Ganz und gar ungewöhnliche Stichwahlwochen
06:37 Minuten
In 16 Städten und 18 Landkreisen Bayerns fällt die Entscheidung über Bürgermeister- und Landratsämter in der Stichwahl am Sonntag. Wegen der Corona-Pandemie kann dieses Mal nur per Briefwahl abgestimmt werden. Der Straßenwahlkampf fiel aus.
Wie viel Corona mit einer Wahl von Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterin zu tun hat? In Regensburg jede Menge. Zumindest für Astrid Freudenstein, Oberbürgermeisterkandidatin der CSU, im Duell des Regensburger Regionalsenders TVA.
Gefragt, was sie von der amtierenden Oberbürgermeisterin unterscheide, erklärte sie: "Ich glaube, dass ich Entscheidungen deutlich schneller und beherzter treffen würde in einiger Hinsicht, also ich habe es mir auch im Zuge der jetzt bestehenden Coronapandemie gedacht: Man kann auch sehr früh den Appell nach draußen geben, eben sich nicht mehr zu versammeln, eben auch sich selber sehr schnell zurückzunehmen."
Die CSU-Herausforderin bläst so zur Attacke gegen Amtsinhaberin Gertrud Maltz-Schwarzfischer von der SPD. Die verteidigt sich, sie habe schon Allgemeinverfügungen gegen Versammlungen in der Stadt erlassen, bevor das Land Bayern Ausgangssperren verhängte – und überhaupt. "Das ist jetzt relativ unfair von Ihnen, Frau Freudenstein, dass Sie da in der Situation, wo wirklich Solidarität gefragt ist, und wo man zusammenstehen sollte, mit solchen Vorwürfen kommen."
Wahlkampf in der Corona-Krise
So funktioniert Wahlkampf in der Coronakrise. Zumindest dort, wo, wie in Regensburg, völlig offen ist, wer am Sonntag Stadtoberhaupt wird.
In der Landeshauptstadt München dagegen, vier Tage vor dem Stich-Wahltermin, ganz andere Töne: "Ich glaube, ein klassischer Wahlkampf wäre nicht zeitgemäß. In genau diesem Sinne. Momentan geht es vor allem um eines: um Solidarität und Zusammenhalt. Und das gilt genauso natürlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg und das gilt natürlich überparteilich."
Kristina Frank von der CSU tritt in der Stichwahl gegen Münchens amtierenden Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD an, den haushohen Favoriten. Er ist beliebt in der Landeshauptstadt – und hat wegen des Corona-Krisenmanagements sowieso keine Zeit für Wahlkampf – auch nicht für Interviews. Ein Zweieinhalb-Minuten-Video auf Facebook auf dem menschenleeren Marienplatz muss reichen.
"Ich will nochmal dafür werben, dass Sie auch weiterhin mit der gebotenen Gelassenheit, mit der Angelegenheit umgehen. Wir werden in München auch diese Krise überstehen. Vielen Dank."
Kristina Frank von der CSU tritt in der Stichwahl gegen Münchens amtierenden Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD an, den haushohen Favoriten. Er ist beliebt in der Landeshauptstadt – und hat wegen des Corona-Krisenmanagements sowieso keine Zeit für Wahlkampf – auch nicht für Interviews. Ein Zweieinhalb-Minuten-Video auf Facebook auf dem menschenleeren Marienplatz muss reichen.
"Ich will nochmal dafür werben, dass Sie auch weiterhin mit der gebotenen Gelassenheit, mit der Angelegenheit umgehen. Wir werden in München auch diese Krise überstehen. Vielen Dank."
Münchner Verhältnisse
Gelassen, aber auch ein kleines bisschen verlassen steht Reiter vor der Stichwahl da. Denn die Grünen, deren OB-Kandidatin vor zwei Wochen ausgeschieden war, geben als stärkste Kraft im Münchner Stadtrat keine Wahlempfehlung – weder für Dieter Reiter noch für die CSU.
Ein bisschen ist man bei den Grünen aber auch noch beleidigt darüber, dass Reiter sich vor sechs Jahren nach Jahrzehnten rot-grüner Koalition dafür entschied, ohne die Grünen zu regieren – und allein mit den Schwarzen.
Intern steht aber diesmal auch für die Grünen fest: Mit einer Oberbürgermeisterin der CSU, die sich im Wahlkampf als Schutzmacht der Autofahrer und Autofahrerinnen inszenierte, wäre ein Ausbau der Radwege schwieriger als mit der SPD.
Daher indirekte Wahlempfehlung. "Es ist sehr klar, wofür Grüne stehen. Nämlich für eine echte Verkehrswende, für konsequenten Klimaschutz, für eine weltoffene und solidarische Gesellschaft, und unsere Wählerinnen und Wähler werden sich ein Urteil bilden, ob Frau Frank oder Herr Reiter eher für ein solches Politikmodell steht."
Wählen am Esstisch
Diese Entscheidung können Bayerns Wählerinnen und Wähler in der Stichwahl nur per Briefwahl treffen.
Wir sind zu Hause bei Gisela Mackenroth. Am Esstisch geht die Wissenschaftlerin ihre Unterlagen durch. "Ich habe dabei den Wahlschein, den Stimmzettel für die Stichwahl, einen roten Briefwahlumschlag. 'Damit senden Sie die Unterlagen zurück.'"
Sie faltet ihren Wahlzettel. Erst am Mittwoch lagen ihre Unterlagen bei ihr im Briefkasten. "Ich habe ja die letzten Tage irgendwie schon Leute herumflitzen sehen mit diesen rosa Umschlägen, da hatte ich den noch gar nicht. Es war ein bisschen spannend…"
Sonderschichten in der Druckerei
Beim Münchner Kreisverwaltungsreferat musste man in zwei Wochen über eine Millionen Briefe verschicken.
Eine Riesenherausforderung wie der Pressesprecher Johannes Mayer zugibt. "Wir hätten normalerweise rund 300.000 Briefwählende gehabt. Das sind diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die auch schon bei der ursprünglichen Kommunalwahl am 15. März per Brief gewählt hatten. Und jetzt kommen nochmal mehr als 700.000 obendrauf", sagt Mayer. "So was macht man natürlich nicht einfach mal so aus dem Stand. Mussten wir jetzt aber: Die beauftragte Druckerei hat wirklich rund um die Uhr in Sonderschichten gearbeitet."
In verschiedenen Schüben gingen die Unterlagen raus. Dienstagabend lieferte die Druckerei dann die letzten 250.000 an die Post. Wer jetzt noch keine Unterlagen habe, könne noch am Wochenende welche im Kreisverwaltungsreferat abholen – und dort sogar in Münchens einziger Wahlkabine gleich sein Kreuz machen.
Einweghandschuhe beim Auszählen
Zurück am Esstisch der Wählerin Gisela Mackenroth. Während sie den Briefumschlag auf herkömmliche Art und Weise verschließt, stutzt sie: "Es ist eigentlich ganz interessant. Man hat die ja alle angespuckt, die Briefumschläge. Also, ich will ja nicht der Wahlhelfer sein."
Johannes Mayer vom Kreisverwaltungsreferat sieht in dieser Tatsache kein Risiko. Die 1500 Wahlhelfenden, die übrigens alle freiwillig dabei sein werden, würden vor allem in Klassen- und Versammlungsräumen Stimmen auszählen. Ausgestattet mit Schutzmaterial.
Die Münchnerinnen und Münchner, die man abends am Wahlbriefkasten vor dem Kreisverwaltungsreferat antrifft, scheinen ihren kleinen Ausflug fast ein wenig zu genießen.
Das mit der Wahl in Zeiten der Ausgangssperre finden sie okay.
"Weil Briefwahl ist jetzt nichts schlimmes."
"Wir haben doch jetzt alle Zeit, den Brief auszufüllen und loszuschicken, oder?"
Und auch die Wählerin Gisela Mackenroth findet gut, dass Bayern die Kommunalwahlen über die Bühne bringt – trotz Corona. "Da machen Leute jahrelang Stadtpolitik und dann werden jetzt halt auch diese Wochen oder Monate mit Corona das, was dann den Wahlkampf oder so einen zweiten Wahlkampf ganz stark bestimmen würde. Und vielleicht ist das auch kein Ereignis, womit man Wahlkampf machen muss."