Kommentar zur EM

Rassismus ist im Fußball fest verankert

04:35 Minuten
Deutsches Mannschaftsfoto bei der Fußball-EM 2024
Sollte die deutsche Mannschaft bei dieser EM weiter erfolgreich spielen, würde Rassismus kaum thematisiert werden. Scheitert das Team aber, dann könnten die rassistischen Einstellungen wieder an die Oberfläche dringen. © picture alliance / sampics / Stefan Matzke
Ein Kommentar von Ronny Blaschke |
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Rassistische Anfeindungen im Fußball sind keine Einzelfälle. Die gesamte Fußballindustrie wird von rassistischen Strukturen zusammengehalten. Vielleicht könnte der deutsche Fußball hier vom American Football lernen.
Es ist eine Frage der Zeit bis zur nächsten Empörung. Immer wieder kommt es im Fußball zu rassistischen Anfeindungen. Hassgesänge von Fangruppen, das Werfen von Bananen, Affenlaute. Häufig berichten Medien in solchen Fällen von „Skandalen“. Sportfunktionäre beklagen gesellschaftliche Probleme, die der Fußball „ausbaden“ müsse. Als hätten wir es mit einer losen Folge von Einzelfällen zu tun.
Aber: Das System selbst ist der Skandal – und nicht der einzelne Vorfall. Denn die gesamte Fußballindustrie wird von rassistischen Strukturen zusammengehalten. Ein Beispiel: Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, kurz BIM, hat sich mit den Mannschaftsaufstellungen in der Ersten und Zweiten Bundesliga befasst.
Einige Befunde: Auf den Spielpositionen im zentralen und defensiven Mittelfeld waren überproportional häufig weiße Spieler vertreten. Es sind jene Positionen, die mit Führungsqualitäten, Spielintelligenz und Weitsicht verknüpft werden. Im Sturm und auf den laufintensiven Außenbahnen waren überproportional häufig schwarze Spieler vertreten. Positionen, die eher mit Kraft, Ausdauer und Temperament verbunden werden.

Kommentatoren reproduzieren koloniale Denkmuster

Schwarzer Körper und weißer Intellekt? Der Fußball bestärkt Vorurteile, die sich seit der Kolonialzeit hartnäckig halten. Im besten Fall sollten Medien über solche Stereotype aufklären, doch sie tragen zu deren Verbreitung bei. Für eine Studie analysierten Wissenschaftler aus Dänemark und Großbritannien die TV-Kommentare bei 80 Spielen in England, Spanien, Italien und Frankreich. Wenn Kommentatoren über Intelligenz und Arbeitsmoral sprachen, richteten sich mehr als 60 Prozent ihres Lobes an, Zitat, „Spieler mit hellerer Hautfarbe“. Beim Thema Kraft war es fast sieben Mal wahrscheinlicher, dass sie über einen „Spieler mit dunklerer Hautfarbe“ sprachen.
Es ließen sich weitere Beispiele finden - in Computerspielen oder Werbespots -, die den Eindruck nahelegen, dass weiße und schwarze Fußballer unterschiedliche Veranlagungen haben. Es handelt sich dabei um neokoloniale Denkmuster, für die es keinen wissenschaftlichen Beleg gibt.

Diskussion ist zu oberflächlich

Fußballverbände und Vereine sprechen darüber nicht. Stattdessen behaupten sie gern, dass sie offensiv gegen Rassismus vorgehen. Zudem verweisen sie auf die Nationalmannschaften aus Deutschland, Frankreich oder England, in denen zunehmend Spieler mit Einwanderungsgeschichte zu den Führungspersönlichkeiten zählen.
Was sie nicht thematisieren: Die Fußballindustrie verteilt ihre Macht auf mehrere hundert Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte. Die Zahl schwarzer Menschen in diesem Kreis lässt sich an zwei Händen abzählen. Und in Europa sind weniger als zehn schwarze Trainer in den Spitzenligen aktiv.

Von der NFL lernen

Vielleicht könnte der deutsche Fußball aus dem American Football lernen. In den Auswahlverfahren für neue Trainer müssen Klubs der National Football League NFL mindestens einen nicht-weißen Kandidaten einladen. Seit Einführung dieser Regel ist die Zahl schwarzer Trainer in der NFL gestiegen.
Doch im deutschen Sport setzt man auf Freiwilligkeit und hofft auf eine „natürliche Entwicklung“ zu mehr Vielfalt. Schließlich sei der Fußball ein „Spiegelbild der Gesellschaft“. Die so genannte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zu menschenfeindlichen Einstellungen von 2023 legt einen anderen Eindruck nahe. „Schwarze Menschen sind im Sport besonders talentiert“: Dieser Aussage stimmten 39,2 Prozent der Befragten ohne Sportbezug zu. Bei Befragten, die einem Fußballverein angehören, war die Zustimmung jedoch zehn Prozent höher.
Sollte die deutsche Mannschaft bei dieser EM weiter erfolgreich spielen, dann würde Rassismus kaum thematisiert werden. Scheitert das Team aber wieder vor dem Finale, dann könnten die rassistischen Einstellungen, die in der Gesellschaft verankert sind, wieder an die Oberfläche dringen.

Der Journalist Ronny Blaschke studierte Sport- und Politikwissenschaften in Rostock. Inhaltlich ist er auf politische Themen im Fußball spezialisiert. Anfang 2024 erschien sein sechstes Buch „Spielfeld der Herrenmenschen – Kolonialismus und Rassismus im Fußball“ im Verlag Die Werkstatt.

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