Die neue Weltraumökonomie
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US-Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos haben den Weltraum als neuen Markt der Zukunft entdeckt. Was sich die NASA nicht mehr leisten kann, wollen SpaceX oder Blue Origin schaffen: Krebsmedikamente aus dem All, Tourismus und Mondnutzung.
Gut 50 Jahre nach der Mondlandung von Apollo 11 erleben wir einen neuen Weltraumenthusiasmus. Doch diesmal geht es nicht darum, unseren Wissensdurst zu stillen, zu forschen und zu neuen Abenteuern aufzubrechen. Jetzt geht es um viel Geld, neue Businessmodelle und die Zukunft unserer Wirtschaft.
"Wir glauben daran, dass wir Menschen zu einer interplanetaren Gesellschaft werden. Es ist nicht so, dass die Menschen auf der Erde Teil einer Wirtschaft im Weltraum werden. Die Ökonomie wird eine Weltraumökonomie sein", sagt Mehak Sarang, die an der Harvard University in Boston Weltraumökonomie erforscht. Im Medialab des MIT, dem Massachusetts Institute of Technology entwirft sie Forschungsprojekte fürs All. Im selben Institut, dem wir GPS fürs Auto, Touchscreen-Monitore, Multimedia und in Kleidung verwebte Computer verdanken, wo heute künstliche Intelligenz weiterentwickelt wird.
Die Erde sei halt begrenzt, sagt Amazon Gründer Jeff Bezos, dem das Weltraumunternehmen "Blue Origin" gehört. Wenn die Erdbevölkerung und die Weltwirtschaft weiter wachsen würden, dann bliebe nur der Weltraum. Und dafür hat er bereits eine radikale Idee:
"Die gesamte Schwerindustrie wird vom Planeten verbannt. Die Erde ist zum Wohnen und für leichte Industrie."
Krebsmedikamente aus dem All
War es das, was Neil Armstrong am 29. Juli 1969 meinte, als er sagte, dass sein kleiner Schritt auf dem Mond ein gigantischer Sprung für die Menschheit bedeute? Es ist keine Frage mehr: Wir erweitern gerade unseren Lebensraum, wenn auch nicht mit Kolonien aus Science-Fiction-Filmen, aber eben doch als Wirtschaftsraum.
Beginnen wir im All, auf der Internationalen Raumstation, die in rund 400 Kilometern Höhe um die Erde kreist.
Dort hält die Astronautin Serena Aunon-Chancellor Plexiglasbehälter in der Hand, in denen menschliche Blutgefäßzellen wachsen. An denen testet sie ein neues Krebsmedikament. Warum im All? Das frage ich Paul und Shou-Ching Jaminet, denen gehören diese Zellkulturen nämlich, ihrem Pharmaunternehmen Angiex in Boston.
"Wir haben beobachtet, dass Astronauten mehr Herz- und Kreislauferkrankungen haben, aber weniger Krebs."
Damit begann es. Wahrscheinlich sind für den Unterschied Zellen an der Innenwand unserer Adern verantwortlich, und das neue Medikament soll sie in Krebszellen so angreifen, als wären sie im Weltraum. Die Zellkolonien aber kann man wegen der Schwerkraft nicht auf der Erde züchten:
"Wir haben sofort einen Unterschied gesehen, wie sich die Zellen auf der Erde und im All verhalten."
Den Jaminets hat es geholfen, ihr Medikament für die Produktion auf der Erde zu verbessern. Die klinischen Studien beginnen gerade. Aber, so Paul Jaminet, es gibt Medikamente, die kann man auf der Erde nicht gut produzieren und für die lohne es sich sicher irgendwann, Raumstationen mit echten Produktionsanlagen zu haben:
"Im Augenblick schaut man auf die, die wie Kristalle aufgebaut sind. Eine Kristallstruktur lässt sich leichter ohne Schwerkraft formen."
Aber noch ist das zu teuer, die Kosten ließen sich kaum durch den Verkauf wieder reinholen. Noch. Denn seit es mehr und mehr kommerzielle Raketenanbieter gibt, fallen die Preise dramatisch: Ein Satellitentransport, der vor fünf Jahren noch 60 Millionen Dollar gekostet habe, sei jetzt für 15 Millionen zu bekommen.
Raumfahrt war ein staatliches Monopol
Einer der kommerziellen Anbieter für Flüge ins All hat in den letzten Monaten Furore gemacht: SpaceX des Tesla-Gründers Elon Musk. Zum ersten Mal seit dem Ende der Space Shuttle hat er wieder amerikanische Astronauten von amerikanischem Boden ins All gebracht. Das aber ist nur der spektakuläre Teil.
Tatsächlich fliegen alle paar Wochen seine Falcon-9-Raketen ins All, um die Raumstation zu versorgen oder Satelliten auszusetzen. Dabei ist er nur einer unter vielen Anbietern. Große wie die United Launch Alliance von Lockheed Martin und Boeing oder die europäische Ariane Space bieten ihre Dienste auf diesem Markt an. Stand heute sind es 14, aber es drängen neue, kleinere Anbieter dazu und weltweit entstehen neue Abschussbasen. Auch für Deutschland gibt es solche Planungen. Das ist auch von der NASA gewünscht:
"Wir wollen viele Anbieter, die miteinander konkurrieren, bei den Kosten ebenso wie bei Innovation und Sicherheit", so der frühere NASA-Chef Jim Bridenstine, der von Donald Trump eingesetzt wurde, um die NASA zu modernisieren und die Programme für Mond- und Marsflüge voranzutreiben.
Dahinter steckt ein strategisches Ziel. In den Anfängen war Raumfahrt ein staatliches Monopol, das in erster Linie Kosten verursachte. Die Rolle des Staates soll jetzt sein, die Strukturen und Bedingungen zu schaffen, dass sich ein Markt entwickeln kann, meint Jim Bridenstine:
"Das ist das Ziel, unsere Aktivitäten im erdnahen Raum zu kommerzialisieren."
Satellitenindustrie ist 400 Milliarden Dollar schwer
Aber wo liegt das Geschäft heute, neben den Dienstleistern für Raketenstarts? Ganz oben auf der Liste sind es Satelliten. Etwa 5700 aktive Satelliten umkreisen derzeit die Erde, die doppelte Zahl hat schon ausgedient und ist Weltraumschrott. Ein riesiger Markt für die Erde, erklärt Harvard-Forscherin Mehak Sarang:
"Die Satellitenindustrie macht etwa 400 Milliarden Dollar Umsatz. Und man muss nur auf sein Handy schauen, das ohne Weltraumtechnologie nicht funktionieren würde."
Die Daten, die Satelliten sammeln oder einfach transportieren, geben ihnen ihren Wert, lassen sich zu Geld machen.
In den nächsten Jahren kommen mehrere Tausend Mini-Satelliten mit immer spezielleren Fähigkeiten hinzu, so groß wie ein Mikrowellenherd. Mit ihnen könnten zum Beispiel Bauern einzelne Felder überwachen lassen, um richtig zu wässern und zu düngen.
Satelliten gehören längst zu unserem Alltag. Was aber ist der nächste Sprung im Weltraumbusiness?
Wie sieht der Tourismus ins All aus?
Mehak Sarang ist davon überzeugt, dass vor den Fabriken noch etwas anderes auf den Markt kommt: Hotels. Der größte Schub werde von Weltraumtourismus ausgehen.
Da gibt es tatsächlich mehrere Unternehmen, die das planen: Virgin Galactic von Richard Branson und Blue Origin von Jeff Bezos wollen schon bald Kurzflüge anbieten, das heißt, ihre Gäste fliegen zwar ins All, aber sofort wieder zurück, ohne die Erde zu umrunden. Das hat keine Zukunft, hält der Chef des Houstoner Unternehmens Axiom, Michael Suffradini, dagegen.
"Tourismus im Orbit ist noch etwas Neues. Die Leute wollen das erfahren, Zeit verbringen, Schwerelosigkeit erleben. Sie wollen diese Aussicht, die Welt sehen und dann darüber reden können."
Im Frühjahr 2022 bringt er die erste Reisegruppe für acht Tage auf die ISS, für den Transport hat er das Crew Dragon Raumschiff von SpaceX gechartert. Ticketpreis: 55 Millionen Dollar pro Person. Einer mit Ticket in der Hand ist der Bauunternehmer Larry Connor: "Für mich ist das die Chance meines Lebens. Vielleicht habe ich noch gar nicht voll erfasst, dass ich das tue. Im Augenblick konzentriere ich mich vor allem auf das Training."
Bau einer eigenen Raumstation als Hotel
Der Reiseleiter und Kommandant der Crew Dragon ist Michael Lopez-Alegria. Der war schon mehrfach für die NASA im All und ist sicher, dass Ausflüge in den erdnahen Raum Routine werden.
"In den 1920er- und 30er-Jahren konnten nur sehr wohlhabende Menschen fliegen. Heute steigen Menschen in ein Flugzeug, um zu einer Geburtstagsparty zu fliegen. Das wird auch bei der kommerziellen Raumfahrt so werden."
Tourismus ins All kann zum großen Geschäft werden und bringt schon jetzt Geld in die Kasse. Es ist aber für Michael Suffradini nicht das eigentliche Ding. Er baut gerade an einer eigenen Raumstation. Der Vertrag mit der NASA ist unterschrieben, 2024 wird das erste Element an die ISS angedockt:
"Unser Ziel ist es, eine Anlage zu bauen, die billiger und leichter zugänglich ist und den Aufwand reduziert."
Er weiß, was er tut, denn Suffradini war einmal der Gesamtmanager der Internationalen Raumstation. Es beginnt mit einem Sieben-Betten-Hotel für die Gäste – Touristen, Wissenschaftler, Bauarbeiter –, zu dem eine spektakuläre gläserne Aussichtsplattform gehört. Daran schließen sich Labore und andere Arbeitsräume an, die man auf Zeit mieten kann.
"Wir bauen eine Umgebung mit 'Plug and Play'. Wenn man ins All kommt, sind da die gleichen Anschlüsse wie zu Hause oder im Labor. Keine besonderen Anschlüsse für das Weltall."
Bezos: Wir bauen eine Straße ins All
Kommen, arbeiten, wieder nach Hause – so soll das schon in ein paar Jahren laufen. Und der nächste Schritt ist schon in der Planung: Produktionsmodule. Fabriken.
Aber für was? Über Medikamente haben wir schon gesprochen. Aber da ist mehr, für das sich die noch immer hohen Kosten lohnen werden, sagt Michael Suffradini. Ein Beispiel:
"Es gibt Glasfasern, wenn man die im Orbit zieht, in der Schwerelosigkeit, bekommt man ein sehr homogenes Material. Die sind hundertmal leistungsfähiger als Kabel, die man auf der Erde produziert."
Die seien so gut, sagt er, dass man damit sogar Infrarotlicht transportieren könne und könnten hohe Preise vertragen.
Es gehe auch gar nicht darum, heute zu sagen, was man im All tun will, und dann die Infrastruktur dafür zu bauen, drängt Jeff Bezos. Umgekehrt müsse es sein.
"Die Aufgabe meiner Generation ist es, die Infrastruktur zu bauen. Wir bauen eine Straße ins Weltall. Und dann werden wahnsinnige Dinge passieren. Dann seht ihr Kreativität sich entfalten, dann seht ihr, wie im Studentenwohnheim Weltraumunternehmen gegründet werden."
Schaut mich an, sagt er dann immer. Amazon konnte ich erfinden, weil es eine Infrastruktur dafür gab. Die amerikanische Post, die meine Pakete transportiert hat. Aber das war billig. Waren aus dem All zu holen, ist es nicht.
Künftig Konstruktionen im All produzieren
Und zukünftig? Wir werden im All für das All produzieren und nicht mehr jedes Teil sorgsam verpacken, für viel Geld auf die Spitze von Raketen montieren und hoffen, dass es heil ankommt.
"Es gibt hier in den USA ein Unternehmen, das heißt 'Made in Space'", sagt Mehak Sarang. "Die arbeiten an 3D-Druckern fürs All, die dort richtig große Konstruktionen drucken können."
Das ist auch die Vorstellung als nächster Schritt: Vieles von dem, was heute auf der Erde für den Einsatz im All gebaut wird, wird man zukünftig im All zusammensetzen. Geflogen würden nur Materialien und einzelne Komponenten. Nicht mehr Raketen bringen Satelliten ins All, sondern die werden auf Raumstationen montiert und dann ausgesetzt.
Das ist der erste Schritt, unseren ökonomischen Lebensraum um einige Hundert Kilometer nach oben zu verlagern. Der darauffolgende Schritt ist aber längst in der Planung: der Mond als zweiter Wirtschaftsraum.
Wirtschaftsraum Mond
Seit 50 Jahren waren keine Menschen mehr auf unserem Trabanten, wohl aber mehrere Landefahrzeuge und Roboter verschiedener Länder. Zuletzt hat ein unbemanntes chinesisches Raumschiff Mondgestein zurück zur Erde gebracht. Die amerikanischen Ziele der NASA sind ambitionierter: "2024 gehen wir auf den Mond, um dort zu bleiben."
Mindestens eine Frau und einen Mann will die NASA dorthin schicken, im ersten Schritt für einen einfachen Hin- und Rückflug. Dann aber will man dauerhaft präsent sein, um von dort Flüge zum Mars vorzubereiten, mit einer Raumstation im Mond Orbit, mit Shuttleservice von dort zur Mondoberfläche.
"2009 haben wir zum ersten Mal nachgewiesen, dass es Hunderte Millionen Tonnen Wassereis am Südpol des Mondes gibt", sagt Bridenstine.
Aus Wasser aber kann man Wasserstoff und damit Raketentreibstoff gewinnen. Und nicht zuletzt, glaubt man, dass es auf dem Mond große Mengen wertvoller Metalle und die für die Elektronikindustrie so wichtigen "Seltenen Erden" gibt.
Die NASA hat ein wissenschaftliches Ziel, kommerzielle Geschäftsmodelle entstehen erst. Auf absehbare Zeit wird aber die NASA wichtigster Kunde bleiben.
Aber nicht nur mit Raketen und es müssen keine Konzerne mehr sein. Astrobotics zum Beispiel ist ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitenden, das im Herbst 2021 ein unbemanntes Raumschiff auf dem Mond landen will.
"Die Transportgüter unserer Kunden sind eine ganz und gar kommerzielle Ladung", sagt John Thornton. "Wir haben 16 Kundenaufträge aus der ganzen Welt. Etwa ein Dutzend gehört der NASA, die anderen nicht."
Darunter mehrere Forschungsroboter. An Bord auch ein Navigationsgerät für Satelliten des Berliner Unternehmens "Berlin Space Technologies". Außerdem sind mehrere Zeitkapseln an Bord, Asche von Verstorbenen und 130 DHL-Päckchen, auf die wir gleich noch kommen werden.
"Wir verstehen uns als Logistikunternehmen für den Mond."
2023 geht ein Flug an den Südpol des Mondes, der Platz für Güter ist schon gut gebucht.
"Wir konzentrieren uns im Augenblick auf Lieferungen zum Mond. Wir haben aber auch eine Fahrzeugabteilung, um die Ware auf dem Boden weiter zu transportieren. Wir bauen eine erste Infrastruktur, um Menschen auf dem Mond zu unterstützen."
Serverparks auf dem Mond?
John Thornton ist fest davon überzeugt, dass schon bald viele Unternehmen auf dem Mond seine Dienstleistungen benötigen. Diejenigen, die für die NASA arbeiten oder einen Weg finden, Bodenschätze abzubauen.
"Am offensichtlichsten ist das Wasser. Das kann man gewinnen und daraus Raketentreibstoff machen. Das wird wie die Ölindustrie hier auf der Erde."
Und darum wird es einen Wettlauf geben, prognostiziert Mehak Sarang:
"Wenn du zuerst dort bist und das Wasser gewinnen kannst, dann sind alle bei dir: NASA, ESA, all die kommerziellen Weltraumunternehmen werden deine Kunden sein."
Die, die Bodenschätze gewinnen wollen, gehören dazu. Aber es gibt auch andere Ideen: An riesige Computer-Serverparks wird gedacht, denn am Südpol des Mondes und in tiefen Kratern ist es so kalt, dass man die nicht kühlen muss wie auf der Erde. Strom aus Solarzellen lässt sich leicht zuführen, die Daten benötigen gerade mal eine Sekunde zur Erde.
DHL-Pakete fürs All
Alle werden ständig Material und dafür Dienstleister benötigen. Die Deutsche-Post-Tochter DHL, das größte Logistikunternehmen der Welt, hat sich deshalb mit Astrobotics zusammengetan. Für Preise zwischen 400 und über 1000 Dollar konnte man Päckchen bestellen, die Astrobotics im Herbst zum Mond bringt. Die sind nur wenige Zentimeter groß, aber rund 130 wurden verkauft. Darin sind dem Vernehmen nach meist persönliche Dinge, Schmuckstücke, Speicherkarten mit Namen und Kunstwerken und sogar ein Stein vom Mount Everest, den das Land Nepal mitschickt.
Vor 70 Jahren war das Rennen um das Weltall eines zwischen Nationen und politischen Systemen. Es ging um Ehre und Dominanz. Der heutige Weltraumenthusiasmus hat eine andere Basis. Jetzt geht es um eine neue Dimension der Globalisierung, darum, unseren Wirtschaftsraum ins All auszudehnen. Das ist dann keine "andere Welt" mehr, wie man so gern sagt. Das wird Teil unserer Welt, die vor allem auch ein großer Marktplatz ist.