Auf den Spuren von Dr. Dolittle
Immer wieder gibt es Berichte über "sprechende" Menschenaffen, Papageien oder Delfine. Einige Menschen meinen sogar, sich mit Tieren unterhalten zu können. Wahrheit, Mythos oder Anekdote? Das ist auf den ersten Blick oft schwer zu unterscheiden.
Denn die große Frage ist, ob Mensch und Tier im Prinzip die gleichen Sprachfähigkeiten besitzen oder ob der Mensch in dieser Beziehung einzigartig ist. Darüber sind sich selbst Linguisten und Biologen nicht einig. Wird es irgendwann möglich sein, sich wie der berühmte Dr. Dolittle in einer Sprache mit anderen Lebewesen zu unterhalten? Lennart Pyritz hat bei Mensch und Tier nach Antworten gesucht.
Manuskript zur Sendung:
"Herr Dr. Sommer, könnte der Hund jetzt mal irgendwas sprechen? - Gern, Bello, sag mal 'Otto holt große rote Rosen' - Oo o oo oo oo - Man muss schon sehr genau hinhören."
Auch Loriot kann in seinem Trickfilm um den Hund Bello nicht klären, worüber sich Forscher seit Jahrzehnten streiten: Können Tiere lernen zu sprechen? Ist ihre Kommunikation mit der menschlichen Sprache vergleichbar?
Mit Tieren ein Gespräch führen - angeblich konnte das der israelische König Salomo. Der Ordensgründer Franz von Assisi predigte der Überlieferung nach gar vor einem Vogelschwarm. Auch heute gibt es immer wieder Berichte von Menschen, die vorgeben, sich mit Papageien, Walen, Pferden, Hunden, Katzen oder Affen zu unterhalten. Die Geschichte des Dr. Dolittle, ein Arzt, der die Sprache der Tiere lernt, wurde als Buch und Film-Musical ein Welterfolg.
Doch nicht nur Pferdeflüsterer, Hunde-Therapeuten, Künstler und Humoristen widmen sich dem Thema Tier und Sprache. Auch Forschungsinstitute kommen zu erstaunlichen Ergebnissen: So brachte Irene Pepperberg, eine in Harvard promovierte Wissenschaftlerin, ihrem Graupapagei Alex mehr als 100 englische Vokabeln bei. Der Vogel konnte sogar Formen, Farben und Materialien in wechselnden Kombinationen korrekt bezeichnen.
"Alex, what matter? ... Wool … How many corners, what shape? ... Four corner … Four corner, good boy!"
Ein anderer Star der Szene ist der Border Collie Rico. Er lernte hunderte verschiedener Begriffe für sein Spielzeug und erriet die Bedeutung unbekannter Wörter nach dem Ausschlussverfahren. Damit trat er 1999 mit seiner Trainerin Susanne sogar bei "Wetten dass…?" auf.
Gottschalk: "Frank, Du zeigst auf vier Gegenstände, die Du beliebig auswählst, und Susanne, Sie versuchen dem Rico klarzumachen, dass er diese vier Gegenstände aus diesem großen Angebot raussuchen muss. Frank, zeig mal, was Du kannst."
Elstner: "Gut, ich fand zum Beispiel den Schneemann da hinten ganz hübsch, vielleicht kann er uns den mal holen?"
Susanne: "Rico, wo ist denn der Schneemann, such, such, such …"
Und Rico findet den Schneemann.
Ein aufgeregter Präriehund aus der nordamerikanischen Steppe. Was fürs Ohr zunächst nach einem einfachen Alarmruf klingt, ist in Wahrheit eine komplexe Mitteilung. Zumindest für Con Slobodchikoff, emeritierter Professor für Verhaltensbiologie an der Northern Arizona University.
"In den Alarmrufen stecken Informationen über die Art des Angreifers, zum Beispiel Koyote, Mensch oder Hund. Präriehunde geben auch Informationen über die Größe und Gestalt des Angreifers weiter. Zum Beispiel, ob ein Mensch groß und dünn oder dick ist. Das gleiche gilt für Farben, ob ein Mensch ein blaues oder gelbes Hemd trägt."
Slobodchikoff rechnet sogar damit, dass es in fünf bis zehn Jahren Geräte in der Größe eines Handys oder Apps geben wird, die zwischen Tier und Mensch übersetzen. Eine Art technologisches Pendant zum Babelfisch aus Douglas Adams` Roman "Per Anhalter durch die Galaxis", der es - ins Ohr gesetzt - dem Träger ermöglicht, alle Sprachen zu verstehen.
"Für Präriehunde haben wir so ein Gerät gebaut, mit Künstlicher-Intelligenz-Software und Fuzzy-Logik-Verfahren. Wenn die Tiere einen Alarmruf ausstießen, analysierte das Gerät alle Lautkomponenten und teilte uns mit, was der Präriehund gesagt hat."
Das System funktioniert auch in die andere Richtung.
"Wir können etwas in das Gerät für die Präriehunde hineinsprechen. Die Software produziert dann einen Laut, der unsere Mitteilung für die Tiere verständlich wiedergibt."
Slobodchikoff malt sich bereits unterschiedliche Anwendungsfelder der Technologie für Haustierbesitzer aus.
"Ein Hund könnte 'Wuff' sagen und dann würde das Gerät in Englisch, Deutsch oder irgendeine andere Sprache übersetzen: Ich würde heute Abend gerne Hühnchen essen. Oder eine Katze sagt 'Miau' und das Gerät übersetzt: Mein Klo ist dreckig."
Mensch-Tier-Kommunikation
An einem ähnlichen Projekt arbeitet Denise Herzing vom "Wild Dolphin Project". Im Sommer 2013 hielt sie einen Vortrag mit dem Titel "Could we speak the language of dolphins?"
"Diese stoßartigen Pulsgeräusche der Delphine ähneln menschlichen Lauten. Man kann versuchen, diese Signale zu interpretieren, aber das ist schwierig, und wir haben noch keinen Ausgangspunkt. Eine andere Annäherung ist es, eine Technologie zu entwickeln, eine Schnittstelle für Zwei-Wege-Kommunikation."
Herzing und ihre Kollegen haben ein Unterwasser-Keyboard entwickelt. Darauf sind große Symbole für einzelne Gegenstände, mit denen die Delphine gerne spielen, zum Beispiel Seegras. Jedes Symbol ist mit einem künstlichen Pfeifton gekoppelt, den die Tiere allerdings leicht imitieren können. Durch Beobachtung sollen die Delphine lernen, Symbol und Ton zu verbinden. So könnten sie Taucher durch Anstupsen des Symbols oder Imitieren des entsprechenden Pfeiftons zu einem spezifischen Spiel auffordern - oder umgekehrt. Durchbrüche gab es noch nicht.
Zur Sprache zwischen Mensch und Tier wird allerdings nicht erst geforscht, seit sich technische Übersetzungshilfen konstruieren lassen. Schon in den 60er-Jahren ließen US-amerikanische Wissenschaftler das Schimpansen-Weibchen Washoe wie ein gehörloses Adoptivkind in ihrer Familie aufwachsen und brachten ihm Gebärdensprache bei. Mehrere Hundert Zeichen lernte Washoe, die sie teils kombinierte: Zum Beispiel "Wasser" und "Vogel" für Schwan oder "Trinkfrucht" für Melone. Ihre Trainer waren begeistert: In ihren Augen hatte sich Washoe eine menschliche Sprache angeeignet. Einer ihrer Trainer, Roger Fouts, schrieb später ein Buch mit dem Titel "Next of Kin: My Conversations with Chimpanzees". Ab 1972 brachte Francine Patterson in einem ähnlichen Projekt dem Gorilla-Weibchen Koko Zeichen der "American Sign Language" bei. Auch die Psychologin war euphorisiert:
"Ich habe immer Englisch mit Koko gesprochen. Und dann habe ich bemerkt: Wenn jemand kam, der keine Gebärdensprache konnte und hat sie zum Beispiel gefragt: Was ist das Zeichen für 'gut'? - dann hat sie das sofort gemacht. Sie übersetzt also."
Schlummert also eine ganze Sprache in unseren engsten Verwandten, den Menschenaffen? Eine Sprache, die wir nur erwecken müssen? Linguisten, Verhaltensbiologen und Psychologen äußerten bereits damals Widerspruch. Darunter Herbert Terrace von der Columbia University. Er kritisierte vor allem, dass zwischen den Affen und den Forschern bisher immer ein sehr emotionales Verhältnis bestanden hatte: Die meisten Ergebnisse seien anekdotisch. Deswegen lehrten er und sein Team den Schimpansen Nim Gebärdensprache und analysierten seine Fähigkeiten streng wissenschaftlich. Die Ergebnisse waren ernüchternd.
"Ich sah, dass der Schimpanse den gebärdensprechenden Lehrer mehr oder weniger spiegelte. Nim wiederholte die Gebärde des Lehrers oder eine ähnliche. Oder er machte ein paar Mehrzweck-Zeichen."
Nicht mehr als ein paar Handsignale?
Noam Chomsky, emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology, schaltete sich damals in die Diskussion ein. Im Skype-Interview stuft er auch heute noch die Sprachfähigkeiten der Schimpansen herab.
"Die haben nicht Gebärdensprache gelernt. Ihnen wurde beigebracht, ein paar Dinge mit Handsignalen zu machen."
Terrace und Chomsky waren und sind sich einig: Die Tiere kopierten die Bewegungen ihrer Bezugspersonen. Sie kreierten nicht beliebig viele neue Wörter, entwickelten keine eigenen Sätze. Deshalb könne man das nicht Sprache nennen. Allerdings geht es dabei im Grunde um eine Definitionsfrage.
"Der Begriff Tiersprache ist eine Art Metapher. Es ist so, wie zu fragen: Schwimmen U-Boote genauso wie Fische? Man kann sagen 'Ja', aber das ist nur eine Metapher. Alle Lebewesen haben Kommunikationssysteme. Aber die unterscheiden sich von menschlicher Sprache in so ziemlich allen Dimensionen."
Sprache ist nach Chomsky also etwas exklusiv Menschliches. Sie beruhe auf einem Berechnungsverfahren, das im Kopf des Sprechenden eine unendliche Anzahl hierarchisch geordneter Ausdrücke entstehen lässt.
"Jeder davon hat zwei Ausprägungen. Eine im sensorischen Motorsystem zum Äußern, die andere im Gedankensystem. Das macht Sprache zu so etwas wie einem System hörbarer Gedanken. Dabei ist der gedankliche Teil viel entscheidender. Um sich mitzuteilen, muss man nicht einmal hörbar sein."
Chomsky hat auch den Begriff der Universalgrammatik geprägt. Demzufolge liegen allen menschlichen Sprachen gemeinsame grammatikalische Regeln zu Grunde, die ausschließlich dem Menschen angeboren sind. Die Theorie ist umstritten. Sein Kollege Bernard Comrie, Direktor der Abteilung für Linguistik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, argumentiert ähnlich:
"Meine Definition ist: Sprache ist das grundlegende Kommunikationssystem des Menschen. Das ist natürlich eine funktionale Definition, die nichts über die formale Beschaffenheit von Sprache sagt."
Einige spezifische Kriterien nennt er aber schon: Die menschliche Sprache decke im Prinzip alles ab. Wir könnten damit über alles kommunizieren. Ein großer Unterschied zu den begrenzten tierischen Kommunikationssystemen.
"Ein offensichtlicher Vergleich wäre der Schwänzeltanz bei Bienen. Die können über Honig kommunizieren: Wo er ist, wie weit entfernt, in welcher Richtung. Das ist es dann aber auch."
Sprechen als essentielles Bedürfnis
Dazu kommt laut Comrie ein sozialer oder kultureller Effekt: Der Mensch wolle Sprechen - auch in Situationen, die es nicht wirklich erfordern. Keine Lebensgefahr, kein essentielles Bedürfnis - der Mensch redet trotzdem. Hunden, Affen oder Bienen würde das nicht einfallen.
"Selbst wenn andere Arten einige der formalen Bestandteile menschlicher Sprache beherrschen - wenn sie nicht wirklich Interesse am Sprechen haben oder sogar kein Interesse daran haben, es zu können, dann machen sie es auch nicht."
Zu den kulturellen Hürden kommen auch angeborene. Lange wurde die Lage des Kehlkopfs zum Beispiel dafür verantwortlich gemacht, dass Schimpansen nicht sprechen: Er liegt bei den Affen höher als beim Menschen. Inzwischen gibt es eine andere Theorie: Die Nervenbahnen im Gehirn unterscheiden sich stark - Schimpansen könnten deshalb ihren Lautapparat nicht willentlich steuern.
Nicht nur Linguisten, auch Biologen ringen mit der Definition von Sprache.
"Das Problem ist, wenn man Sprache definieren will, dass es einfach ein unheimlich komplexes Phänomen ist, zu dem ganz Vieles dazugehört."
Julia Fischer, Leiterin der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum und Professorin an der Universität Göttingen. Sie denkt grundsätzlich ähnlich wie Chomsky: In der Sprache gebe es Symbole und ein Regelsystem, die einzelnen Elemente zusammen zu fügen.
"Das heißt also, dass ich diese Regeln verwenden kann, um immer neue Kombinationen zu schaffen oder auch neue Symbole zu bilden, die was Neues bezeichnen. Und das erlaubt uns eben, noch viele, viele Sätze zu sagen, von denen wir noch gar nicht wussten, dass es sie gibt."
Auch die Biologin beurteilt die Versuche ihrer Fachkollegen skeptisch, Menschenaffen wie Washoe und Koko Gebärdensprache beizubringen.
"Ich denke, das ist eine Kommunikation, die auf gewisse Weise auch ziemlich exklusiv ist, zwischen dem Trainer und dem Tier. Es gibt Leute, die haben versucht, das nachzuvollziehen von außen. Die tun sich meistens schwer damit zu verstehen, worum`s eigentlich gerade geht, selbst wenn sie vorher eingewiesen sind, was jetzt die einzelnen Gebärden bedeuten."
Für die von Slobodchikoff untersuchten Alarmrufe von Präriehunden würde Fischer das Wort "Sprache" nicht verwenden. Gerade Säugetiere hätten häufig einen angeborenen Laut, einen schrillen Schrei oder ein Bellen. Darin gebe es dann eine Vielzahl von Subvarianten. Also keine unterschiedlichen Begriffe für unterschiedliche Dinge. Keine Grammatik, sondern Statistik.
"Im Prinzip kann man natürlich irgendwelche systematischen Variationen finden in den Rufen. Und das ist genau das, was dann die Zuhörer nutzen, die sind letztendlich statistische Lerner, die einfach irgendwann extrahieren können 'Na, wenn dieser Ruf sich so anhört, dann ist da wahrscheinlich jetzt ein Mann mit Gewehr und nicht ein Fuchs oder so was Ähnliches'."
Begeistert klingt Julia Fischer als sie von Rico erzählt. Sie gehörte zum Team des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das die Fähigkeiten des Border Collies untersucht und 2004 in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht hat. Besonders die Trennung von Sprachverständnis und Sprachproduktion hat sie damals beeindruckt.
"Also der hatte ein fantastisches Sprachverständnis und konnte die Laute zuordnen, oder die Wörter, zu den verschiedenen Spielzeugen, die er hatte. Aber: Er hat ja trotzdem nichts gesagt."
Zu den grenzwertigsten Fällen zählt für Fischer der inzwischen verstorbene Graupapagei Alex. Auch er entwickelte zwar keine neuen Wörter oder äußerte ganze Sätze. Aber er konnte anders als Rico die menschliche Stimme imitieren und - ohne, dass er es vorher gesehen hatte - ein grünes Papierdreieck von einem gelben Wollquadrat unterscheiden und das auch zum Ausdruck bringen - für Fischer nah dran an echter Sprache.
"Also Alex ist ein echt interessanter Fall. Auf der einen Seite, weil er offensichtlich sehr intelligent war und tatsächlich Kategorien bilden konnte. Und man konnte ihn danach befragen, also abfragen, was für Kategorien es sind - Farbe, Form und so weiter. Und er hat auch viel verstanden, also er hat die Kommandos verstanden."
Alleinstellungsmerkmal Sprache
Für den Linguisten Bernard Comrie kratzt so manche Art mit ihren Fähigkeiten am menschlichen Alleinstellungsmerkmal Sprache.
"Wenn man sich anschaut, was die Forschung kürzlich über die Kommunikation bei Papageien, Affen und Hunden herausgefunden hat, ist das interessant. Die kommen viel besser mit der menschlichen Sprache zurecht, als wir vor ein paar Jahrzehnten gedacht hätten."
Zu dieser Einschätzung hat auch vergleichende Forschung mit Kindern beigetragen, unter anderem am Max-Planck-Institut in Leipzig. Denn was entscheidend dafür ist, dass Menschenkinder Sprache lernen, in welchen Etappen sie das tun, und wie sich Sprache in der Evolution entwickelt hat: Das wird oft erst im Vergleich mit anderen Primaten sichtbar, insbesondere Schimpansen als unseren nächsten Verwandten. Etwa so sprachbegabt wie zweijährige Kinder könnten Tiere wie Washoe, Alex und Rico werden. Das ist Comries Zusammenfassung der Forschungslage.
"Bis zu dem Level können sie es. Aber was Menschenkinder später noch erwerben - dazu gehören viele Aspekte der komplexen Syntax menschlicher Sprache - liegt jenseits der tierischen Fähigkeiten, soweit wir das sagen können."
Die Verhaltensbiologin Julia Fischer würde den Vergleich noch weiter einschränken. Schon Zweijährige könnten mehr als Tiere.
"Zum einen ist es so, dass die Menschenkinder sehr früh schon versuchen so eine Art Dreieck aufzubauen zwischen sich, dem, mit dem sie kommunizieren, und dem Ding, um das es gehen soll. Also das fängt schon mit dem simplen "Da" an, "Guck mal, da". Also das man die Aufmerksamkeit teilt und sich vergewissert, guckt der andere auch wirklich dahin, wo ich hinzeige. Und das haben wir bei Tieren nicht."
Auch bei der Sprachproduktion sieht sie Zweijährige im Vorteil gegenüber Tieren. Der Linguist Chomsky dagegen hält grundsätzlich jeden Vergleich für falsch und überflüssig.
"Die menschliche Sprache ist einfach ein organisches System, das getrennt ist vom Tierreich. Daran ist nichts Überraschendes."
Sprache oder Kommunikation?
Die Komplexität der Äußerungen macht also den entscheidenden Unterschied aus. Darin stimmen die Definitionen von Fischer, Comrie und Chomsky überein. Der Mensch nutzt kein festes Repertoire an Phrasen. Er ruft nicht nur Vorgemachtes und Antrainiertes ab wie die Schimpansin Washoe oder der Hund Rico. Er kombiniert ein begrenztes Vokabular in nahezu unbegrenzter Weise. Macht Schachtelsätze, Einbettungen, Iterationen. Julia Fischer betont allerdings, dass es eine Kontinuität zwischen tierischer und menschlicher Kommunikation gebe.
"Es gibt natürlich viele Aspekte an Kommunikation, die wir auch teilen. Also zum Beispiel der emotionale Ausdruck, also dass ich ja nicht nur irgendwie das Verbale transportiere, sondern auch meine Stimmung. Und das ist das, was wir mit Tieren teilen."
Genau deswegen gibt es aber auch zwei Begriffe: den weiter gefassten der "Kommunikation" und den spezifischeren der "Sprache". Gleichgesetzt werden sollten sie nicht, das würde das Begriffsdurcheinander nur verstärken.
Ob die Suche nach menschlicher Sprache bei Tieren überhaupt sinnvoll ist, ist nicht nur eine Frage der Definition. Zum einen liefert es ein verzerrtes Bild, wenn die Fähigkeiten einer Art aus der Perspektive einer anderen beurteilt werden. Bernard Comrie:
"Stellen wir uns vor, die Forscher wären Vögel, die den Menschen untersuchen. Und sie würden sehen: Oh, die können ja gar nicht fliegen. Und dann würde sie eine große Theorie auf dieser Tatsache aufbauen."
Für Comrie geht es dabei außerdem um eine Frage der Gerechtigkeit zwischen den Arten. Wenn Sprache einen bestimmten Hirn- und Körperbau voraussetzt der spezifisch menschlich ist, dürfe man nicht fragen, warum Schimpansen, Papageien, Hunde oder Bienen nicht sprechen wie wir. Noam Chomsky geht noch einen Schritt weiter.
"Es ist erniedrigend Tiere dazu zu zwingen, etwas oberflächlich zu imitieren, was Menschen auf ganz andere Weise machen."
Bei anderen Vergleichen würde der Mensch jämmerlich abschneiden.
"Wenn Menschen trainiert würden, den Schwänzeltanz von Bienen nachzumachen, könnten sie das irgendwie, aber schlecht. Das würde einem nichts über Bienen sagen und die kognitiven Fähigkeiten des Menschen vollkommen unterschätzen. Es wäre auch sinnlos zu versuchen, dem Menschen einige der erstaunlichen Navigations- und Kommunikationsfähigkeiten von Insekten beizubringen. Niemand träumt davon, so etwas zu tun."
Dass Anlegen der eigenen Maßstäbe ist nicht nur ungerecht anderen Lebewesen gegenüber und biologisch fragwürdig. Es kann auch den Blick so einengen, dass nur noch der Mensch im Schimpansen gesucht wird.
"Ich frag mich eben manchmal doch, ob diese Konzepte, die entwickelt wurden, um menschliches Verhalten zu beschreiben - inklusive der menschlichen Sprache - ob die uns nicht den Blick darauf verstellen, was die Tiere wirklich tun."
Die Linguistik als Ausgangspunkt für die Analyse von Tierkommunikation zu nehmen, ist wohl ein Fehler. Julia Fischer warnt jedenfalls davor, das tierische Bellen, Schnattern, Rufen oder Pfeifen durch einen Vergleich mit der menschlichen Sprache abzuwerten.
"Es ist nur Kommunikation - Nein, es ist Kommunikation! Und das ist ja interessant, wie die funktioniert, was gibt es da für Gesetzmäßigkeiten, wie ein System aufgebaut sein muss, damit es verwendet werden kann, damit es gewissermaßen adaptiv ist, den Tieren einen Überlebensvorteil auch sichert."
Warum viele Menschen, Wissenschaftler eingeschlossen, so selbstzentriert - anthropozentrisch - auf die Welt blicken und menschliche Konzepte auf andere Lebewesen übertragen, hat für Julia Fischer mit Selbsterkenntnis zu tun. Der Mensch suche immer nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten mit seinen Mitlebewesen. Die eigene Identität schält sich also im Vergleich mit anderen heraus.
"Das andere ist, das es auch natürlich interessantere Nachrichten ergibt, wenn man zeigt, ein Tier kann etwas wie ein Mensch, als wenn man sagt, es ist nicht wie ein Mensch, weil das war ja gewissermaßen der Status quo ante."
Einmal vorausgesetzt, alle definitorischen, biologischen und philosophischen Hürden wären ausgeräumt, und Mensch und Tier würden dieselbe Sprache teilen. Es bliebe die Frage, ob das für ein angeregtes Gespräch ausreichen würde. Tiefschürfende Konversationen über unterschiedliche Themen haben auch die begeisterten Trainer der Schimpansin Washoe oder des Papageis Alex jedenfalls nicht mit ihren Schützlingen geführt.
"Was hätte man sich gegenseitig zu erzählen? Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit einem Frosch sprechen: Gibt es da wirklich etwas von Interesse? Etwas, dass Sie und den Frosch interessieren würde? Vorausgesetzt der Frosch kann sprechen und ist ansonsten ein Frosch."
Ein Frosch ist kein Schimpanse. Ob die genetische Verwandtschaft zwangsläufig bedingt, wie viel sich Mensch und Tier mitzuteilen haben, ist trotzdem fraglich. Laut Comrie ist die Bandbreite der Gesprächsthemen mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, jedenfalls auch sehr schmal.
"Interessanterweise ist in mancher Hinsicht die Bandbreite sogar größer, wenn man sich die Kommunikation zwischen Mensch und Hund anschaut."
Entscheidend sind gemeinsame Interessen
Einen entscheidenden Grund dafür - davon ist auch die Biologin Julia Fischer überzeugt - könnte die gemeinsame Geschichte spielen.
"Hunde sind wirklich am Menschen interessiert und umgekehrt. Das hat sich entwickelt als Wölfe domestiziert wurden, durch eine Co-Evolution sozialer und kommunikativer Fähigkeiten. Ich denke, das läuft darauf hinaus, dass das Entscheidende nicht nur die linguistischen Fähigkeiten sind, sondern die geteilten Interessen."
Können wir uns also mit Tieren unterhalten oder nicht? Ist das überhaupt ein sinnvolles Vorhaben? Das hängt zunächst und grundsätzlich ab von der Frage, wie man Sprache definiert. Die Grenzen sind unscharf. Doch auch wenn Papageien, Schimpansen und Hunde meisterhaft Stimmen imitieren, Handzeichen einsetzen und Vokabeln lernen können - für tiefgreifende Gespräche in einer gemeinsamen Sprache reicht es offenbar nicht. - Ebenso wenig, wie wir aus eigener Kraft mit einem Vogelschwarm fliegen oder Bienen beim Honigsammeln unterstützen können. In gewisser Weise ist der Dr. Dolittle-Traum trotzdem schon wahr: Denn zum Miteinander-Reden braucht man nicht unbedingt dieselbe Sprache.
"Jeder, der Haustiere hat, spricht mit ihnen. Das wissen wir alle."
Und dass sie viel von dem verstehen, was wir sagen, liegt - wenn auch nicht auf der Zunge - so doch auf der Hand.