Umweltökonomin Maja Göpel

Wie kann ein Wandel unseres Wirtschaftssystems gelingen?

"Louis Vuitton"-Boutique in der Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand. Eine prächtige Fasade in einem Kaufhaus.
Neue Zeiten verlangen verändertes Verhalten: Manche Konsummuster kann sich die Gesellschaft in die Zeiten des Klimawandels nicht mehr leisten. © picture alliance / Daniel Kalker
Von Maja Göpel · 16.05.2023
Die Klimakrise spitzt sich auch dann zu, wenn viele die schlechten Nachrichten nicht mehr hören wollen. Die Umweltökonomin Maja Göpel plädiert dafür, Konsummuster schnellsten zu verändern: Alte Gewohnheiten aufgeben, um Zukunft zu gewinnen.
Zeiten voller Unsicherheiten sind anstrengend. Zeiten voller Unsicherheiten bringen uns auf. Manchmal auch gegeneinander. Gewohnheiten und Routinen brechen weg. Was sie ersetzen kann, schimmert zwar am Horizont, ist aber noch nicht so ganz greifbar. Oder eben ungewohnt. Anders. Weniger bequem. Zumindest der Weg dorthin.
Manchmal gelingt es uns, diesen Weg als Innovation zu sehen, manchmal überwiegt das Verlustgefühl. Das kommt immer auch auf die Perspektive an, aus der wir blicken. Weshalb ein bewusster Umgang mit der Perspektive so wichtig ist und die Frage danach, wessen Perspektive wie stark berücksichtigt wird. Die Perspektive der Naturwissenschaften zum Beispiel empfinden viele heute als Zumutung.
Warum eigentlich? Erst einmal ist sie wissenschaftlich fundiert. Die Zumutung liegt dann eher darin, welche Konsequenzen sich daraus ableiten. Ein gigantischer Innovationsauftrag nämlich. Unsere Produktions- und Konsummuster einmal transformieren. Gewohnheiten verlieren, um Zukunft zu gewinnen.

Zeiten der Unsicherheiten sind eine Zumutung. Denn sie muten uns zu, den Status quo zu hinterfragen. Darin liegt auch eine große Chance.

Maja Göpel

Klingt groß und das ist es auch. Das geht am besten als Kooperationsleistung. Deshalb sind es unsere soziokulturellen Leistungen, aus denen in unsicheren Zeiten so etwas wie Erwartungssicherheit entstehen kann. Ein klarer Blick auf das Wesentliche, ethische und normative Leitplanken, die uns helfen zu sortieren, zu priorisieren und im Transformieren richtungssicher zu bleiben.

Für eine Landnutzung, die Arten und Klima schützt

Blicken wir auf das Wesentliche, sehen wir nämlich, dass durch unsere aktuelle Normalität ziemlich viel verlustig geht. Ein ausreichend umfangreiches Naturvermögen zum Beispiel. Stabile Lebensgrundlagen. Ohne natürliche Rohstoffe, nachwachsende Ressourcen, verlässliche Wasserversorgung und gesunde Böden, die uns Nahrungsmittel spenden, wird es sehr unbequem. Da kann eine technisch-digitale Revolution uns vielleicht noch zum Mars katapultieren, aber wieso das eine lebensfreundliche Umgebung für biologische Wesen sein soll, bleibt unbeantwortet.
Stattdessen könnten wir unsere Innovationsfreude dafür einsetzen, die oft unbeachtete Wertschöpfung lebendiger Systeme erneut anwachsen zu lassen. Zum Beispiel für eine Landnutzung, die Biodiversität regeneriert und CO2 absorbiert, Arten schützt und Tiere respektiert, gesunde Lebensmittel in gesunden Mengen für gesunde Menschen anbietet. Klar, dazu gehört auch eine Fortentwicklung unserer Ernährungsgewohnheiten. Haben wir schon ein paar Mal gemacht in der menschlichen Geschichte.
Auch im sozialen Miteinander lohnt sich die Suche nach dem Wesentlichen und die Frage, warum wir heute auf so viel verzichten. Unter welchen Bedingungen, zum Beispiel, fühlen sich Menschen sicher versorgt? Warum liegen Tätigkeiten der Fürsorge dann am unteren Spektrum von Einkommen und Reputationsskala? Wieso ist es fortschrittlich, wenn in Familien alle 40 Stunden arbeiten und damit keine Zeit für Pflege- und Erziehungsleistungen mehr haben? Wie konnte uns die katastrophenklare Besinnung auf systemrelevante Jobs und sinnvolle Zeitnutzung nach der Pandemie so schnell wieder verloren gehen?

Heraus aus der Komfortzone bewegen

Verloren geht uns der Blick auf das Wesentliche heute so leicht, weil er sich nicht in den handlungsleitenden Zahlen und Erzählungen findet. Wo im Bruttoinlandsprodukt findet sich die natürliche Wertschöpfung der Ökosysteme oder die unvergütete Pflegearbeit? Wieso ist es nicht wirtschaftlich, wenn ein Unternehmen die natürlichen Ressourcen möglichst umfassend regeneriert? Worum geht es eigentlich beim erfolgreichen Wirtschaften und wie gewinnen wir da wieder klare Sicht?
Zeiten der Unsicherheiten sind eine Zumutung. Denn sie muten uns zu, den Status quo zu hinterfragen. Darin liegt auch eine große Chance. Denn Psychologen beschreiben es als Wachstum, wenn wir uns aus der Komfortzone bewegen. Möglichst ohne dass wir die Panikzone erreichen. Dafür lohnt sich der bewusste Perspektivwechsel: aus dem Rückspiegel auf den Horizont. Nicht zu vergessen, der aufmerksame Blick zur Seite. Die wünschenswerte Zukunft ist ein Gemeinschaftswerk.

Maja Göpel ist Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung sowie Autorin der Bestseller „Unsere Welt neu denken” und „Wir können auch anders”, Hochschullehrerin und Mitbegründerin von Scientists4Future.

Die Transformationsforscherin Maja Göpel bei einer Rede. Sie hat blonde Haare und spricht zu einem Publikum.
© picture alliance / foto2press / Steffen Proessdorf
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