Von Klängen getrieben und getragen
Auch mit 80 Jahren steht der Komponist Georg Katzer am liebsten um fünf Uhr früh auf, um seine Ideen aufzuschreiben. Schon immer haben ihn Klänge fasziniert und herausgefordert. In der DDR experimentierte er als einer der ersten mit Elektronik.
"Der Anfang ist immer das Schwierigste. Und es dauert manchmal wirklich Wochen, bis ich die ersten Takte geschrieben habe. Weil ich weiß, die ersten Takte sind sozusagen schicksalhaft für das Stück."
Georg Katzer sitzt im Dach-Atelier seines Hauses in Zeuthen. Das Haus weit weg von der quirlig-hippen Metropole Berlins glänzt im Herbstlicht. Die letzten Sonnenstrahlen fallen durch die großen Dachfenster.
Das Dachgeschoß ist seit 20 Jahren Katzers Refugium – ein Rückzugsort, ein Arbeitsort, ein Ort zum Leben auch. Wir sitzen gemütlich am Kaffeetisch, trinken Tee und essen Gebäck. Der Bildschirm seines Computers flackert und mahnt: Hier muss noch was getan werden. Hier ist immer was zu tun!
Er, Georg Katzer, sei ein DDR-Rebell, ein Unbequemer, ein Free-Jazzer und politischer Komponist gewesen; das höre er immer wieder und es ärgert ihn ein bisschen. Denn eigentlich wollte er immer nur komponieren, spannende Klänge finden, sich ausprobieren – am liebsten jeden Tag, gleich nach dem Aufstehen.
"Ich sehe schon in meinem Komponieren eine stringente Kontinuität, wenn ich auch heute anders komponiere als vor 50 Jahren. Hat auch nichts mit gesellschaftlichen Zuständen zu tun. Weil ich in der letzten Zeit immer wieder gefragt worden bin: Na, wie ist denn das 89, haben Sie danach anders komponiert? Und ich kann das nicht sagen…Das hat mich eigentlich nie interessiert: so tagespolitisches Komponieren…"
Pionier elektronischer Musik in der DDR
Stattdessen faszinieren ihn schon seit den 70er-Jahren die Möglichkeiten der Klangerzeugung. Zum Beispiel durch Elektronik. Damit war er in der DDR ein Pionier, eine Art Alien – ein durch Musik Getriebener. Man ließ ihn machen und sogar reisen: nach Frankreich, später in die USA, wo er eine Gastprofessur annahm.
1982 gründete Katzer das Studio für Elektroakustische Musik in Berlin. Es wurde zu einem Aushängeschild in den Augen der DDR-Funktionäre. Katzer – einer der ganz harten Elektroniker, Algorithmiker? Ein Mann, der die Mathematik über die Musik stellt, um sich gar nicht erst in die Gefahr von Romantisierung und Eklektizismus zu begeben?
Nein, das kann man so nicht sagen. Katzer ließ und lässt sich nicht festlegen. Das entspricht einfach nicht seiner Natur. Es ist die Musik in ihrer Ganzheit, die ihn bewegt und interessiert. Alles, was da klingt, bringt ihn auf Gedanken
"Viele Komponisten kämpfen ja gegen dieses Auratische der Instrumente. Das führt oft soweit, dass, wenn ein Cello spielt, das Cello als Instrument gar nicht mehr zu erkennen ist. Soweit gehe ich nicht. Also ich meine, ein Cello darf auch noch nach Cello klingen nach meinem Geschmack. Aber es gibt natürlich Spielweisen auf den Streichinstrumenten, die entwickelt worden sind, die das Klangspektrum enorm bereichert haben."
"Viele Komponisten kämpfen ja gegen dieses Auratische der Instrumente. Das führt oft soweit, dass, wenn ein Cello spielt, das Cello als Instrument gar nicht mehr zu erkennen ist. Soweit gehe ich nicht. Also ich meine, ein Cello darf auch noch nach Cello klingen nach meinem Geschmack. Aber es gibt natürlich Spielweisen auf den Streichinstrumenten, die entwickelt worden sind, die das Klangspektrum enorm bereichert haben."
Kein Fan der eigenen Kompositionen
Einer von Georg Katzers Kernsätzen lautet: "In der Musik müssen wir ganz ehrlich sein." Diesen Leitspruch hat er von seinem Lehrer Hanns Eisler übernommen. Dieses Ethos ist bisweilen gnadenlos und schwer zu ertragen. Insbesondere, wenn es sich gegen das eigene Tun richtet. Georg Katzer ist in dieser Hinsicht wahrscheinlich sein härtester Kritiker.
"Ich höre meine Musik eigentlich gar nicht so gerne. Ja, ich kann sagen, es ist eine Peinlichkeit und es ist auch eine Furcht zu erkennen, dass vielleicht ein Stück nicht gelungen ist. Und es gibt Stücke, die habe ich nie wieder gehört und dann war ich gezwungen sie zu hören. Und dann habe ich manchmal festgestellt: Das Stück ist ja eigentlich gar nicht schlecht. Irgendetwas hat mich aber daran gehindert, das Stück wieder anzuhören."
"Ich höre meine Musik eigentlich gar nicht so gerne. Ja, ich kann sagen, es ist eine Peinlichkeit und es ist auch eine Furcht zu erkennen, dass vielleicht ein Stück nicht gelungen ist. Und es gibt Stücke, die habe ich nie wieder gehört und dann war ich gezwungen sie zu hören. Und dann habe ich manchmal festgestellt: Das Stück ist ja eigentlich gar nicht schlecht. Irgendetwas hat mich aber daran gehindert, das Stück wieder anzuhören."
Der Klang und Struktur sind alles, die Melodie ist nichts. Georg Katzer, der Musiker, der komponiert, weil es ihn dazu drängt, das aufzuschreiben, was ihn fasziniert, was er entdeckt zu haben glaubt, dieser Georg Katzer ist ein bescheidener Mensch, der die Lorbeeren seiner Arbeit in der Schublade lässt, um sich lieber neuen Aufgaben zu widmen. Denn ganz ehrlich: Am Ende seines Schaffens ist er auch mit 80 Jahren nicht angekommen. Die Fantasie tanzt in seinem Kopf wie eh und je.
"Ich hab es am liebsten, wenn ich das diktiert bekomme. Wenn ein Ensemble kommt und sagt: Wir möchten ein Stück haben und unsere Instrumente sind: zack, zack, zack – ja? Weil das von vornherein meine Fantasie limitiert. Und wenn man da schon einen Vorschlag hat, drei kleine Trommeln und Mundharmonika, dann sage ich: Wunderbar, warum eigentlich nicht? Und das setzt die Fantasie natürlich unheimlich in Gang. Und solche Art zu arbeiten liebe ich."
Komponieren am Computer, Musizieren mit dem Instrument
Schon vor vielen Jahren habe er das Klavier gegen die Computer-Tastatur eingetauscht – sagt Georg Katzer -, um nicht die Finger komponieren zu lassen. Doch beim Musizieren ist das etwas anderes. Die Geige liegt griffbereit, der Klavierdeckel ist stets geöffnet, um den Kopf freizukriegen.
Und wenn es etwas gäbe, was er sich noch wünschen könne, sagt Georg Katzer zum Schluss unseres Gesprächs, so wäre das vor allem weiterhin Gesundheit, um morgens um fünf die Ideen zu Papier zu bringen, die ihm manchmal nachts den Schlaf rauben.
"Aber ich bin dann natürlich auch froh, wenn nach einem Konzert ein paar Leute kommen und sagen, das hätte ihnen irgendwas gegeben oder es hätte ihnen sogar gefallen. Das ist für mich schon sehr wichtig. Das ist dann eine Bestätigung dafür, dass dieses Treiben doch einen gewissen Sinn macht."