Meinung
In den 1960- und 70er-Jahren gab es neben Blindheit und Untätigkeit gegenüber rechten Taten auch demokratisches Engagement. Das zählt heute genauso, findet Traudl Bünger. © Getty Images / iStockphoto / Animaflora
Lehren aus der Geschichte meines rechtsextremen Vaters
04:31 Minuten
Viele NS-Belastete konnten nach 1945 in Staat und Verwaltung Karriere machen, weil die bundesdeutsche Justiz auf dem rechten Auge blind war. Das ist aber nicht das ganze Bild, wie die Geschichte des rechtsextremen Vaters der Autorin zeigt.
Wenn man sich mit der Geschichte der rechtsradikalen Szene der Bundesrepublik beschäftigt, muss man sich warm anziehen: In den einschlägigen Forschungsarbeiten und Archiven wimmelt es vor jungen Männern, die nur wenige Jahre nach dem Krieg gegen die Demokratie Sturm laufen und konkrete und gewiefte Pläne schmieden.
Einer dieser Männer ist mein Vater. Er war in der ersten rechtsradikalen Studentenvereinigung der BRD aktiv. Später wurde diese Vereinigung wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten. Die Akten zu diesem Verbotsverfahren und viele weitere Akten habe ich gelesen, nachdem ich – viel später – von der Vergangenheit meines Vaters erfahren habe.
Behörden blind gegenüber rechter Gewalt
Bei der Lektüre bin ich Verfassungsschutzbeamten begegnet, die untätig geblieben sind, obwohl ihnen Informationen über einen jungen Mann mit verfassungsfeindlichen Absichten und Anschlagsplänen vorlagen. Ich bin auf einen Generalbundesanwalt getroffen, der die Ermittlung gegen gewaltbereite rechtsradikale Netzwerke als nicht relevant befand, und auf Medien, die rechtsradikalen Umtrieben zumindest naiv, wenn nicht wohlwollend gegenüberstanden.
Aber das ist nicht das ganze Bild. Denn neben Blindheit und Sympathie, neben Unfähigkeit und Untätigkeit findet sich auch demokratisches Bewusstsein und Engagement. Sowohl bei staatlichen Institutionen als auch in der Zivilgesellschaft.
Zum Beispiel am 8. Januar 1960 in West-Berlin: 40.000 zumeist junge Menschen protestieren gegen Antisemitismus, NS-Verherrlichung und Rassenhass. Zehn Tage später, am 18. Januar, folgt eine weitere Demonstration gegen die NS-Funktionäre in der Regierung und Verwaltung.
1959: „Hakenkreuzwelle“ in BRD und DDR
Anlass dieser Proteste war die sogenannte Hakenkreuzwelle: Am Heiligen Abend 1959 war ein Hakenkreuz an die Synagoge in Köln geschmiert worden. In den Wochen danach kam es zu Hunderten solcher Schmierereien im gesamten Bundesgebiet und in der DDR. Die Täter von Köln waren schnell gefunden: zwei junge Männer, Anhänger der rechtsextremen Deutschen Reichspartei.
Ein Jahr nach diesen Ereignissen war Bundestagswahl. Die CDU verlor ihre absolute Mehrheit, die Deutsche Reichspartei konnte nicht von deren Stimmenverlusten profitieren und rutschte unter ein Prozent. Die Demonstrationen haben dazu beigetragen, dass sie in der Öffentlichkeit als die Partei der Hakenkreuzschmierer wahrgenommen wurde.
SPD-Politikerin setzt auf Unabhängigkeit der Justiz
Ein anderer Fall: 1978 bittet der Justizminister der Bundesrepublik seine Kollegin in Nordrhein-Westfalen, ein Verfahren gegen vier Männer einzustellen, einer der vier ist mein Vater. Er und die drei anderen sind wegen Sprengstoffverbrechen angeklagt, die sie im Kontext des Südtirol-Konfliktes Anfang der 1960er-Jahre in Norditalien verübt hatten.
Die Bitte des Justizministers ist das Ergebnis eines langen Briefwechsels zwischen österreichischen und deutschen Behörden. Denn einer der Angeklagten ist Österreicher und die österreichische Regierung drängt darauf, dass er nicht vor Gericht gestellt wird.
Aber in Nordrhein-Westfalen ist 1978 die SPD-Politikerin Inge Donnepp Justizministerin. Sie ist die erste Frau in dieser Position und sie ist nicht bereit, in ein laufendes Verfahren einzugreifen. Stattdessen spielt Inge Donnepp den Ball zurück und bittet das Bundesjustizministerium um eindeutige Anweisungen. Diese Anweisungen kommen nie. Der Prozess wird eröffnet.
Für gute Tage für die Demokratie sorgen
Was auf den ersten Blick wirkt wie ein kleinliches Beharren auf Zuständigkeiten, ist weitaus mehr: Es ist die Verteidigung der Unabhängigkeit der Justiz.
1962 und 1978 gab es schlechte und gute Tage für die Demokratie. So wird es auch in diesem Jahr sein. Wir können für gute Tage sorgen, indem wir gegen extreme Positionen auf die Straße gehen. Und unsere Regierung kann für gute Tage sorgen, indem sie unseren Rechtsstaat und unsere Verfassung schützt.