Kommentar zum Klimawandel
Klimawandel, Mangel an Ressourcen, Verlust an Biodiversität: Eine Wirtschaft im Sinkflug kann eine Chance für die Zukunft sein, sagt der Politologe Thomas Rixen. © picture alliance / Jens Niering / Jens Niering
Das Ende des Wachstums ist notwendig
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Wie auf die Klimakrise reagieren? Die gängige politische Erzählung suggeriert, dass die Wirtschaft mit einer grünen Industriepolitik weiterwachsen könne. Klingt gut, stimmt aber nicht, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Rixen.
Das Konzept des „grünen Wachstums“, das den Programmen und Handlungskonzepten aller politisch einflussreichen Parteien und wirtschaftlichen Akteure unterliegt, basiert auf der Idee, dass sich Wirtschaftswachstum von Umweltverbrauch entkoppeln lässt – also, dass mehr Wohlstand möglich ist, ohne zusätzliche Schäden an der Umwelt zu verursachen.
In der Praxis sieht das anders aus: Bislang ist es lediglich gelungen, eine relative Entkopplung zu erreichen, also den Umweltschaden und Ressourcenverbrauch pro Einheit des Wirtschaftswachstums zu senken. Und auch das nur in einigen wohlhabenden Ländern des Globalen Nordens und meist nur vorübergehend. Gebraucht wird aber eine absolute Entkopplung, also das Ausbleiben jeglicher zusätzlichen Umweltschäden für weiteres Wirtschaftswachstum. Denn die planetaren ökologischen Grenzen sind bereits erreicht. Und es müsste in allen Ländern der Welt gelingen – also auch in jenen Ländern des Globalen Südens, in die wir die schmutzige Produktion unserer importierten Konsumgüter ausgelagert haben.
Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass es möglich wäre, in der uns verbleibenden kurzen Zeit bis zum ökologischen Kollaps eine solche absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung zu verwirklichen.
Weniger Wirtschaftswachstum, mehr Lebensqualität
Wenn wir wirklich ernsthaft handeln wollen, müssen wir das Wachstumsparadigma aufgeben und bewusst in Kauf nehmen, dass unsere Wirtschaft in bestimmten Bereichen schrumpft. Nur so können wir die planetaren Grenzen respektieren. Das klingt erst einmal beängstigend. Bedeutet das nicht Verzicht und eine Absenkung unseres Lebensstandards? Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall!
Immer mehr Menschen leiden unter den Anforderungen der Wachstumsgesellschaft: Stress, Zeitdruck und psychische Belastungen wie Angststörungen und Depressionen nehmen zu. In einigen vermeintlich wohlhabenden Ländern sinkt sogar die durchschnittliche Lebenserwartung. In den reichsten Ländern der Welt führt weiteres Wirtschaftswachstum schon seit Längerem - das belegen die Zahlen - nicht zu mehr, sondern zu weniger Glück und Zufriedenheit, den eigentlichen Gradmessern unseres Wohlstands.
Nicht nur die Natur leidet, sondern auch wir Menschen. Wir sehnen uns nach mehr Ruhe und Zeit, nach tieferer Verbundenheit mit uns selbst, anderen Menschen und der Natur. In dieser Sehnsucht liegen große Chancen für eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Umgestaltung, die ohnehin unausweichlich ist.
Angst vor gewollter Schrumpfung der Wirtschaft
Wenn die Vorteile eines Postwachstumsmodells so offensichtlich sind, warum wird es dann nur in Teilen der Wissenschaft und von einigen zivilgesellschaftlichen Bewegungen diskutiert? Warum greifen einflussreiche politische und wirtschaftliche Akteure das Thema nicht auf?
Der Grund dafür liegt tief in den Strukturen unserer Wirtschaftsweise. Die Wachstumslogik ist tief in den Kapitalismus, inklusive seiner sozialstaatlichen Abfederung durch Klassen- und Verteilungskompromisse, eingeschrieben. Es gibt in der Moderne keinen historischen Präzedenzfall für eine gewollte, geordnete Schrumpfung der Wirtschaft. Die Angst vor den dann offen zutage tretenden und sich verschärfenden Verteilungskonflikten lähmt den Mut zu einer bewussten, weitreichenden Veränderung. Stattdessen waren große und weitreichende Transformationsprozesse immer das Ergebnis von äußeren Bedrohungen wie Kriegen oder tiefen Krisen.
Den unkontrollierten Zusammenbruch vermeiden
Wenn wir vermeiden wollen, dass ein unkontrollierter Zusammenbruch der einzige Ausweg bleibt, müssen wir uns zunächst vom Märchen des unbegrenzten Wachstums auf einem begrenzten Planeten verabschieden. Wo sind die mutigen Entscheider und Entscheiderinnen, die uns reinen Wein einschenken und uns helfen, die Potenziale eines neuen Wohlstandsmodells heben?