Einwurf

Die Philosophie hinter Superhelden-Filmen

04:41 Minuten
Im Still aus "Avengers: Endgame" ist eine große Schlachtszene zu sehen: Die vereinten Avengers ziehen in den Krieg.
In "Avengers: Endgame" ziehen die Avengers in den alles entscheidenden Kampf gegen den Oberbösewicht Thanos. © imago / Capital Pictures / CAP / RFS
Ein Einwurf von Bernard Hoffmeister · 20.06.2024
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Kein Filmgenre aus Hollywood hat in den vergangenen 20 Jahren so geboomt wie die Sagen der Comic-Superhelden. Urteile wie „hirnlose Action-Materialschlacht“ greifen zu kurz. Es geht vielfach um existenzielle Fragen.
„Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung“: Das berühmte Motto von Spider-Man dürfte auch Anthony und Joe Russo, die Regisseure der letzten beiden „Avengers“-Filme „Inifinity War“ und „Endgame“, begleitet haben. Medienberichten zufolge hatten sie ein Rekord-Budget von einer Milliarde Dollar zur Verfügung.
Mit diesen beiden Filmen kam ein Hype um Superhelden-Stoffe zu einem vorläufigen Ende, der in seiner aktuellen Ausprägung fast 20 Jahre anhielt. Natürlich wurden seit den 40er-Jahren immer wieder Superhelden-Comics filmisch adaptiert – aber spätestens mit „X-Men“ im Jahr 2000 waren die Special-Effects so ausgereift, dass eine regelrechte Flut von Superhelden-Filmen folgte.

Qualität der Filme angezweifelt

Dabei wurden die Filme auch stets bezüglich ihrer ästhetischen Qualität in Zweifel gezogen. Martin Scorsese meinte gar, der Marvel-Franchise bringe kein echtes Kino hervor, sondern vielmehr visuelle Freizeitparks. Filmästhetisch mag das sogar für viele Filme zutreffen, sieht man einmal von so exponierten Beispielen wie Christopher Nolans „The Dark Knight“-Reihe ab.
Die Qualität dieser Filme zeichnet aber auch aus, auf welche Weise sie die Themen ihres Mainstream-Publikums spiegeln. Gerade das Kommerzkino ist für solche Reflexionen über den Zustand der kulturellen Jetztzeit vielleicht sogar aufschlussreicher als der Kunstfilm. Denn bei genauer Betrachtung werfen sie geradezu existenzielle Fragen auf.
Bisher lauteten die bekanntesten – wenn auch etwas eindimensionalen – Thesen zu Superhelden-Filmen: „Hirnlose Action-Materialschlacht“, „bloß unterhaltende Zerstreuung“ oder „unhinterfragte Stereotype zu Moral, Macht und gesellschaftlichen Rollen“.

Idee des guten Anführers

Doch das allein greift zu kurz. In aller Kürze will ich zwei Aspekte herausgreifen, die ein genaueres Bild zeichnen.
Zum einen: Offensichtlich erlangen alle Superhelden ihre Kräfte nicht durch einen demokratischen Prozess. Egal ob durch einen Spinnenbiss, außerirdische Kräfte oder schlichtweg enormen Reichtum– Superhelden wurden sie nicht durch eine kollektive Wahl.
Dennoch gibt es häufig eine Art Urvertrauen in die guten Absichten der Superhelden. Dahinter scheint die fast schon sozialdemokratische Idee zu stehen, dass Macht in den richtigen Händen eben nicht korrumpierbar macht und es den guten Anführer tatsächlich geben kann. Der Superhelden-Film wird so zu Utopie und Dystopie in einem, mitsamt des weiterhin bestehenden Glaubens an das Gute.
Der Glaube an die gutmeinenden Superhelden nährt sich aber auch aus der Einsicht, dass so viel Handlungsfähigkeit in den krisenhaften Demokratien nicht mehr realisierbar erscheint.

Die Einsamkeit der Superhelden

Zum anderen: Trotz aller modernen Kommunikationsmittel sind auch Superhelden einsam – wie etwa Spider-Man oder Captain America. Es scheint eine Parallele zu geben zu der immer größer werdenden Sichtbarkeit in unserer Welt – zum Beispiel durch Social Media –, die aber nicht zwangsläufig mit einer größeren sozialen Verbundenheit einhergeht.
Die Maske der Superhelden ist nötig, nicht nur um im Halblegalen gegen das Böse zu kämpfen, sondern auch, um die Privatsphäre zu schützen. Dies gelingt nur selten und macht die Superhelden ganz im Gegenteil sogar doppelt erpress- und verletzbar.
Es mutet daher reichlich paradox an, dass Superhelden nach wie vor mit ihren Masken leben, wohingegen in unserer Gegenwart ein regelrechter Druck herrscht, jegliche Masken zugunsten einer vermeintlichen Authentizität fallen zu lassen. Die Inszenierung von Authentizität schafft jedoch nur andere Masken, die mindestens genauso verletzlich machen und bei der Suche nach einem „Selbst“ nur neue Fragen aufwerfen.
Eine dieser Fragen lautet daher: Wie kann man selbst wissen, wer man ist und welches der eigene Platz in der Gesellschaft ist, wenn dies selbst die Superhelden mit all ihrer Kraft kaum wissen?
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