster Bundeskanzler in Stellung. Mit ihm kommt nicht nur ein Aus für sozialpolitische Projekte wie die Mietpreisbremse, sondern eine grundsätzliche Wende: weniger Sozialpolitik, mehr Markt.
Die Ampel ist futsch, die neue Regierung noch nicht gewählt – und nun? So viel ist schon mal klar: Für so manches Großprojekt der einstigen Fortschrittskoalition aus SPD, Grüne und FDP bedeutet das Ampel-Aus einen Rückschritt. Zum Beispiel die Kindergrundsicherung, das Lieblingsvorhaben der Grünen. Kann man jetzt komplett vergessen. Kinder aus finanziell schwachen Haushalten können sich beispielsweise die neuen Turnschuhe, die sie dringend brauchen, nun aus dem Kopf schlagen.
Ende vieler sozialpolitisch fortschrittlichen Projekte
Oder die Mietpreisbremse. Ab sofort dürfen Mieter noch stärker zittern als sowieso schon: Die nächste Mieterhöhung kommt garantiert und Vermieter klatschen freudig in die Hände: Sie werden auch die letzte Bruchbude für viel zu viel Geld los, die Wohnungsnot in Deutschland ist bekanntermaßen groß.
Oder das Bürgergeld. Schon die FDP hatte immer wieder darauf gedrängt, Menschen, die aufs Bürgergeld angewiesen sind, stärker als je zuvor in miese Jobs zu drängen oder ihnen das ohnehin schon knappe Bürgergeld zu kürzen, wenn sie sogenannte Ein-Euro-Jobs ablehnen.
Apropos Ein-Euro-Jobs: Viele alte Menschen müssen trotz Rente immer noch arbeiten, weil ihr mickriges Altersgeld nicht zum Leben reicht. Die Miete muss ja bezahlt werden und vielleicht auch mal ein Eis für die Enkelin. Ja, liebe Rentner und Rentnerinnen, auch Euch hat die Ampel im Stich gelassen.
Migration und Geschlechterparität
Die Liste der sozialpolitischen und progressiven Projekte, die mit dem Ampel-Aus zu Grabe getragen werden, ließe sich weiter verlängern. Auf Fortschritt, so wie ihn SPD, Grüne und FDP formuliert hatten, darf niemand mehr hoffen. Man muss auch keine Prophetin sein, um zu ahnen, dass die nächste Regierung Fortschritt anders definieren wird: mehr Markt und weniger Sozialpolitik.
Friedrich Merz, der sich als nächster Bundeskanzler schon mal in Stellung bringt, hat da auch Pläne: Unkontrollierte Migration nach Deutschland eindämmen und mehr Geflüchtete abschieben, das Bürgergeld abschaffen und die Klimapolitik gleich mit, zumindest will Merz den Atom-Wiedereinstieg überprüfen und Verbrenner ungebremst fahren lassen.
Von Frauen hält Merz nicht viel, zumindest nichts von Frauen in der Politik, ein Merz-Kabinett dürfte vor allem männlich sein, denn Geschlechterparität wird es mit Merz nicht geben. Und dann wäre da noch das leidige Thema Schwangerschaftsabbruch. Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland will, dass Abtreibungen legalisiert werden. Die Ampel wollte den § 218 abschaffen, Christdemokraten lehnen das bekanntermaßen ab.
Weniger Staat, hin zu mehr Kapitalismus
Aber es geht hier nicht nur um eine Reihe von progressiven Projekten, die die CDU canceln will, es geht um eine grundlegende politische Wende: weniger Staat und mehr Kapitalismus. Also noch mehr Vermögen für Reiche und noch weniger Hilfen für Ärmere und vulnerable Gruppen. Every man for himself statt Inklusion und Rücksichtnahme.
Moment mal, kommt einem das nicht bekannt vor? Gab es so etwas nicht schon einmal? Richtig: zu Beginn der 1980er-Jahre in Westdeutschland, als der neue Bundeskanzler Helmut Kohl einen strikten Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einschlug. Kohl wollte die wirtschaftliche Stagnation beenden und den sozialdemokratisch-liberalen Kurs der Vorgängerregierungen umkehren.
Wie Helmut Kohl in den 1980er-Jahren
Von einer "geistig-moralischen Wende" war damals die Rede – und die könnte uns auch heute wieder drohen. Denn Merz’ aktuelle Pläne erinnern fatal an Kohls Wende vor 42 Jahren, die Deutschland tatsächlich fundamental verändert hat.
Aber heute ist die Situation noch verschärfter als damals. Denn der Neoliberalismus kehrt nicht nur bei uns zurück, diese Tendenz wird durch den Rechtsruck in Europa und den Wahlsieg Donalds Trumps in den USA massiv gestärkt.
Es wird kalt in Deutschland – und damit ist nicht das Wetter gemeint.