Meinung
Die Bundespolizei kontrolliert den Einreiseverkehr am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Der Preis der deutschen Grenzkontrollen
04:33 Minuten
Kontrollen an deutschen Grenzen sollen illegale Einreisen verhindern. Eine Maßnahme mit Nebenwirkungen: Für die deutsch-polnische Freundschaft sind die Grenzkontrollen eine Gefahr, warnt die polnische Journalistin Beata Bielecka.
Die Kontrollen, die von den Deutschen wieder eingeführt wurden, machen im polnischen Grenzgebiet gerade sehr viele wütend. Mich auch. Ich lebe seit über 30 Jahren in Słubice und habe mich daran gewöhnt, dass die Brücke über die Oder nicht mehr trennt, sondern verbindet.
Es war normal, dass ich meine Tochter auf ein deutsch-polnisches Gymnasium in Frankfurt schicken konnte und dass die Enkelin meiner Freunde in Frankfurt den Kindergarten besucht. Tausende Arbeitnehmer passieren täglich die Brücke nach Frankfurt, es gibt einen grenzüberschreitenden Linienbus; viele Geschäfte, Restaurants und Dienstleistungsbetriebe werden vor allem von Kunden aus Deutschland aufgesucht.
Ausnahmezustand am Wochenende
All das ist weiterhin möglich. Doch ist plötzlich alles anders: Jedes Wochenende herrscht in Słubice ein verkehrsbedingter Ausnahmezustand. Transportunternehmen drohen, die Grenze zu blockieren, und Verkäufer auf dem Polenmarkt klagen, dass sie nicht mehr so viel verdienen wie vorher.
Die Stadtverwaltung schlägt Alarm, weil der Stau die Stadt lahmlegt, die Umwelt verschmutzt und die Sicherheit der Bewohner gefährdet. Damit die Krankenwagen das Krankenhaus erreichen können, hat man eine neue Verkehrsführung angeordnet. Das wiederum gefällt vielen Einwohnern nicht, die nun Umwege in Kauf nehmen müssen, um nach Hause zu kommen. Autofahrer, die im Stau nicht warten wollen, nehmen Abkürzungen, indem sie auf Bürgersteigen fahren, was zusätzlich für Frust sorgt.
Kürzlich hat Marcin Jabłoński, der Marschall der Woiwodschaft Lebus, die an Brandenburg grenzt, gesagt, dass viele beginnen, die Grenze als Fluch zu sehen. Wenn jemand wie er, ein Europaenthusiast, der sich seit Jahrzehnten für die polnisch-deutsche Zusammenarbeit einsetzt, das sagt, dann weiß ich, dass es ernst ist. Jabłoński befürchtet, dass sich durch die Grenzkontrollen antideutsche und antipolnische Ressentiments wieder verstärken werden.
Vertrauen geht schnell verloren
Was mich vor allem empört, ist, dass niemand vorher mit der polnischen Seite darüber gesprochen hat, dass die polnischen Behörden von der Entscheidung nur einen Tag vor der Einführung der Kontrollen erfahren haben und dann noch aus den deutschen Medien. Wie kann man nach einer solchen Maßnahme darauf vertrauen, dass uns mit Deutschland noch eine Partnerschaft verbindet?
Es hat viel Zeit gebraucht, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, aber es zu verlieren, geht schnell. Die Europaskeptiker bei uns haben jedenfalls Oberwasser, weil sie sagen, die Solidarität der Deutschen in der Europäischen Union hängt immer von ihren eigenen Interessen ab, so wie es übrigens auch bei Nord Stream 2 der Fall war. Diesmal sind es innenpolitische Interessen, weil die deutsche Regierung in der Migrationspolitik zunehmend unter Druck steht.
Polen wurde "Europa ohne Grenzen" versprochen
Als das europäische Parlament im Oktober über die Wiedereinführung von Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze debattierte, haben polnische Abgeordnete zum ersten Mal, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, mit einer Stimme gesprochen: Sie kritisierten, dass Deutschland nun anderen die Schuld an den Folgen seiner migrationspolitischen Fehlentscheidungen gebe.
Ich bin eine überzeugte Europäerin, aber ich gebe zu, dass auch ich angesichts der Grenzkontrollen aufgebracht war: Mir ist die Freiheit, die Grenze zu überqueren, sehr wichtig. Genau wie für alle Polen, besonders hier an der Grenze. Sie fühlen sich betrogen, weil ihnen ein Europa ohne Grenzen versprochen wurde.
Bis weit in die 90er-Jahre waren sich Deutsche und Polen fremd und sind sich mit Misstrauen begegnet. Seitdem haben wir viel erreicht: Wir sind Nachbarn und gute Freunde geworden. Wir sollten das nicht aufs Spiel setzen für eine Maßnahme, die migrationspolitisch höchstens symbolischen Nutzen haben wird.