Kommentierendes Konzert zum Auftakt
Die Auftaktveranstaltung zum Festivals Pèlerinages in Weimar stand unter dem Titel "Gedächtnis Buchenwald" und fungierte als Verweis darauf, dass Weimar nicht nur Klassiker-Gedenkstätte ist, sondern auch in der deutschen Topographie des Terrors eine tragende Rolle gespielt hat.
Seit sieben Jahren ist ein Koffer das Emblem für das von Nike Wagner neu konturierte Weimarer Kulturfest. In Anlehnung an einen Werktitel ihres Ur-Urgroßvaters, den auch in der thüringisch-sächsischen Residenzstadt tätigen Franz Liszt, wurde es "pèlerinages" genannt. Das Reise-Utensil gibt einen unmissverständlichen Hinweis auf das Unterwegs-Sein und die Pilgerschaft (das eine wie die andere kann aus den unterschiedlichsten Gründen stattfinden).
Auch heuer war die Eröffnungsveranstaltung des Festivals mehr als ein kommentiertes Konzert: Unter dem Titel "Gedächtnis Buchenwald" wurde wieder darauf hingewiesen, dass Weimar eben nicht nur Klassiker-Gedenkstätte, sondern auch aus der deutschen Topographie des Terrors nicht wegzudiskutieren ist. Die Ministerpräsidentin des Landes, Christine Lieberknecht, sprach in einer kurzen Rede von der Unmöglichkeit, "von Buchenwald Abschied zu nehmen".
Sie gab dem Hauptredner Ivan Ivanji, einem Überlebenden des Vernichtungslagers, damit das Stichwort für seine Erinnerungen. Die setzten ein mit Hinweisen zur Entstehung des Lagerliedes ("O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen ...") und reflektierten das sich seit den 50er Jahren verändernde Verhältnis zum Leidensort und der Stadt in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der serbische Schriftsteller kam dann freilich auch auf seine Scham zu sprechen, die er angesichts der Verbrechen in den Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens spürt. Gerade auch diese Bezugnahme auf die jüngere Geschichte unterstrich die grundsätzliche Bedeutung seiner Weimarer Rede.
Schnörkellos zur Sache kommt die "Ekklesiastische Aktion" von Bernd Alois Zimmermann (1918–1970) – ein Spätwerk, das sich durchgängig an der Hörspieltechnik der 60er Jahre orientierte und fünf Tage vor dem Suizid des Komponisten fertiggestellt wurde. Nach einem Signalton der im Raum verteilten Bläser tritt der gesprochene Text in den Vordergrund. Die klare Prosa wird aus dem Hintergrund von der wohl absichtsvoll reduzierten Kunstförmigkeit eines Bassbaritons umrankt.
Die Worte entstammen teilweise jenem Buch des Alten Testaments, das Martin Luther ‚Prediger Salomo’ nannte und das in der katholischen Einheitsübersetzung als ‚Kohelet’ bezeichnet wird. Der Komponist wählte aus Kapitel vier sieben Verse vom Gewahrwerden von allwaltendem Unrecht und ausufernder Trostlosigkeit ("... und siehe, da waren Tränen derer, so Unrecht litten, und hatten keinen Tröster"); auch zur Sinnlosigkeit des Arbeitens für die falschen "Arbeitgeber" bzw. zum Arbeiten um des Arbeitens willen. Schließlich zur Einsamkeit ("Weh dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist kein anderer da, der ihm aufhilft").
Zimmermann kombinierte die Bibelstellen mit Passagen aus dem 5. Buch des Romans "Die Brüder Karamasow" von Fjodor Dostojewski (1821–1881), in denen der Großinquisitor seinen auf die Erde zurückgekehrten Religionsgründer im Gefängnis heimsucht. Beide Textebenen lassen sich in plausibler Weise auf die widerrechtlich und aus terroristischen Motiven in Lager Gesperrte beziehen. Von daher war dieses lakonische Melodram richtig am Platz. Es geht mit ihm um eine "unentrinnbare Zwangssituation".
Das Sprecherpaar – August Zirner und Gerd Böckmann – stellte den wünschenswerten Kontrast der Intonationen her: Der ganz sachlich gehaltenen, "objektivierenden" Tongebung für die Salomo-Zitate stand die engagierte Deklamation der Tiraden des Großinquisitors gegenüber. Der erkundet keineswegs pflichtgemäß die Taten und Gesinnungen seines schweigenden Gegenübers, sondern vertraut diesem sogar an, dass er mit dem Gegenspieler im Bunde stehe. Jürgen Linn unterstrich die Salomon-Lineatur nachdrücklich. Die Staatskapelle Weimar unter Leitung von Michael Boder leistete hoch konzentriert gediegene Arbeit. Gerade auch bei jenen Passagen, an denen noch einmal die komplexistische Schreibweise aufscheint, mit der Bernd Alois Zimmermann zu Beginn der 60er Jahre seine große Oper "Die Soldaten" ausgestattet hatte.
Der kurz vorm Ende von einem Bachischen Blechbläserchoral gekrönten "Ekklesiatischen Aktion", bei der die Solisten (und eigentlich auch der Dirigent) eine Meditations- und Demutsübung zu absolvieren haben, schloss sich der nicht besonders feinsinnig zelebrierte langsame E-Dur-Satz von Anton Bruckners letzter Symphonie an. Warum überließ die Weimarer Dramaturgie ausgerechnet Adolf Hitlers Leib- und Magen-Komponist das letzte Wort? Die Wahl dieses Programmpunkts erscheint nicht zwingend.
Auch wenn dieser ausladende Orchestersatz lediglich als eine altersmilde Gabe christkatholischer Tonkunst genommen wird: Die Mehrzahl der Opfer auf dem Ettersberg war keineswegs katholisch. Freilich funktioniert diese Musik aufs Neue frappierend. Mit der durch sie möglichen Trostfunktion will man nicht unbedingt hadern. Sicher aber sollten für solche Anlässe wie "Gedächtnis Buchenwald", mit denen an die Schrecken der Konzentrationslager erinnert wird, neue Arbeiten angefertigt werden. Auch wenn es derzeit schwierig sein dürfte, hierfür geeignete Federn zu finden.
Auch heuer war die Eröffnungsveranstaltung des Festivals mehr als ein kommentiertes Konzert: Unter dem Titel "Gedächtnis Buchenwald" wurde wieder darauf hingewiesen, dass Weimar eben nicht nur Klassiker-Gedenkstätte, sondern auch aus der deutschen Topographie des Terrors nicht wegzudiskutieren ist. Die Ministerpräsidentin des Landes, Christine Lieberknecht, sprach in einer kurzen Rede von der Unmöglichkeit, "von Buchenwald Abschied zu nehmen".
Sie gab dem Hauptredner Ivan Ivanji, einem Überlebenden des Vernichtungslagers, damit das Stichwort für seine Erinnerungen. Die setzten ein mit Hinweisen zur Entstehung des Lagerliedes ("O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen ...") und reflektierten das sich seit den 50er Jahren verändernde Verhältnis zum Leidensort und der Stadt in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der serbische Schriftsteller kam dann freilich auch auf seine Scham zu sprechen, die er angesichts der Verbrechen in den Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens spürt. Gerade auch diese Bezugnahme auf die jüngere Geschichte unterstrich die grundsätzliche Bedeutung seiner Weimarer Rede.
Schnörkellos zur Sache kommt die "Ekklesiastische Aktion" von Bernd Alois Zimmermann (1918–1970) – ein Spätwerk, das sich durchgängig an der Hörspieltechnik der 60er Jahre orientierte und fünf Tage vor dem Suizid des Komponisten fertiggestellt wurde. Nach einem Signalton der im Raum verteilten Bläser tritt der gesprochene Text in den Vordergrund. Die klare Prosa wird aus dem Hintergrund von der wohl absichtsvoll reduzierten Kunstförmigkeit eines Bassbaritons umrankt.
Die Worte entstammen teilweise jenem Buch des Alten Testaments, das Martin Luther ‚Prediger Salomo’ nannte und das in der katholischen Einheitsübersetzung als ‚Kohelet’ bezeichnet wird. Der Komponist wählte aus Kapitel vier sieben Verse vom Gewahrwerden von allwaltendem Unrecht und ausufernder Trostlosigkeit ("... und siehe, da waren Tränen derer, so Unrecht litten, und hatten keinen Tröster"); auch zur Sinnlosigkeit des Arbeitens für die falschen "Arbeitgeber" bzw. zum Arbeiten um des Arbeitens willen. Schließlich zur Einsamkeit ("Weh dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist kein anderer da, der ihm aufhilft").
Zimmermann kombinierte die Bibelstellen mit Passagen aus dem 5. Buch des Romans "Die Brüder Karamasow" von Fjodor Dostojewski (1821–1881), in denen der Großinquisitor seinen auf die Erde zurückgekehrten Religionsgründer im Gefängnis heimsucht. Beide Textebenen lassen sich in plausibler Weise auf die widerrechtlich und aus terroristischen Motiven in Lager Gesperrte beziehen. Von daher war dieses lakonische Melodram richtig am Platz. Es geht mit ihm um eine "unentrinnbare Zwangssituation".
Das Sprecherpaar – August Zirner und Gerd Böckmann – stellte den wünschenswerten Kontrast der Intonationen her: Der ganz sachlich gehaltenen, "objektivierenden" Tongebung für die Salomo-Zitate stand die engagierte Deklamation der Tiraden des Großinquisitors gegenüber. Der erkundet keineswegs pflichtgemäß die Taten und Gesinnungen seines schweigenden Gegenübers, sondern vertraut diesem sogar an, dass er mit dem Gegenspieler im Bunde stehe. Jürgen Linn unterstrich die Salomon-Lineatur nachdrücklich. Die Staatskapelle Weimar unter Leitung von Michael Boder leistete hoch konzentriert gediegene Arbeit. Gerade auch bei jenen Passagen, an denen noch einmal die komplexistische Schreibweise aufscheint, mit der Bernd Alois Zimmermann zu Beginn der 60er Jahre seine große Oper "Die Soldaten" ausgestattet hatte.
Der kurz vorm Ende von einem Bachischen Blechbläserchoral gekrönten "Ekklesiatischen Aktion", bei der die Solisten (und eigentlich auch der Dirigent) eine Meditations- und Demutsübung zu absolvieren haben, schloss sich der nicht besonders feinsinnig zelebrierte langsame E-Dur-Satz von Anton Bruckners letzter Symphonie an. Warum überließ die Weimarer Dramaturgie ausgerechnet Adolf Hitlers Leib- und Magen-Komponist das letzte Wort? Die Wahl dieses Programmpunkts erscheint nicht zwingend.
Auch wenn dieser ausladende Orchestersatz lediglich als eine altersmilde Gabe christkatholischer Tonkunst genommen wird: Die Mehrzahl der Opfer auf dem Ettersberg war keineswegs katholisch. Freilich funktioniert diese Musik aufs Neue frappierend. Mit der durch sie möglichen Trostfunktion will man nicht unbedingt hadern. Sicher aber sollten für solche Anlässe wie "Gedächtnis Buchenwald", mit denen an die Schrecken der Konzentrationslager erinnert wird, neue Arbeiten angefertigt werden. Auch wenn es derzeit schwierig sein dürfte, hierfür geeignete Federn zu finden.