Eine Kommunistin regiert Graz
Das gab es zuvor in keiner anderen österreichischen Landeshauptstadt: eine kommunistische Bürgermeisterin. Hier: Elke Kahr während der konstituierenden Sitzung des Grazer Gemeinderats. © picture alliance / APA / picturedesk / Erwin Scheriau
„Das ist erworbenes Vertrauen“
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Vor einem Jahr wurde die kommunistische Partei bei der Gemeinderatswahl im österreichischen Graz stärkste Kraft, regiert nun mit Sozialdemokraten und Grünen. Zu verdanken hat die Partei das vor allem ihrer charismatischen Spitzenkandidatin Elke Kahr.
„Ich finde, man kann in der Politik nix weiterbringen, wenn man das nicht mit 100 Prozent mit vollstem Herzen macht.“ So das Credo der neuen Bürgermeisterin von Graz: eines, an dem Elke Kahr festhält, seit sie Mitte der 80er-Jahre der KPÖ beigetreten ist, einer Partei, die es bundesweit seit den 60er-Jahren nie über mehr als ein bis zwei Prozent gebracht hat.
In Graz ist die KPÖ hingegen seit langem stark. Das verdankt sie zwei charismatischen Männern an der Spitze, von denen einer Elke Kahrs Lebenspartner wurde, mit dem sie einen Sohn hat. „Das ist erworbenes Vertrauen“, sagt Kahr. „Ich gebe jetzt eigentlich de facto nur wider, was Menschen sagen: dass wir unprätentiös sind, dass wir greifbar sind für die Leute, dass wir uns nicht als etwas Besseres fühlen. Die Leute sagen immer: Ihr seid eigentlich die Einzigen, wenn man schreibt, die sich zurückmelden. Ihr seid die Einzigen, die da sind, wenn man wen braucht. Das ist wortwörtlich, was man immer hört. Es geht eben darum, wie du Leute behandelst.“
Vertrauen erwerben
Elke Kahr, 61 Jahre alt, braunes Haar, in dem die Brille steckt, freundliches Lachen, steirisches Idiom in der Sprache. Vor ihrem Schreibtisch hat sie eine Spielecke für Kinder einrichten lassen, die Türen in ihr Büro stehen auch während des Gesprächs offen.
Sie ist als Adoptivkind in einem Grazer Arbeiterviertel aufgewachsen und hat als junge Frau das Abitur nachgeholt. Immer ging es ihr um Gerechtigkeit. Im Politikstil habe sich nichts geändert, versichert Kahr. Niemand sei abgehoben seit dem Wahlsieg vor einem Jahr. „Es ist seit Jahrzehnten bei uns ein geschriebenes Gesetz, dass wir den Leuten dienen. Sie sind unsere Bündnispartner, und einen Tag nach einer Wahl gilt es das Vertrauen, das die Leute uns gegeben haben, immer wieder aufs Neue zu erwerben.“
Keine Probleme mit Wirtschaft und Kirche
Elke Kahr sitzt seit 1993 im Gemeinderat, 2005 übernahm sie die Wohnungsagenden. Dort war die KPÖ dann so erfolgreich, dass die Stadtregierung aus ÖVP und FPÖ nach der Wahl 2017 Elke Kahr zum Verkehrsressort abschob, nicht ohne vorher dieses um wichtige Materien abgespeckt zu haben.
Trotzdem fuhr die KPÖ 2021 ihren bisher größten Erfolg ein. Sie komme aber mit allen gut zurecht: keine Probleme mit den Kirchen, auch mit der Wirtschaft laufe es gut, sagt Kahr. „Ich kenne ja durch die jahrzehntelange Arbeit sowieso sehr viele Großbetriebe. Für mich sind ja AVL, Siemens oder MFA Vorzeigebetriebe, Großbetriebe und wichtige Arbeitgeber in der Stadt Graz.“
Trotzdem hat Elke Kahr weltanschauliche Prinzipien. Auch wenn die Koalition der Kommunisten mit den Sozialdemokraten und den Grünen in der Stadtregierung nach ihren Worten gut funktioniert, seien bestimmte Themen für sie nicht diskutierbar. „Sollte es eine Frage sein, die prinzipieller Natur ist, wenn es um Privatisierung öffentlichen Eigentums ginge, da würden jetzt beispielsweise andere Parteien sagen: Na, wir sehen das aber anders. Dann hängen wir nicht am Posten oder an irgendetwas, sondern sagen: Da machen wir nicht mit. Es müssen sich Menschen auf irgendwas noch verlassen können.“
Umverteilung im Kleinen
Verlassen sollen sich die Menschen darauf, dass die KPÖ die Partei der kleinen Menschen bleibt, die für sie da ist und ihnen hilft, betont die Elke Kahr immer wieder. „Seit ich seit 2005 ein Gehalt beziehe, behalte ich 1900 Euro. Die Differenz gebe ich weiter. Als Stadträtin habe ich über 6000 Euro netto verdient, jetzt als Bürgermeisterin 8000 Euro netto. Das heißt, die Differenz gebe ich an Leute weiter. Das sind über eine Million Euro, was seit 2005 so weitergegeben wurde.“
Umverteilung im Kleinen. Das ist es, was die Grazer Bürgermeisterin schon immer umgetrieben hat. Sie habe viel gelesen, erzählt sie: Biografien von Widerständlern oder Menschen, die sich für andere und für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hätten. Marx habe sie bald als zu kompliziert zur Seite gelegt. „Auf einen Lenin oder Stalin bin ich überhaupt nicht gekommen in der Literatur.“
Direkter Kontakt zu den Bürgern
Auch wenn Elke Kahr pragmatisch wirkt, verleugnet sie doch nicht ihre Ideologie. „Letztendlich ist unser weltanschaulicher Kompass, der Marxismus, nur für dich selber ein Instrument, um zu begreifen, warum die Welt so ist, wie sie ist. Das ist ein ganz wichtiges Hilfswerk, damit du selber die Orientierung nicht verlierst, was oben und unten in der Gesellschaft bedeutet. Aber es ist nichts, was du wie eine Monstranz vor dir herhalten solltest und dauernd irgendwelche Phrasen, was der und der gesagt hat, nachbeten solltest.“
Dafür stand aber die KPÖ auf Bundesebene seit Kriegsende, die nie etwas mit dem Eurokommunismus anderer Staaten zu tun haben wollte: Sie galt als verstaubt, moskautreu, kritiklos gegenüber dem Stalinismus. Und Elke Kahr, wie grenzt sie sich ab? „Die KPÖ in Österreich hat sich nichts vorzuwerfen, außer, dass sie in einer bestimmten Phase einfach nicht ganz deutlich und klar gesagt hat: Mit diesen Verbrechen vom Stalin haben wir nichts am Hut. Deshalb hat die KPÖ immer diesen Klotz am Bein gehabt, dass sie halt irgendwie die Russenpartei ist, weil wir als Anhängsel gesehen wurden, und die Leute halt geglaubt haben: Kommunismus ist gleich Russland.“
Doch auch, wenn sie den Sozialismus in einer Gesellschaft als schönstes Ziel bezeichnet, geht es Elke Kahr, der kommunistischen Bürgermeisterin von Graz, in erster Linie um den direkten Kontakt, die Hilfe für die Schwachen.
Gestern hatte sie bis 21 Uhr Sprechstunde, heute wird es auch wieder elf am Abend werden. Ein Beispiel, wie Politik sein sollte? „Es gibt keine Blaupause für irgendwas. Aber es gibt einen Politikstil, den man vielleicht bei Interesse beobachten könnte oder schauen könnte, weil ich glaube, dass der sich immer bewährt.“