Pauline Pieper studiert Philosophie im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Sozialphilosophie und Kritische Theorie.
Kommentar zu Elon Musks Twitter-Abstimmung
Milliardär im moralischen Dilemma: Elon Musk ließ seine Follower über einen Aktienverkauf abstimmen. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen
Steuern sind keine Almosen
04:12 Minuten
Elon Musk ist der reichste Mensch der Welt. Steuern zahlt er aber nur, wenn er Aktien verkauft. Das hat er unlängst auf Twitter zur Abstimmung gestellt. Eine demokratische Wohltat also? Pauline Pieper sieht das anders.
Der reichste Mensch der Welt hat 63 Millionen Follower auf Twitter. Diesen wurde am vergangenen Wochenende eine weitreichende Verantwortung auferlegt: Sie konnten darüber abstimmen, ob der Tesla-Gründer Elon Musk zehn Prozent seiner Aktien im Wert von rund 20 Milliarden US-Dollar verkauft.
Nur auf diesem Wege, so betonte Musk, könne er bei gegenwärtiger Gesetzeslage überhaupt Steuern zahlen. Nach 24 Stunden stand das Ergebnis des virtuellen Urnengangs fest: Knapp 58 Prozent stimmten mit "Ja". Und Musk hat inzwischen tatsächlich einige seiner Aktien verkauft.
Mitbestimmung über milliardenschwere Entscheidung
Auf den ersten Blick scheint diese Aktion begrüßenswert. Immerhin steht schon länger die Forderung im Raum, Musk solle einen Teil seines gigantischen Vermögens dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellen. So wies unlängst der Direktor des UN-Welternährungsprogrammes darauf hin, dass Musk mit nur zwei Prozent seines Vermögens etliche akut vom Hunger bedrohte Menschen retten könnte.
Mutet es nicht zudem sehr demokratisch an, wenn Millionen von Followern bei so einer milliardenschweren Entscheidung mitbestimmen dürfen? Auch dass für Musk eine Steuerzahlung und nicht etwa eine Spende Mittel der Wahl ist, spricht für eine demokratische Gesinnung. Über Steuergelder verfügen schließlich gewählte Parlamente und Regierungen, während Spender:innen die von ihnen Begünstigten nach selbstgesetzten Maßstäben auswählen.
Wer von Gnade abhängt, dessen Rechte ersaufen
Aber abgesehen davon, ob – wie vergangene Woche diskutiert wurde – Musk den Aktienverkauf nicht sowieso schon geplant hatte: Was sich hier als Akt demokratischer Mitgestaltung geriert, entpuppt sich in Wirklichkeit als gönnerhafte Wohltätigkeit. Und die ist undemokratisch. Denn Musk setzt die Bedingungen seiner Steuerzahlung selbst. Er bestimmt, wann er wie viele Aktien verkauft und damit auch die Höhe seiner Steuern.
Sich diese Entscheidung von den eigenen Followern absegnen zu lassen, erzeugt nur eine Illusion von Mitbestimmung. Tatsächlich wird die Steuerzahlung durch dieses Twitter-Experiment zur Charity-Veranstaltung. Was von solchen Wohltätigkeitsgesten zu halten ist, wusste schon der Pädagoge Pestalozzi scharfzüngig auszudrücken: "Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade".
Wer von der Gnade wohltätiger Geldgeber und Geldgeberinnen abhängig ist, dessen Rechte ersaufen – etwa im Mittelmeer. So ertrinkt auf der Flucht nach Europa, wer nicht von spendenfinanzierten Hilfsorganisationen gerettet wird. Natürlich ist es gut, dass zahlreiche Spenden die Rettungsmissionen überhaupt ermöglichen. Aber es ist eben zugleich ein Skandal, dass hier keine staatlichen Akteur:innen Hilfe leisten.
Vermögenssteuer als Rettungsanker
Auch im Fall Elon Musk lässt sich fragen: Sollte die gesellschaftliche Umverteilung von Reichtum der gnädigen Entscheidung eines reichen Mannes unterliegen? Oder sollte nicht vielmehr eine gerechte Steuergesetzgebung Abgaben in angemessener Höhe für alle verpflichtend machen?
Welches Gewicht das Twitter-Votum für den Verkauf der Aktien wirklich hat, ist ungewiss. Entscheidungen über Steuerzahlungen gehören jedenfalls nicht ins "Mistloch der Gnade" – denn Steuern sind keine Almosen. Wer das Recht vor dem Ersaufen bewahren will, findet vielleicht in einer Vermögenssteuer einen Rettungsanker. Nicht zuletzt das hat dieses Twitter-Theater allemal deutlich gemacht.