Künstliche Intelligenz

Wie gut wäre eine KI-gesteuerte Demokratie?

04:40 Minuten
Darstellung eines KI-Cat Bots
Heutige KI-Systeme seien immanent unzuverlässig und ihr Output wird innerhalb einer Black-Box berechnet, sagt Politikwissenschaftlerin Rahel Süß? © IMAGO / VectorFusionArt / IMAGO
Überlegungen von Rahel Süß |
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Eine KI als Bürgermeister? Für manche ist das Science-Fiction, in den USA ist eine Künstliche Intelligenz bereits zu einer Wahl angetreten. Lassen sich demokratische Prozesse durch den Einsatz einer KI verbessern, fragt sich die Politologin Rahel Süß.
In diesem Sommer haben KI-Politiker:innen für einige Aufmerksamkeit gesorgt. In den USA ist in dem Bundesstaat Wyoming eine KI zur Bürgermeisterwahl angetreten. Hinter der KI stand der Kandidat Victor Miller, der verspricht: Sollte er die Wahl gewinnen, wird ein individuell angepasster Chatbot die Stadt regieren.

Die KI würde alle politischen Entscheidungen treffen. Und Victor Miller? Er würde lediglich repräsentative Aufgaben wahrnehmen. Auch in Großbritannien hat kürzlich ein politischer KI-Kandidat für Aufregung gesorgt. In der Region „Brighton Pavillion“ konnten Wähler:innen im Rahmen der Parlamentswahl für den KI-Chatbot „Steve“ abstimmen.

Wahlkampf mit kurioser politischer Vision

Hinter dem KI-Chatbot verbarg sich der Unternehmer Steve Endacott und eine kuriose politische Vision: Über eine Homepage sollten Bürger:inneen jederzeit ihre Anliegen dem Chatbot Steve mitteilen und auch abstimmen können.
So viel vorweg: Beide KI-Kandidaten sind politisch gescheitert. Viele Kommentator:innen sahen in ihnen vor allem einen PR-Stunt. Andere ein Symptom von zunehmenden technokratischen Steuerungsfantasien.
Die Frage, die uns aber alle angeht, ist: Handelt es sich bei den KI-Politiker:innen um wünschenswerte demokratische Zukünfte? Wollen wir politische Problemlösungen KI-Politiker:innen überlassen?
Zweifellos kann der Einsatz von KI zu einer starken Zentralisierung von Macht führen. Damit haben wir es heute bereits in vielen Entscheidungsprozessen zu tun Stichwort: Monopolisierungstendenzen – Google, Microsoft, Amazon…
Gleichzeitig werden unsere kritischen und öffentlichen Infrastrukturen immer mehr abhängig von diesen Akteuren.
Zudem sind die heutigen KI-Systeme immanent unzuverlässig und ihr Output wird innerhalb einer Black-Box berechnet, der von außen nicht nachvollziehbar ist. Auch die Datenqualität und -verfügbarkeit von Trainingsdaten sind bekanntlich ein großes Problem, denn sie entscheiden über die Qualität des Ergebnisses.
Freiheit, zu der solche Demokratie-KI’s beitragen sollen, erscheint heute als ein Versprechen Ungewissheit zu kontrollieren und die Zukunft umfassend vorhersagen zu können. Was aber ein solches Freiheitsversprechen übersieht, ist, dass Demokratie durchaus Ungewissheit und Konflikte zulassen muss, um Alternativen zu ermöglichen. 
Was also ist zu tun?
Klar ist: KI-Regulierungen sind ein unzureichendes Mittel gegen Top-down-Ansätze aus dem Silicon Valley. Die Demokratisierung von neuen digitalen Technologien muss auch zusammengedacht werden mit einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft.
Denn Technologien wirken in die Gesellschaft hinein.

Demokratie statt technokratische Experimente

Gleichzeitig wirkt die Gesellschaft zurück. Dies geschieht durch das Zusammenspiel von Wertesystemen, ökonomischen Anreizen, politischer Regulierung und unseren Handlungsgewohnheiten. Was wir brauchen, ist eine Experimentelle Demokratie anstatt einer technokratischen Experimentiergesellschaft.
Statt virtuelle Parlamente und KI-Politiker:innen brauchen wir demokratisches Erfahrungswissen. Schließlich ist Demokratie mehr als politische Wahlen. Demokratie ist auch, so erklärt uns der Philosoph John Dewey, eine Lebensweise. Zukünfte zu denken und zu erproben, ist eine demokratische Kompetenz, die wir im Alltag einüben müssen.
Dort, wo wir neue digitale Technologien einsetzen, sollten sie Bottom-up-Prozesse ermöglichen. Das heißt, sie sollten demokratische Erfahrungen von Selbstbestimmung und Selbstorganisation stärken.
Am Ende müssen wir uns auch immer fragen: Wie und von wem wird KI entwickelt? Mit welchen Interessen? Wie wird KI genutzt und wer profitiert von diesen Technologien?

Rahel Süß ist Philosophin und Politikwissenschaftlerin, mit besonderem Fokus auf die Zukunft der Demokratie sowie auf digitale Transformationsprozesse. Im Jahr 2024 wirkte sie an der ARD-Dokumentation „Der Autokraten-Code“ mit und unterstützt aktiv das urbane Demokratieprojekt „The Esch Clinics“ in Luxembourg.

Ein Porträt von der Philosophin und Politikwissenschaftlerin Rahel Süß.
© Olivier Pol Michel
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