Kommentar zum neuen Optimismus

Gegen die Zwänge der Schwarzmalerei

04:42 Minuten
Rafael Nadal steht auf einem Tennisplatz und jubelt.
Rafael Nadal jubelt - er war bei den Olympischen Spielen einer der populärsten Sportler, obwohl er nicht mehr ganz oben mithalten konnte. © picture alliance / HMB Media / Steffie Wunderl
Ein Kommentar von Petra Gehring |
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Ob das Lachen der US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris oder die Olympia-Euphorie: In den letzten Wochen war eine neue Welle des Optimismus zu beobachten. Das ist auch philosophisch zu begrüßen - denn Freisein geht nur mit Zuversicht.
Wir müssen über Optimismus reden. Zwar hört man in dieser Woche bereits wieder vom Schwächeln der deutschen Konjunktur. Jedoch sind zum vergangenen Wochenende hin Wogen der Zuversicht durch die Kommentarspalten geglitten: Eine laut lachende US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin lässt ihren grimmig dreinblickenden Kontrahenten alt aussehen – dessen Schimpftiraden wirken plötzlich schal.

Tanz in den Straßen von Paris

In die Olympiade in Paris starteten zunächst lediglich die Mannschaften „optimistisch“. Dann aber tanzte das Publikum auf den Straßen, in den Wettkämpfen und auf den Podesten wurde gesungen. Team Deutschland habe auf dem Rückweg im „Party-Zug“ „völlig losgelöst“ gefeiert, heißt es. Paris 2024 sei magisch gewesen. Vor allem aber „glaube“ auch Frankreich nach den gelungenen olympischen Spielen „wieder an sich“, wie eine deutsche Wochenendzeitung weiß.
USA, Frankreich, weltweites Sportpublikum: überall Zuversicht! Vormals verdrießliche, mutlose Bürgerinnen und Bürger zeigen nicht nur die Bereitschaft, sich zu freuen. Sie entdecken, scheint's, versehentlich viel mehr: nämlich die gute Laune – die Freude am halbvollen Glas statt dem halbleeren –, sogar als die bessere Kraft in der Politik. Ist das individuelles Gefühl? Oder kollektiver Propagandaeffekt, Opium des Volks? Optimismus: Da denkt man zunächst an irgendwas zwischen Hoffnung, Scherzlaune und Durchhalteparole.

Optimismus als Realismus: Leibniz und Kant

Philosophisch ist der Ausdruck älter als man denkt und liegt weitab von Laune oder Gefühl. Tatsächlich zielte er zunächst aufs Problem des „Optimum“, also des „Besten“. Leibniz war Optimist in dem Sinne, dass er die gegebene Welt für die beste aller möglichen hielt, eben deshalb, weil (nur) sie real ist.
Kant unterstützte dies: Realität muss als optimal begriffen werden, sofern sie alternativlos ist.
Die Gegner eines solchen Optimismus saßen natürlich im theologischen Lager: Ihnen zufolge frevelt die Rede von der vollkommensten aller Welten gegen Gott. Gott müsse man jederzeit zutrauen, etwas für uns Unvorstellbares, noch Vollkommeneres zu schaffen.
In diesem Sinne begründet der Optimismus philosophisch gesehen einen modernetypischen Realismus: Mit ihm endet der Wunderglauben an ein Vetorecht Gottes. Etwas paradox bekennt sich der Optimist zur gegebenen Welt als „bester“, weil es irrational und also schlecht wäre, auf eine noch bessere zu hoffen. Kant rät folglich, statt an Kirchenmoral, an die Moralität des (aus krummem Holz geschnitzten) Menschen zu „glauben“. Mit Gute-Laune-Wellen hat das zunächst gar nichts zu tun.

Optimismus war lange out

Die Philosophie hat sich inzwischen allerdings von der Diskussion über das Hier und Jetzt als Bestmögliches abgewandt. Unter modernen Intellektuellen gilt Optimismus – nun im psychologischen Sinne, also als subjektive Stimmung – überwiegend als widerwärtig oder mindestens uncool. Selbst Revolutionshoffnungen leitet man mittlerweile eher daraus ab, dass die Welt schlecht ist und sich gerade deshalb ändern muss. Kaum jemand, der Optimismus und Realismus verbindet! Eher denken wir bei Optimismus an die rosa Brille, an Realitätsverleugnung, oder an naiven Pazifismus oder Wegwünschen des Klimawandels
Es gäbe allerdings Gründe, Realismus und Optimismus als eins zu sehen: Das weltnahe, optimistische Lachen steht nämlich auch für Freiheit zum Handeln. Und auf die kommt es an – nicht nur bei Kant. Pessimisten, sowohl in der verdrießlichen wie auch in der dystopisch-weltabgewandten Variante, haben hier ihren Schwachpunkt: Sie beschwören Zwänge, gehören zum Team „Man kann nicht wirklich was machen“.
Es geht dem Optimismus also ums Freisein. Vielleicht wogte das politisch wie olympisch so angenehm durch die verschiedenen Kanäle unserer Weltwahrnehmung: Optimistisch stimmt uns genau diejenige gute Laune, die nicht einfach nur Feelgood vermittelt, sondern Freiheitsgewissheit.
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