Stimmungstest für Poroschenko
Bei den Kommunalwahlen am Sonntag rechnen die Ukrainer auch mit Präsident Poroschenko und Premier Jazenjuk ab. Gut sieht es für die beiden nicht aus, sagt Verfassungsrechtler Aleksandr Nowikow. In den Behörden blühe die Korruption, Reformen bleiben aus.
Die Ukraine hält einen europäischen Rekord. Sie beschäftigt die größte Anzahl an Beamten, Staatsanwälten und Polizisten – pro Kopf der Einwohner gerechnet. Diese allerdings werden nicht froh ob des Rekords. Der Ruf der Staatsdiener ist so schlecht, wie sie bezahlt werden. In den Augen der Bürger arbeiten sie weder gewissenhaft noch effizient. Viele gelten als politisch belastet oder korrupt oder als beides zusammen.
Auf dem „Maidan“ im Frühjahr 2014, also während der weltberühmten Kundgebungen im Zentrums Kiews und anderer Städte des Landes, forderte die direkte Straßendemokratie, jene Beamte zu bestrafen, die überführt wurden, bestechlich zu sein, zum Schaden des Gemeinwesens in die eigene Tasche gewirtschaftet und ihr Amt missbraucht zu haben.
Lustration hat Erwartungen nicht erfüllt
Seither hat das Parlament zwar Gesetze verabschiedet, die eine Lustration, ein Entfernen von zwielichtigen Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst vorsehen, aber in der Praxis haben sich die Erwartungen der Ukrainer nicht erfüllt. Denn die Bürokratie hat sich nicht gewandelt oder gar verbessert. Vielmehr wurde diese Art der Abrechnung mit der abgelösten Regierung zum politischen Kalkül der neugewählten. Im Ergebnis setzen alte Machtzirkel ihr gewinnträchtiges Spiel unverändert fort.
Hochrangige Beamte aus der Epoche des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch kehrten als Abgeordnete in die Politik zurück und sichern heute dem neuen Staatsoberhaupt stabile Mehrheiten im Parlament, obschon sie unmittelbar dafür verantwortlich sind, dass sich die Ukraine in so einen erbärmlichen Zustand befindet.
Den politischen Einfluss sichert Geld ab, das öffentlichen Kassen betrügerisch vorenthalten wurde. Denn ehemalige wie noch aktive Spitzenbeamte sind sehr eng mit Großunternehmern verbunden. Sie haben diese Privatunternehmer erst groß gemacht, indem sie ihnen Staatsaufträge zuschanzten.
Auch Präsident Pjotr Poroschenko war und ist ein bekannter Oligarch, der es vorzieht, nicht gegen seine ehemaligen Kollegen zu kämpfen, sondern sich mit ihnen zu arrangieren. Das heißt auch, wer Oligarchen bei ihren Geschäften unterstützt, muss nicht um seinen Job fürchten: Ministeriale nicht die Lustration, Parlamentarier nicht den Verlust des Mandats.
Durchgreifende Reformen bleiben aus
Ukrainer, die aktiv am „Maidan“ teilgenommen und danach die Last des Krieges im Osten des Landes mitgetragen haben, fühlen sich betrogen, weil durchgreifende Reformen ausbleiben und die Korruption blüht, als wäre nichts geschehen. Der Unmut zeigt sich daran, dass die Beliebtheit des Präsidenten und seines Premier in zwölf Monaten jäh abgestürzt ist.
Nun stehen wieder Wahlen an, diesmal auf Kommunal- und Regionalebene. Eigentlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Ukraine dezentraler, demokratischer zu verwalten. Doch unvermutet beschließ das Parlament in großer Eile eine Lustration der Gerichte – eine Gesetzgebung, die von Vorschlägen wie diesen begleitet wird: möglichst alle Richter zu entlassen, sie aber noch zu verpflichten ein Jahr lang ihre Nachfolger einzuarbeiten.
Auffällig daran ist, dass an Gerichten weitaus weniger Personal als in den Sicherheitsbehörden arbeitet, dafür aber vor allem Frauen. Weshalb der Verdacht naheliegt, hier werde der Öffentlichkeit ein rituelles Opfer dargebracht. Und schlimm dran ist, dass eine Regierung, die vorgibt, dem Volk und dem Vermächtnis des „Maidan“ verpflichtet zu sein, ein altbekanntes Instrument autoritärer Macht anwendet, sich durch politische Eingriffe Richter gefügig und gehorsam zu machen.
Es braucht nicht betont zu werden, dass unter einer „Säuberung des Staatsdienstes“ kein willkürliches, selektives, nicht durchschaubares Verfahren verstanden werden darf. Vielmehr kann nur eine rechtlich einwandfreie Durchleuchtung des öffentlichen Dienstes Vertrauen schaffen.
Darum haben die Ukrainer miteinander politisch gerungen und diese erwarten sie. Doch die Mächtigen haben ihr Volk wieder einmal nicht verstanden.
Aleksandr Nowikow, Jahrgang 1982, ist Völkerrechtler und Dozent an der Nationalen Juristischen Akademie „Jaroslaw Mudry“ in Charkiw. Sein Forschungsschwerpunkt sind Verfassungsänderungen in den postsozialistischen Staaten, so schrieb er seine Doktorarbeit über den „Rechtlichen Status des Präsidenten von Polen“.