"Komödien der Tragik"

Moderation: Dieter Kassel |
Samuel Beckett war ausgesprochen pressescheu. Sein Werk gilt als pessimistisch. Privat dagegen soll der Schriftsteller lebenslustig gewesen sein. Diesen Widerspruch beschreibt der Drehbuchautor Goggo Gensch im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur als "Komödien der Tragik". Seine Beckett-Biografie "Beckett - Lippen schweigen" ist in zwei Akten im SWR zu sehen.
Kassel: Samuel Beckett wurde vor 100 Jahren am 13. April 1906 in der Nähe von Dublin geboren. Er verbrachte den größten Teil seines Lebens in Paris. Und er hat so bekannte und bedeutende Theaterstücke geschrieben wie "Das letzte Band", "Endspiel" oder natürlich "Warten auf Godot". Das wissen wir gebildeten Menschen. Aber sonst, sonst weiß man oft nicht so viel. Aber das, oder zumindest vieles, was es sonst noch zu wissen gibt, das erfährt man in "Beckett - Lippen schweigen", einer filmischen Biographie in zwei Akten. Der erste Akt ist heute Abend im SWR Fernsehen zu sehen. Und am Telefon begrüße ich jetzt den Autor dieser beiden Akte, Goggo Gensch. Guten Tag, Herr Gensch!

Gensch: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Glauben Sie denn, Samuel Beckett hätte das gefallen, eine zweiteilige ausführliche Dokumentation über sein Leben?

Gensch: Mit Sicherheit hätte ihm das nicht gefallen, weil Beckett war immer sehr, sehr spärlich war mit Selbstauskünften, und er hat seine Person absolut zurückgenommen. Für ihn war das wichtig, was er geschrieben hat. Er wollte, dass man sein Werk würdigt, seine Theaterstücke, seine Prosa. Aber er selber als Person nahm sich nicht wichtig und hat auch das nicht gern gehabt, wenn andere ihn wichtig genommen haben.

Kassel: War das nicht für Sie als Filmemacher ein großes Problem? Ich unterstelle mal, Sie hatten doch den Anspruch, auch Dinge in Erfahrung zu bringen über Beckett, die eben gerade jetzt rund um seinen 100. Geburtstag nicht in jedem Zeitungsartikel stehen.

Gensch: Das war ein Problem. Und ich habe dann natürlich versucht, Leute zu finden, die Beckett sehr gut gekannt haben. Also zum einen Schauspieler wie den Horst Bollmann in Berlin, der mit ihm ja viel gearbeitet hat. Oder James Knowlson, der eine - sagen wir mal - halbautorisierte Biographie über ihn geschrieben hat. Also Beckett hat gesagt, wenn jemand über mich was schreiben soll, dann du, weil er den Knowlson sehr gut gekannt hat. Er hat ihn immer wieder besucht bis in seine letzten Tage hin. Und an der Universität in Reading, wo James Knowlson Professor war, ist auch der Nachlass von Beckett archiviert.

Kassel: Wie hat denn gerade Knowlson die Gespräche mit Beckett beschrieben? Ist es ihm denn wenigstens gelungen, auch wirklich ein persönliches, menschliches Gespräch mit diesem Samuel Beckett zu führen?

Gensch: Ja, also das war wohl auch eine Annäherung über Jahre hinweg. Knowlson war fasziniert, seit er "Das letzte Band" gesehen hat. Das war sein Lieblingsstück von ihm, und hat dann Kontakt zu ihm gesucht, hat ihn auch bekommen. Und hat ihn eigentlich als sehr umgänglichen, fröhlichen Menschen beschrieben. Also normalerweise, wenn man von Beckett spricht, ist das ja immer ein sehr düsterer Eindruck. Und Knowlson sagte, es waren die Abende mit Beckett, da war er glücklich - also er hat wirklich das deutsche Wort glücklich benutzt - weil es so farbenfroh, so lustig und so fröhlich auch zuging. Also Beckett war privat, wenn er nicht Angst hatte, dass er über sich Auskunft geben musste, durchaus sehr lebenslustig wohl.

Kassel: Hatte Knowlson oder haben Sie bei Ihrer Arbeit eine Erklärung für diesen doch eindeutigen Widerspruch gefunden? Eigentlich das gesamte Werk von Beckett ist ja pessimistisch, ist wirklich lebensverneinend, wenn es dieses Wort überhaupt gibt. Und nun sagen Sie etwas, was ich auch schon gehört habe über Beckett, nämlich dass er doch ein so fröhlicher Mensch war, der auch immer gesagt hat: Nee, also das, was ich beschreibe, habe ich selber so nie erlebt.

Gensch: Ja, das ist wahrscheinlich auch eine Flucht vor dem Dasein gewesen. Also für Beckett war das Leben schon denke ich eine Qual. Er hat ja gesagt, das Schlimmste ist, geboren zu werden. Und Sterben ist dann so eine lange, mühselige Sache, das dauert das ganze Leben. Und man flieht natürlich davon dann auch in eine Ablenkung, in eine Fröhlichkeit. Also das ist dann so, ja, die Komödien der Tragik.

Kassel: Wo Sie das Wort fliehen gerade benutzt haben, Herr Gensch, er ist ja regelrecht auch geflohen, als noch relativ junger Mann aus seiner Heimat Irland. Da ist er, das wissen wir, geboren vor eben 100 Jahren, da hat er studiert. Und dann ist er weg und zwar schon gleich nach Paris, weil ihm das alles zu eng war in Irland. Ihr Film beginnt natürlich auch in Irland. Sie machen das halbwegs chronologisch. Was ist denn an Becketts Spuren in Dublin oder in seiner Geburtsstadt Foxrock überhaupt noch übrig?

Gensch: Wenig. Es gibt eine Gedenktafel. In Dublin wird James Joyce gefeiert. Beckett ist so gut wie nicht präsent dort. Wie gesagt, eine Gedenktafel am Hafen von Dún Laoghaire, das ist der Fährhafen in einem Vorort von Dublin. Und in Dún Laoghaire hat er, das spielt auch eine Rolle in "Das letzte Band", weil dort am Leuchtturm hatte er eine im wahrsten Sinne des Wortes eine Erleuchtung. Beckett-Kenner beschreiben das dann mit seinem Entschluss, auf Französisch zu schreiben.

Kassel: In Irland, haben Sie ja gerade beschrieben, ist er also nicht der große Held, als der er natürlich unter anderem in Deutschland auch am heutigen Tag gefeiert wird. In Frankreich ist er das natürlich, aber eben auch bei uns. Und Samuel Beckett hatte ja offenbar auch eine intensive Beziehung zu Deutschland. Er hat ja in Deutschland immer wieder gearbeitet. Unter anderem, das habe ich so in Ihrem Film erfahren, unter anderem war er auch regelrecht Mitarbeiter des Süddeutschen Rundfunks. Was hat er denn in Deutschland alles gemacht, und wann ungefähr?

Gensch: Also das erste Mal in Deutschland war er schon Anfang der 30er Jahre. Er war dort verliebt in seine Cousine Peggy Sinclair, die in Kassel gelebt hat, und hat die dort immer wieder besucht. Dann hat er 1937/38 eine halbjährige Deutschlandreise unternommen, die lange unbekannt war. Das hat man in Tagebüchern, die in Reading lagen, jetzt herausgefunden, wo er in Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden unter anderem war. Und dort hat ihn vor allem, war er in Museen, also die Kunst hat ihn dort sehr interessiert. Er war ein großer Freund von Caspar David Friedrich, hat sich aber auch viele andere Bilder zeigen lassen, auch zum Teil die, die schon im Keller waren, weil sie als entartet galten. Und er hat die deutsche Sprache sehr geliebt. Und da hat er den früheren Intendanten des Süddeutschen Rundfunks sehr beeindruckt, indem er nämlich Hölderlin auswendig zitiert hat. Er hat auch Deutsch verstanden, gesprochen, in Deutsch gelesen, hat wohl Grillparzer auch gelesen, Goethe. Und die deutsche Kultur hat ihn sehr interessiert. Auch Beethoven und Schubert als Komponisten waren eigentlich Zeit seines Lebens die Musiker, die ihm am nächsten waren.

Kassel: Sie haben diese Tagebücher, diese Aufzeichnungen erwähnt, die erst relativ spät entdeckt wurden über die Aufenthalte, also die erste Reise - Aufenthalte gab es später auch noch - aber die erste Reise von Samuel Beckett durch Deutschland. Sie haben auch gesagt, es war in den späten 30er Jahren, 1937. Und jetzt reden Sie über die Kunst, die deutschen Künstler, die Beckett beeinflusst haben. Hat er damals bei seiner Reise vom Nationalsozialismus, von der politischen Situation in Deutschland, gar nichts mitbekommen?

Gensch: Er hat davon etwas mitbekommen. Er hat es sehr sarkastisch in seinen Tagebüchern immer notiert. Da finden sich dann so Sätze wie "alle Klowärter sagen Heil Hitler" oder "diese Berliner Schreihälse". Er hat wohl eine Rundfunkübertragung gehört von Goebbels und Hitler. Und hat es sehr wohl registriert. Er ist ja dann auch, nachdem er zurück ist, in Paris relativ schnell der Résistance beigetreten nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland und war dort auch sehr aktiv. Also er hat dann auch ganz klar Position bezogen.

Kassel: Sie haben schon am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, dass Sie ja mit vielen Menschen, eben unter anderem in Deutschland, gesprochen haben, die ihn kannten, die mit ihm zusammen gearbeitet haben. Er war, wenn die Journalisten ankamen und irgendetwas wissen wollten, ja gerne verschlossen und hat wirklich nur nach extremer Bedrohung auch mal ein Interview gegeben, und am Ende eigentlich gar nicht mehr. Wie war denn sein Umgang mit Kollegen, mit Schauspielern zum Beispiel, mit vielleicht im Rundfunk auch mal Redakteuren, mit Regisseuren, War das wirklich eine intensive Begegnung oder war er da auch schweigsam?

Gensch: Nein, da war er überhaupt nicht schweigsam. Also ich habe ihn selber mal erleben dürfen als Aufnahmeleiter noch 1981. Und er hat dort ganz intensive Gespräche geführt mit denen, war gegenüber Redakteuren, also dem damaligen Fernsehspielchef des Süddeutschen Rundfunks, dem Reinhard Müller-Freienfels gegenüber, das war eine richtige Freundschaft. Das war allerdings auch immer so ein behüteter Raum. Also seine Bedingungen waren, keine Journalisten, es durfte niemand erfahren von der Presse, dass er jetzt wieder in Stuttgart ist und ein Stück inszeniert. Und der Süddeutsche Rundfunk hat ihm diesen Ort gewährt, und dann hat er sich frei und unbefangen gefühlt und war dort, es sind richtige Freundschaften entstanden, auch mit dem Kameramann Jim Lewis damals und so.

Kassel: Wir haben ja darüber geredet, dass Beckett sehr ungern Interviews gegeben hat und ein sehr scheuer Mensch war. Angeblich war es so, 1969, als er den Literaturnobelpreis bekommen hat. Da war er gerade in Indonesien. Seine Frau erreichte dort der Anruf, die hat es dann weitergegeben und hat gesagt: Oh Gott, das Schlimmstmögliche ist passiert! Jetzt ist es völlig vorbei mit der Anonymität! Und die beiden haben es angeblich als ärgerlich empfunden, dass er den Nobelpreis bekommen hat. War das wirklich so, oder hat er sich nicht heimlich doch gefreut. Denn das ist ja nun wirklich ein bedeutender Preis.

Gensch: Er hat sich sicherlich innerlich gefreut. Aber er hat gewusst, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Also seine Frau hat angeblich, wie mir mehrere Leute gesagt haben, darauf geantwortet mit "quelle catastrophe!". Er hat ein Interview gegeben schwedischen Journalisten, weil der Nobelpreis ja in Schweden verliehen wird. Und sein Verleger Jérôme Lindon, aus Frankreich war auch nicht sehr glücklich drüber, dass Beckett sich so jeder Public Relations verweigert. Aber er blieb da konsequent und hat auch seinen Verleger hingeschickt zur Verleihung. Mit dem Geld hat er dann sehr vielen Schriftstellerkollegen geholfen, denen es wirtschaftlich nicht so gut ging, und auch dem Trinity College eine Spende gemacht. Und das war für ihn eine Möglichkeit, dort auch Gutes zu tun.

Kassel: Sie haben in diesem Gespräch jetzt schon erwähnt, welches denn das Lieblingsstück des Beckett Biographen Knowlson ist. Jetzt frage ich aber natürlich auch Sie, darf ja gerne auch ein Roman sein - seine Romane werden immer so gerne vergessen - oder eines der Theaterstücke. Sie persönlich, welches hat Sie denn am meisten beeindruckt?

Gensch: Also von den Romanen hat mich am meisten beeindruckt "Murphy". Das ist sein erster Roman. 1936 hat er den geschrieben. Das ist auch der humorvollste Roman von ihm, über einen Menschen, der sich freiwillig an den Schaukelstuhl fesselt, um dort die Seeligkeit zu finden. Es endet auch tragisch. Aber der humorvolle Beckett kommt da auch sehr raus. Und der wird ja auch immer so ein bisschen vergessen.

Kassel: Herzlichen Dank! Goggo Gensch war das, der Autor der filmischen Biographie "Beckett - Lippen schweigen" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Der erste Akt, es heißt in diesem Fall nicht Teil, der erste Akt dieser Biographie ist heute Abend um 22.35 Uhr zu sehen und der zweite Akt dann morgen um 22.40 Uhr jeweils im SWR-Fernsehen.
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