Der Kampf um die Herzkammer der SPD
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Im bevölkerungsreichsten Bundesland wird demnächst gewählt. Wie wird sich die Corona-Pandemie auf das Wahlverhalten in NRW auswirken? Wer siegt in Dortmund, der "Herzkammer" der SPD? Und was bedeuten die Kommunalwahlen für den Rest der Republik?
Am 13. September wird in Nordrhein-Westfalen über Oberbürgermeisterinnen und Bürgermeister, über Landräte sowie Ratsmitglieder abgestimmt. Die Kommunalwahl in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland ist der – quantitativ – drittgrößte Wahlgang in Deutschland überhaupt, nach Bundestags- und Europawahl.
Da Menschen ab 16 Jahren sowie EU-Bürgerinnen und -Bürger wahlberechtigt sind, liegt die Zahl der Stimmberechtigten bei über 14 Millionen. Knapp 20.000 Mandate werden vergeben. Doch jenseits dieser Zahlen gibt es viele weitere, spannende Fragen: Denn es ist der erste große Stimmungstest in Deutschland in der und über die Coronazeit.
Die Umstände erfordern kreative Lösungen
Welches Ergebnis bekommt der CDU-Landesverband des aussichtsreichen Anwärters auf den CDU-Bundesparteivorsitz, sprich: Ministerpräsident Armin Laschet? Schafft es die SPD, ihre Herzkammer Dortmund zu verteidigen? Können die Genossen in ihrem Stammland ein ordentliches Ergebnis einfahren?
Schaffen es die Grünen, ihren demoskopischen und inhaltlichen Höhenflug – Stichwort Klima – auch in Wahlergebnisse, also Sitze in Rathäusern, zu übersetzen? Und: Wo stehen die vermeintlich Kleineren, die FDP, die Linke, aber auch die AfD, deren Wählerschaft gerade im Ruhrgebiet zuletzt gewachsen ist? Fragen über Fragen – inhaltlich wie organisatorisch.
Dazu kommen die coronabedingten Umstände, die mitunter kreative Lösungen erfordern – und auch ein eigenes Gesetz. So wurde beispielsweise die Zahl der Unterstützungsunterschriften für eine Zulassung zur Wahl reduziert.
Die Parteien improvisierten, trafen sich in Autokinos, Theatern oder im Stadion zu Versammlungen – und auch der Wahlkampf war anders als sonst. Aufgrund der Masken tragen die Wahlkämpfer T-Shirts mit den Konterfeis der Kandidaten, Großveranstaltungen sind rar. Stattdessen eher kleinere Gruppen und Abstand.
Dortmund: Herzkammer der SPD
Ein Biergarten in Dortmund. Thomas Westphal, der SPD-Oberbürgermeisterkandidat, ist gekommen – Abstand ist sichergestellt: "Man muss sich halt ein paar Ideen überlegen und was einfallen lassen, und dann geht das schon. Das heißt, dass wir online deutlich stärker präsent sind, als wir das wahrscheinlich jemals vorher waren. Und in der Kombination wird das dann ein guter Wahlkampf."
Dortmund ist nur ein Schauplatz dieser Kommunalwahl – für viele allerdings der mit der größten Symbolwirkung. Seit 1946 stellt die SPD hier den Oberbürgermeister. Doch Ulrich Sierau, der langjährige, amtierende OB, der bereits bei der vergangenen Wahl im Jahr 2015 erst knapp in der Stichwahl gewinnen konnte, tritt nicht mehr an. Westphal, ein 53-jähriger, großgewachsener Mann, ist aktuell noch Wirtschaftsförderer der Stadt. Er verspürt jedoch keinen Druck, möglicherweise eine historische Niederlage zu erleiden:
"Mich beflügelt das eher, weil ich denke, wir sind tatsächlich hier, in dieser Stadt, so nah bei den Menschen. Das ist keine Geschichte, das ist Realität. Und ich habe auch auf dem Parteitag, auf dem ich nominiert wurde, gesagt: Herzkammer ist nicht von gestern. Herzkammer heißt ja nicht dolle Wahlergebnisse am Ende haben, sondern erst mal bei den Menschen zu sein. Und immer wieder sich klarmachen, wofür mache ich eigentlich Politik? Nämlich das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück weit verbessern. Und wir machen das hier. Und deswegen: Ich bin ich richtig stolz, dass ich das hier tun darf für die Dortmunder SPD."
Auch die Grünen sind selbstbewusst
Obwohl Pläne der CDU und der Grünen, einen gemeinsamen OB-Kandidaten für Dortmund zu finden, scheiterten, ist die Konkurrenz für die SPD stark. Andreas Hollstein ist seit über 20 Jahren Bürgermeister in der benachbarten westfälischen Stadt Altena und tritt für die CDU an. Bundesweit bekannt wurde Hollstein, nachdem er im November 2017 Opfer eines Attentats wurde. Sein Malus: Er kommt von außen.
Das gilt nicht für die Grünen-Kandidatin. Daniela Schneckenburger, 59 Jahre alt, einst NRW-Landesvorsitzende der Grünen, Landtagsabgeordnete sowie nun Schul- und Jugenddezernentin der Stadt, kandidiert erneut für das Amt an der Stadtspitze:
"Die Formel lautet immer: Dortmund ist die Herzkammer der SPD und wenn Dortmund außer Takt kommt, dann ist die SPD außer Takt. Liebe Freundinnen und Freunde, nichts ist so beständig wie der Wandel. Wir sind stärkste Kraft geworden bei der Europawahl."
Schneckenburgers Selbstbewusstsein ist spürbar. Nicht nur in Dortmund, sondern auch in acht weiteren Großstädten in NRW wie in Bonn, Köln, Düsseldorf oder Wuppertal wurden die Grünen bei der Europawahl 2019 stärkste Kraft.
Stimmen in der Mitte der Gesellschaft sammeln
Klimaschutz, Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur auf dem Land, aber auch die Sicherheit in Städten und Kreisen sind die Kernthemen bei dieser kommunalen Wahl. Doch: Durch Corona geht es oft auch ums wirtschaftliche Überleben, Beispiel Karstadt/Kaufhof, um die Innenstädte. Verdrängen die Corona-Zeiten die grünen Kern-Anliegen?
"Ich weiß gar nicht, ob die Corona-Situation die Grünen so arg betreffen wird, weil die Grünen eben doch sehr stark in der Mitte der Gesellschaft ihre Stimmen sammeln", sagt der Politikwissenschaftler Hans Lietzmann von der Bergischen Universität in Wuppertal.
Dennoch: Ob berechtigt oder nicht, wird diese Wahl zu einem Stimmungstest gemacht, da ist sich Lietzmann sicher: "Ich glaube, dass das Corona-Management und die Corona-Situation eine enorme Rolle spielen werden bei den Kommunalwahlen."
Was die Wahl mit dem CDU-Bundesvorsitz zu tun hat
Zumal die Abstimmung an Rhein und Ruhr automatisch auch eine Abstimmung über den Landesvorsitzenden der NRW-CDU und Ministerpräsidenten Armin Laschet ist – einem aussichtsreichen Kandidaten für den Bundesvorsitz der CDU.
Dabei ist die strukturelle Lage für ihn durchaus günstig: In Städten wie Essen mit Thomas Kufen oder Oberhausen mit Daniel Schranz haben die CDU-Amtsinhaber gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Gleiches gilt für Köln, wo die parteilose, aber von CDU und Grünen getragene Henriette Reker womöglich schon im ersten Wahlgang gewinnt.
Auch in Dortmund könnte Laschets CDU mit dem Kandidaten Hollstein zwar gewinnen – hat zugleich aber nichts zu verlieren. Und Ähnliches gilt auch für die Landeshauptstadt Düsseldorf.
Neben Amtsinhaber Thomas Geisel von der SPD und dem Grünen-Landtagsabgeordneten Stefan Engstfeld stehen auch CDU-Mann Stephan Keller und die FDP-Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf dem roten Teppich im Fußball-Stadion. Im Anschluss findet eine Talk-Veranstaltung statt. Stephan Keller, der CDU-Bewerber und einer der Herausforderer, sieht seine Partei jedenfalls gestärkt:
"Es ist immer eine Mischung. Eine Oberbürgermeister-Wahl ist immer eine Personenwahl. Aber natürlich ist der Rückenwind für mich deutlich spürbar. Die CDU steht gut da in bundesweiten Umfragen."
Die FDP will in Düsseldorf gewinnen
Die FDP tritt – ungewöhnlich für die Liberalen – in Düsseldorf mit einer eigenen OB-Kandidatin an: Marie-Agnes Strack-Zimmermann. "Die Tür ist jetzt aufgegangen, dass wir auch als Freie Demokraten den Anspruch erheben, dieses Amt zu übernehmen und nicht instinktiv zu sagen, das machen CDU oder SPD. Die Zeiten sind vorbei."
Strack-Zimmermann hält außerdem nichts von der These eines durch Corona verstärkten Amtsbonus: "Es war alles auf Augenhöhe, denn auch der amtierende Noch-Oberbürgermeister konnte ja nicht das nutzen, was ein Bürgermeister eigentlich nutzen kann: nämlich Festivitäten, um aufzuschlagen."
Dennoch: Es wird schwer werden für die FDP – und auch für eine andere Partei. In Düsseldorf lässt sich auch der Sound der AfD raushören: Florian Josef Hoffmann, Spitzenkandidat der Partei, erklärt im WDR-Kandidatencheck seine Position:
Ein AfD-Erfolg ist fraglich
"Die Schäden dieser Corona-Idiotie, kann man fast schon sagen, sind schon gar nicht mehr zu übersehen, wenn man durch die Straßen fährt von Düsseldorf. Welche Läden geschlossen sind, welche Kneipen geschlossen wurden."
Ob dieser Protest verfängt? Ob es der AfD gelingt – wie bei anderen Wahlen – die Unzufriedenheit auch und gerade im Ruhrgebiet in Stimmen umzumünzen, ist fraglich. Die Partei ist intern zerstritten, die Zahl der Wahlplakate erscheint gering. Auch das eine Facette dieser Wahl.
Ein Punkt, der auffällt. Neben der Tatsache, dass sich die Coronapandemie auch jenseits politischer Inhalte und organisatorischer Fragen auswirkt:
"Die Kommunalwahl ist mehr als nur ein technischer Vorgang zur Bestimmung eines Bürgermeisters. Sie ist immer auch ein Punkt, an dem eine Kommune mit sich selber in einen Selbstverständigungsprozess tritt und mit sich selber in Diskussion kommt", so der Politikwissenschaftler Hans Lietzmann. Doch dieser Aspekt falle dieses Mal wohl aus:
"Es führt die Wahl in eine hohe Abstraktheit und es kann sein, dass dadurch die konkret kommunale Orientierung ein wenig zurückgenommen wird. Und es tatsächlich eher so etwas wird wie eine Landtagswahl oder wie ein allgemein politisches Stimmungsbild."
Mehr Briefwahlen und ein eigenes Gesetz
Fest steht: Die Briefwahl-Quote wird steigen – auch wenn sich allerorts Mühe gegeben wird, dass sich die Millionen an Wahlberechtigten keine Sorgen machen müssen.
Dennoch, manchmal kann es schnell gehen. Der Kreis Heinsberg mit der berühmten Kappensitzung oder auch die Kreise Gütersloh und Warendorf durch den Komplex Fleischfabrik Tönnies waren zwei Regionen in NRW, in denen kurzfristig die Corona-Zahlen stark stiegen – und es zu einschneidenden Maßnahmen kam.
Auf die Frage nach solchen Szenarien zuckt man beispielsweise in Köln noch mit den Achseln. Wolfgang Schellen, der Landeswahlleiter, wird da deutlicher:
"Wenn das Infektionsgeschehen dramatische Ausmaße annehmen würde, hätten wir immer noch die eben schon angesprochene Briefwahl, die bis kurz vor dem Wahltag beantragt werden kann. Von der könnte im großen Umfang Gebrauch gemacht werden."
Durch das eigene, nur bis zum Jahresende gültige Gesetz, habe man den Urnengang und dessen Ergebnisse auch gegen Klagen im Nachhinein abgesichert. Dennoch, sollte es regional zu Hotspots kommen, müsse dies auch regional geregelt werden:
"Vor Ort gibt es Wahlorgane, die für die Vorbereitungen und Durchführung der Wahl zuständig sind, die müssen sich dieser Probleme zunächst einmal annehmen."
Wahlen in Corona-Zeiten – es ist mitunter Neuland, wie so vieles in dieser Pandemie.