Kommentar zur Klimakrise
Das Ziel der Begrenzung des Klimawandels hätte einen Platz in der UN-Charta oder im Grundgesetz verdient, kommentiert Pauline Pieper. © picture alliance / dpa / Christoph Driessen
Die Politik der planetaren Zeit anpassen
04:33 Minuten
Während in Bonn der nächste Klimagipfel vorbereitet wird, steigen die globalen Emissionen weiter. Die Klimakrise überfordert die Institutionen, kommentiert Pauline Pieper. Die Zeithorizonte der Politik passen nicht zu denen des Planeten.
Sieben Jahre bleiben uns noch. Bis 2030 müssen die weltweiten CO2-Emissionen halbiert werden. Sonst besteht keine Chance mehr, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. So steht es im jüngsten Bericht des IPCC. Sofort, mahnt der Weltklimarat, müssten drastische Maßnahmen umgesetzt werden.
Genau das sollen die UN-Klimakonferenzen in die Wege leiten. Derzeit wird mal wieder in Bonn beraten, um das nächste Treffen vorzubereiten. Jahr für Jahr finden diese Vorverhandlungen statt, Jahr für Jahr tagt die Klimakonferenz – und Jahr für Jahr steigen die Emissionen.
Zweifel an den politischen Institutionen
Diese ernüchternde Bilanz weckt Zweifel daran, ob unsere politischen Institutionen der Klimakatastrophe gewachsen sind. Das Zeitfenster, in dem die schlimmsten Folgen noch zu mildern wären, droht sich zu schließen.
In schmerzlichem Kontrast steht dazu die jährliche Routine, in der die Staaten Absichtserklärungen formulieren, ohne sich dabei auf wirksame Maßnahmen zu einigen. Das gilt nicht nur für die internationale Politik. Man denke nur an die wochenlangen Diskussionen um das Heizungsgesetz hierzulande. Obwohl angeblich alle Klimaschutz wollen, verhakt man sich in parteipolitischen Streitereien.
Mit dem Historiker Dipesh Chakrabarty lässt sich hier ein ganz grundlegendes Problem ausmachen: die Kollision verschiedener Zeitmaßstäbe. Als Politikerinnen und Politiker denken wir mitunter nur in Wahlperioden. Der Zeithorizont eines Menschen umfasst die Spanne seines Lebens.
Als globale Zeitlichkeit wiederum bezeichnet Chakrabarty die menschliche Historie. Gesprengt wird aber selbst dieser Zeitmaßstab noch von der planetarischen Zeitlichkeit. Diese ist erst vor wenigen Jahrzehnten in unser Bewusstsein gerückt.
Bewusstsein für die Zeitlichkeit des Planeten
Für den Großteil der menschlichen Geschichte spielte die Zeitlichkeit des Planeten keine Rolle. Boden, Wasser, Atemluft, die Biodiversität wurden als Gegebenheit betrachtet. Mit der Kenntnis vom anthropogenen Klimawandel sind wir jedoch, wie Chakrabarty es ausdrückt, in die „Tiefenzeit“ des Planeten gestürzt. Denn der Planet ist keineswegs zeitlos. Er beruht auf geologischen und biologischen Prozessen, die sich teils über Milliarden von Jahren erstrecken und die anfällig sind für Eingriffe des Menschen.
Diese planetarische Zeitlichkeit bekommen wir aber, so Chakrabarty, mit unseren politischen Institutionen kaum in den Blick. Sie übersteigt schlicht die menschliche Erfahrungswelt. Unser Einfluss auf das Erdsystem wird noch in hunderttausend Jahren zu spüren sein. Sind Kipppunkte erst einmal überschritten, sind die Folgen irreversibel.
Diesen immensen zeitlichen Dimensionen steht die kurzfristige Zeitlogik der Klimapolitik gegenüber. Politiker, deren Zeithorizont vielleicht gerade noch die eigenen Kinder umfasst, müssen sich auf Maßnahmen einigen, die unvorstellbar weit in die Zukunft wirken. Kurzfristige Profitinteressen aus der Wirtschaft beeinflussen politische Entscheidungsprozesse ebenso wie Sorgen um die eigene Wiederwahl. Wer aber die zeitliche Dimension des Planeten nicht in ihrer ganzen Tragweite begreift, wird auch die Dringlichkeit effektiver Klimaschutzmaßnahmen verkennen.
Ein planetarisches Bewusstsein verankern
Aber ließe sich nicht ein Bewusstsein für die planetarische Zeitlichkeit institutionalisieren? Mit Blick auf Deutschland könnte man etwa überlegen, ob die Wahrung der 1,5-Grad- bzw. 2-Grad-Grenze nicht einen Platz im Grundgesetz verdient hätte.
Auch die UN-Charta lässt die Begrenzung des Klimawandels als Ziel vermissen. Wir müssen Wege finden, ein planetarisches Bewusstsein zu verankern, denn die menschliche Zeit ist an die des Planeten gebunden – die des Planeten aber nicht an die menschliche. Wir sind in der vier Milliarden Jahre umfassenden Geschichte des Planeten, wie Chakrabarty sagt, nur „Gäste auf der Durchreise“. Ob es gelingt, unsere Zeit mit der des Planeten in Einklang zu bringen, wird darüber entscheiden, ob wir noch eine Weile bleiben können.