Pattensen galt immer als sehr konservativ, und dass man so eine junge Frau mit zwei Kindern in der Scheidung oder in der Trennungssphase dann zur Bürgermeisterin macht... Ich fand es aber konsequent, weil ja der Wunsch, nach Wechsel da war, und ich war von allen Wahlalternativen diejenige, die das am besten verkörpert hat.
Frauen in der Kommunalpolitik
Bürgermeisterinnen sind in Deutschland noch immer eine Seltenheit. Gerade in der Kommunalpolitik haben engagierte Frauen viele Hürden zu überwinden. © Getty Images / iStockphoto / invincible_bulldog
Der steinige Weg ins Amt der Bürgermeisterin
11:04 Minuten
Dass Frauen in der Politik mitreden, gilt zwar als selbstverständlich, ist es aber nicht. Je höher das Amt, desto häufiger sind Männer noch immer unter sich. Eine Bürgermeisterin und eine gescheiterte Kandidatin verraten, woran das liegen könnte.
"Ja, dann darf ich Sie alle ganz herzlich zur Vertragsunterzeichnung begrüßen", sagt Bürgermeisterin Ramona Schumann. "Hier geht es um ein lang ersehntes Projekt in der Stadt Pattensen, nämlich die Sanierung des Schwimmbades.“ Zu einem der wenigen öffentlichen Termine in der Corona-Zeit hat Schumann ins Pattenser Rathaus eingeladen. Das in die Jahre gekommene städtische Schwimmbad soll endlich modernisiert werden.
Nach der Unterschrift besiegeln die Bürgermeisterin und der beauftragte Architekt das Millionenprojekt mit einem kräftigen Handschlag. „Vielen Dank, wir haben uns ja die Hände desinfiziert", lacht Schumann. Sie und ihre Referentin sind an diesem Vormittag die beiden einzigen Frauen im Raum, ihnen gegenüber sitzen neun Männer – eine klassische Konstellation.
Mit Tempo voran in einer Männerwelt
„In der Runde der Bürgermeister ist das auf jeden Fall eine klassische Quote", sagt Schumann, "wir sind, glaube ich, nicht mal zehn Prozent Frauen in Deutschland, die dieses Amt machen." In den Reihen der Verwaltung sehe das anders aus. "Wir haben es hier recht paritätisch: Von meinen vier Hochbauingenieuren sind zwei Frauen."
Ramona Schumann ist die erste Bürgermeisterin in der Geschichte der Stadt Pattensen. Die SPD-Politikerin ist mittlerweile in Niedersachsen weit über das 15.000-Einwohner-Städtchen im Kreis Hannover bekannt. 2014 wurde sie gewählt, 2021 im Amt bestätigt. Seither hat die 42-jährige Verwaltungswirtin die Stadtentwicklung in großem Tempo vorangebracht. Das Rathaus, eine Grundschule und eine Kita wurden gebaut, der Marktplatz und die Gesamtschule saniert, um die wichtigsten Projekte zu nennen.
Doch anfangs kämpfte Schumann mit vielen Vorbehalten, etwa wegen ihres Alters. Wenn sie darauf angesprochen wurde, habe sie darauf hingewiesen, dass in den 21 Kommunen des Landkreises auch zwei männliche Bürgermeister mit dem gleichen Geburtsjahrgang wie sie im Amt seien. Damit habe ihr Gegenüber sich dann meist zufrieden gegeben: "Ach ja? Okay.“
Das passende Profil zur Wechselstimmung
Zum Zeitpunkt ihrer Wahl lebte Schumann in Trennung, ihre zwei Töchter waren fünf und zehn Jahre alt. Die Frage, wie sie das Amt mit ihren Kindern vereinbaren könne, wurde ihr oft gestellt. Dass sie damals bereits Vollzeit arbeitete, beim Zollamt in Braunschweig, wurde gar nicht wahrgenommen. Ohne die ausgeprägte Wechselstimmung in Pattensen hätte sie es nicht geschafft, da ist sich die schlagfertige Politikerin sicher:
Vorbehalte in der Verwaltung
In vielen anderen Fällen haben Bürgermeister-Kandidatinnen diesen Erfolg nicht. Ortswechsel. Bonn, im Stadtteil Pützchen. Hier treffe ich Petra Heller. Die 53-Jährige ist seit Kurzem Geschäftsführerin eines Therapiezentrums für Menschen mit Beeinträchtigung, außerdem sitzt sie im Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes in Bonn.
Elf Jahre lang war die CDU-Politikerin in der Kommunalpolitik in Bornheim aktiv, einer 50.000-Einwohner-Stadt zwischen Köln und Bonn. Über Jahre leitete die Betriebswirtin die CDU-Fraktion, sechs Jahre war sie stellvertretende Bürgermeisterin. 2014 kandidierte sie dann erstmals als Bürgermeisterin. Chancenlos. Der amtierende Bürgermeister wurde ein drittes Mal im Amt bestätigt. 2020 versuchte sie es erneut. An Rückhalt in den eigenen Reihen mangelte es nicht. Doch aus der Wählerschaft und der Verwaltung kamen Vorbehalte.
„Man kriegt es immer nur hintenrum mit", sagt Heller, "dass schon so gemunkelt wird: ‚Naja, das nette Mädchen', oder: 'Kann 'ne Frau das?'" Bornheim sei sehr ländlich strukturiert, und die Menschen, die sich für Politik interessieren, seien oft die Älteren. "Da hat man schon unterschwellig das Gefühl bekommen, die trauen es einem nicht zu", erinnert sich Heller:
"Schön, dass du zum Gratulieren kommst oder zu einer Ansprache bei einem Fest. – Aber da ist immer die Frage: Trauen Sie einem das Amt zu? Und daran wird es gehapert haben. Das ist mir auch im Nachhinein so gespiegelt worden: Naja, du konntest ja nicht gewinnen, du bist eine Frau. Das habe ich im Orginalton so gehört.“
Zu wenig Vertrauen der eigenen Mitstreiter
Das Rennen um den Bürgermeister-Posten machte ein Mann, ein Parteiloser. Dass der Gegenkandidat nicht einer der großen Volksparteien angehörte, dürfte sicherlich auch wahlentscheidend gewesen sein, sagt Petra Heller. Aber dass einige ihrer Mitstreiter ihr das Amt nicht zugetraut hätten, hat sie tief getroffen. Danach entschied sie, aus der Kommunalpolitik auszusteigen.
„Das waren Menschen, die mich eigentlich unterstützt haben. Die haben es einem im Nachhinein dann gesteckt: Das hat nicht funktionieren können. Und das sind natürlich schon ein Stück weit Verletzungen, wo man denkt, Mensch, warum kommt keiner mal zwischendurch und sagt: 'Passen Sie mal auf, mit einer Frau an der Spitze geht es gar nicht'?"
Aber das wagten viele Männer in der heutigen Zeit wohl gar nicht mehr auszusprechen, vermutet Heller: "Das ist ja nun auch absolut altertümlich!“
Politik und Familie – ein enormes Pensum
Allerdings hat Petra Heller als Fraktionsvorsitzende auch erfahren, wie schwierig es ist, Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Das Pensum ist enorm, sie selbst war 40 Stunden die Woche im Einsatz. Das ging nur, weil ihre Tochter bereits erwachsen war. Kommunalpolitik ist nicht familienfreundlich, Ratssitzungen gehen zuweilen bis in die Nacht. Für Frauen mit kleineren Kindern kaum machbar.
Viele sagen auch ganz ehrlich: Das tue ich mir nicht an. Wo habe ich denn da Unterstützung? Frauen haben aber auch immer noch den größeren Familienanteil. Und sie nehmen diese Verantwortung ja auch gerne wahr, und dann bleibt nicht mehr viel Zeit: Berufstätigkeit, Familienzeit, Pflegezeit und Kommunalpolitik? Ganz schön anstrengend!
Der Frauenanteil in der Kommunalpolitik liegt bei 27 Prozent im Durchschnitt. Das ist niedriger als in der Landes- oder Bundespolitik. Eine aktuelle Studie der EAF, einer Non-Profit-Organisation in Berlin, untersucht die politische Teilhabe von Frauen. Für Studienherausgeberin Helga Lukoschat beginnt das Problem bei der Aufstellung: Frauen seien häufig sogenannte Verlegenheitskandidatinnen. Oft würden sie von den Parteien gar nicht erst ins Visier genommen, um sie in einem aussichtsreichen Wahlkampf aufzustellen.
Spezialkräfte für aussichtslose Situationen
"Das haben wir wirklich erforscht, dass Frauen oft in Situationen nominiert werden, wenn man etwas in der Bredouille ist", sagt Lukoschat. "Also, der Bürgermeister vorher hat sich vielleicht in einen Skandal verwickelt oder in der Partei gibt es niemanden, der sich für diese Position zur Verfügung stellen will, weil es vielleicht als aussichtslos gilt."
Aus dem Wahlkampf gingen Frauen dann nicht selten als Überraschungssiegerin hervor. Und machten ihren Job am Ende sehr erfolgreich. "Wenn Frauen im Amt sind, werden sie auch wiedergewählt", sagt Lukoschat. "Aber dieser Weg in das Amt, ist eben so schwer.“
In Deutschland scheiterten bislang Versuche, geschlechterparitätische Wahllisten gesetzlich vorzuschreiben. Thüringen und Brandenburg hatten solche Paritätsgesetze verabschiedet, anschließend wurden diese aber von den Landesverfassungsgerichten für nichtig erklärt.
Kreative Strategien für junge Eltern gefragt
Umso dringlicher die Frage, was Parteien tun können, um den Frauenanteil in den Parlamenten zu erhöhen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse verbessert werden, sagt Helga Lukoschat. Die Familiengründungsphase dürfe Frauen nicht ausbremsen. Dafür brauche es kreative Strategien in den Parteien, noch immer jedoch mangele es an entsprechender Unterstützung:
„Das ist ein großes Thema, dafür eine Offenheit zu erzeugen und auch Angebote bereitzustellen: Sei es, man organisiert eine Kinderbetreuung vor Ort oder erstattet die Kosten." Auch das Thema Elternzeit und Mutterschutz sei für Menschen in der Politik sehr schwierig, betont Lukoschat:
Ich weiß von ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen in Bayern, wenn sie in den Mutterschutz gehen, bekommen sie ihre Aufwandsentschädigung nicht weiter gezahlt. Ja, warum? Das muss doch heutzutage möglich sein. Oder auch Vertretungsregelungen in der Elternzeit. Oder dass man sich auch mal ein Mandat teilen kann.“
Neue Chancen durch soziale Medien
Die Corona-Pandemie böte hier ein Chance: Sie habe gezeigt, dass vieles auch von zuhause oder digital organisiert werden kann, sagt Heller. Eine Chance, die Ramona Schumann, Bürgermeisterin in Pattensen, nutzt. Das iPad unterm Arm, arbeitet sie weitgehend papierlos und oft von unterwegs oder von zu Hause. Und sie nutzt die sozialen Medien. Postet Fotos vom Schützenfest, das sie nach Amtsantritt als erste Frau in der Stadtgeschichte eröffnet hat, erstellt auf Instagram und Tiktok Videos von ihrem Alltag als Bürgermeisterin. Schumann ist von ihrer Vorbildfunktion überzeugt.
Ich gehe gezielt in Veranstaltungen für Frauen, um für die Kommunalpolitik und auch für das Bürgermeisteramt zu begeistern: Seminare, Fortbildungen, Kongresse, in denen gezielt dafür geworben wird. Da stehe ich als Ansprechpartnerin zur Verfügung, stehe für Frauen im Wahlkampf als Mentorin zur Verfügung.
Auch wenn sie nicht zur Bürgermeisterin gewählt wurde, Petra Heller aus Bornheim bereut ihre Zeit als Kommunalpolitikerin nicht: „Ich blicke dankbar auf die elf Jahre zurück, ich habe es gerne gemacht und bedauere es in keinster Weise, denn die Erfahrungen waren zu 80 Prozent schön.“
Immer noch anzügliche Kommentare
Was Petra Heller allerdings nicht vermisst: die langen Sitzungen am Abend, Termine am Wochenende und Kommentare über ihr Äußeres. Übergriffige Bemerkungen erleben mindestens 40 Prozent der Politikerinnen, besagt die aktuelle EAF-Studie.
Einen Kommentar gibt Petra Heller heute noch immer zum Besten. Er macht ihr klar, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Frauen in der Politik gleich behandelt werden:
„Ich hab auch schon einen Mann erlebt, der zu mir sagte: 'Frau Heller, können Sie nicht mal 'nen Rock anziehen? Sie kommen immer in Hosen. Und ein bisschen mehr Farbe würde Ihnen auch stehen!'“