Kommentar zum Tourismus
Übermäßiger Tourismus bringt viele Probleme mit sich. Vor allem Einheimische beliebter Urlaubsorte sind in ihrem Alltag betroffen oder können sich keine Wohnung mehr leisten. © dpa / picture alliance / Jordi Boixareu
Egoistisch, würdelos und jämmerlich
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Barcelona, Mallorca, Teneriffa, Venedig: Der zunehmende Overtourism stößt bei Einheimischen auf offene Ablehnung. Doch schon der Tourismus als solcher ist hochproblematisch. Mit Anstand und Würde ist er jedenfalls nicht vereinbar.
„Eine Maus ist süß, viele Mäuse sind ekelhaft“: Dieser Satz kann im übertragenen Sinn für viele Situationen herhalten und natürlich auch für den sogenannten Übertourismus.
Ein Voyeur in kurzen Hosen und Sonnenhut am Trevi-Brunnen ist lustig, Tausende davon sind erschreckend. Und beunruhigend. Die Bilder von überfüllten Städten, Stränden und Flughäfen, von verstopften Innenstädten und protestierenden Anwohnerinnen wirken auch deshalb so bedrückend, weil sie mehr zeigen als nur ein touristisches Phänomen. Sie erscheinen als Sinnbild des generellen Zustands der Erde: Es wird eng auf ihr und ungemütlich.
Wir reisen zu viel, zu kurz, zu billig und zu herdentriebartig an dieselben Orte – so viel ist klar. Und klar sind auch die Maßnahmen, die nach und nach greifen werden, um Übertourismus einzudämmen. Es wird Zugangsbeschränkungen und Verhaltensreglementierungen für Städtebesucherinnen geben, mehr Angebot für nachhaltigen Tourismus, und man wird versuchen, die Besucherströme umzuleiten zu bislang weniger attraktiven Destinationen.
Aber: Der touristische Wunsch selbst wird nicht hinterfragt. Dass Menschen dringend von zu Hause wegwollen, erscheint als ein Grundbedürfnis, das man niemandem absprechen darf.
Im Grunde ist der touristische Wunsch ein Bündel an Wünschen: Wir wollen uns bewegen, und zwar auf ein Ziel hin. Wir wollen für eine Zeit lang an einem anderen Ort zu anderen werden. Wir wollen etwas Außergewöhnliches erleben.
Die Suche nach dem Glück von damals
Und: Wir wollen zurück in die Kindheit. Das zumindest ist die These des Historikers Valentin Groebner, der meint, dass wir als Touristinnen zurückreisen in ein „Wie-es-früher-einmal-war“. Urlaub hat viel mit Kindheitserinnerungen zu tun, und wir suchen im Reisen das Glück von damals als ein Paradies, das es in Wirklichkeit nie gegeben hat.
Die Wünsche selbst sind nicht das Problem, sondern ihre maßlose Bewirtschaftung durch die Eventindustrie und die Bereitschaft der Konsumenten, sie massenhaft in Form des „Tourismus“ auszuleben. In dem Wort steckt die „Tour“, was eigentlich heißt, eine Runde machen. Wir gehen im Kreis, kommen da wieder an, woher wir kamen. Im Grunde ist die ganze touristische Haltung ein bewusster Selbstbetrug: Wir tun so als ob. Als ob wir von zu Hause weggehen in die Fremde, als ob wir im Urlaub etwas Einzigartiges erleben, als könnten wir für eine Zeit lang Gott in Frankreich oder Tarzan in der Wildnis sein.
Am besten zeigt sich der Fake im paradoxen Ausdruck „zahlender Gast“. Wir zahlen dafür, dass die Einheimischen so tun, als hätten sie uns wirklich eingeladen. Weil wir aber gezahlt haben, glauben wir, ein Anrecht darauf zu haben, uns wie schlecht erzogene Kinder zu benehmen. Das Einzige, was an dieser Traummaschine kein Fake ist, sind das Geld, die Arbeit und der Müll.
Sonnenhütchen und dümmlich herumgaffen
Das Gute am Übertourismus ist, dass er die Grenzen dieses Spiels aufzeigt und uns den Spiegel vorhält: So siehst du wirklich aus, du Maus. Im Angesicht der Besuchermassen wird auch die erträumte Einzigartigkeit zur Farce. Bunte Sonnenhütchen, kurze Hosen, dümmlich herumgaffen und Fotos von Sehenswürdigkeiten machen, die wir schon von Fotos kennen. Wollen wir das wirklich? Und so oft im Jahr?
Recht besehen ist die ganze Existenzform als Tourist egoistisch, würdelos und jämmerlich. Es mag sich anfühlen, als gäbe es dazu keine Alternative. Aber mal ehrlich: Touristin sein ist kein Schicksal. Es muss auch andere Formen des Wegseins geben.