Kommentar zur "Bild"-Zeitung

Der Krawallmodus wird ihr nicht helfen

Julian Reichelt, Chefredakteur von "Bild Digital" und Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktionen, bei einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in seinem Büro in Berlin, aufgenommen 2017
Unter Tanit Koch war die Bildzeitung nicht zimperlich. Unter Julian Reichelt habe sich der Ton weiter verschärft, meint Journalist Peter Zudeick. © picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa
Von Peter Zudeick |
Fette Schlagzeilen, dünne Storys, Skandale, die keine sind: Die "Bild"-Zeitung ist wieder ganz das alte Krawallblatt. Im Kampf gegen die sinkende Auflage seien dem "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt anscheinend viele Dinge egal, kritisiert Peter Zudeick.
Die "Bild"-Zeitung war sofort an der Spitze der Bewegung: "Deutschland heißt Tausende Flüchtlinge willkommen" und "Flüchtlingen helfen! Was ich jetzt tun kann!" lauteten die Schlagzeilen. "Wir helfen" und #refugeeswelcome stand auf den Ansteckern, die "Bild" verteilen ließ. Sigmar Gabriel, damals noch Bundesaußenminister, saß mit diesem Button am Revers auf der Regierungsbank. Das war im Herbst 2015.
Die Zeiten haben sich geändert. Sigmar Gabriel ist nicht mehr Minister und hat den Willkommens-Button längst abgelegt. Und die "Bild"-Zeitung produziert regelmäßig Schlagzeilen wie: "Ich habe 40 Menschen umgebracht und will Asyl" oder: "Asyl-Behörde ließ 46 Islamisten ins Land" oder: "55 Mio. Euro im Asyl-Chaos versenkt" – und so weiter. Immer schön krawallig, immer schön nach der bewährten "Bild"-Methode: Auch wenn der Empörungsgehalt auf dem Weg von der Schlagzeile zur Story in sich zusammenfällt, war es doch die Schlagzeile wert.

Julian Reichelt - eine Krawallschachtel, egal bei welchem Thema

Die Zeiten haben sich besonders seit dem März dieses Jahres geändert, als Julian Reichelt Chefredakteur der "Bild" wurde. Er trug vorher schon als Vorsitzender der Chefredaktionen die redaktionelle Gesamtverantwortung für "Bild", also für die Print- und die Online-Ausgabe. Mit ihm als direktem Chef der Printausgabe aber sollte "Bild" wieder zu einem richtigen Kampfblatt werden. Den Auftrag erfüllt Reichelt perfekt.
Seine Vorgängerin Tanit Koch konnte zwar auch ganz schön hinlangen. Als Volker Beck mit einer kleinen Menge Crystal Meth aufgegriffen wurde, hieß die Schlagzeile: "Grüner mit Hitler-Droge erwischt". Und auch beim Flüchtlingsthema war "Bild" unter ihrer Ägide schon weit vom Willkommens-Pathos abgerückt. Aber da war nicht genug Dampf drin. Den liefert jetzt Reichelt.
Wobei es nicht einmal so aussieht, als habe Reichelt eine politische Agenda im engeren Sinne. Er ist zum Beispiel für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, er ist für den Familiennachzug. Aber wo er eine Möglichkeit zur Skandalisierung sieht, ergreift er sie. Er ist eine Krawallschachtel, egal bei welchem Thema. Irgendwie geht es immer um eine "Jagd auf", einen "Skandal um", eine "Hetze gegen". "Neue Schmutzkampagne bei der SPD" – das war Reichelts Einstiegs-Schlagzeile, als Tanit Koch aufgab. Ein Russe soll Juso-Chef Kühnert angeboten haben, seine Kampagne gegen die große Koalition zu unterstützen. Dummerweise war Reichelt auf einen Spaß der Satire-Zeitschrift "Titanic" hereingefallen.
Das macht ihm aber wenig. Wie es ihm auch sonst nichts auszumachen scheint, wenn die fetten "Bild"-Skandale den Abgleich mit der Wirklichkeit nicht überstehen.

Gegen die sinkende Auflage hilft kein Gebrüll

Wichtig sind die massenhaften Reaktionen im Netz, die zuverlässig kommen, sobald "Bild" mal wieder zulangt. Und sollte er tatsächlich mal in die Verlegenheit kommen, über die eigene Rolle nachzudenken, hat er einen bewährten Spruch parat: "'Bild' ist kein Brandstifter, sondern ein Ventil."
Was mit dem wiederentdeckten Kampfmodus erreicht werden soll, liegt auf der Hand: "Bild" ist seit vielen Jahren der größte Verlierer beim rasanten Auflagen-Verlust aller deutschen Tageszeitungen. Aktuell werden weniger als 1,5 Millionen Zeitungen pro Tag verkauft, in den guten Zeiten waren es mal fünf Millionen. Daneben stehen gut 21 Millionen Einzelnutzer von Bild.de pro Monat. Eine Größe, die mit Zeitungslesern oder gar Abonnenten nur schwer zu verrechnen ist.
"Was 'Bild' an Auflage verloren hat, macht Reichelt durch Gebrüll wieder wett", schreibt der "Spiegel". Das mag man so sehen. Aber die Auflage geht weiter runter, und wenn sich der Trend fortsetzt, dürfte "Bild" bald weniger als eine Million Zeitungen am Tag verkaufen. Das war zuletzt 1953 der Fall. Da kann Reichelt brüllen, wie er will.

Peter Zudeick, geboren 1946, aufgewachsen in Solingen, promovierte in Philosophie und arbeitete als Korrespondent in Bonn und dann in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a. "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Tschüss, ihr da oben. Vom baldigen Ende des Kapitalismus".

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© picture alliance/Horst Galuschka/dpa
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