Komponist, Musikethnologe, Instrumentenbauer
Wer Inszenierungen des Pariser Théâtre du Soleil gesehen hat, dem dürfte Jean-Jacques Lemêtre nicht entgangen sein. Er hat dort quasi eine zweite Bühne mit zahlreichen selbstgebauten exotischen Musikinstrumenten - und ist Komponist, Theatermensch, Musikethnologe sowie Instrumentenbauer gleichzeitig. Seit fast 30 Jahren findet keine Probe ohne ihn statt.
Wenn Jean-Jacques Lemêtre auf Tournee geht, hat er zwischen 60 und 100 Instrumente im Gepäck. Er braucht sie, für seine Soloauftritte und für das Théâtre du Soleil, wo er seit bald 30 Jahren die Schauspieler musikalisch begleitet. Den Zollbeamten auf den Flughäfen ist dieser Mann suspekt.
Lemêtre: "Das gibt's doch nicht, heißt es dann, Leute die mit so vielen Instrumenten unterwegs sind, Sie können die doch nicht alle spielen. Dann schlage ich vor: Okay, ich mache ein Konzert für Sie. Die ganzen Aufseher setzen sich dann hin und hören zu. Diese improvisierten Konzerte auf dem Flughafen, das macht Spaß."
Groß, breit und kräftig, braune, blitzende Augen, langer Bart, den gewellten Pferdeschwanz kunstvoll mit einer Holzspange auf dem Kopf drapiert. Er sei immer in den Ferien, auch wenn er arbeite, sagt der Hüne entspannt. Man nimmt es ihm ab. Jean-Jacques Lemêtre vermittelt das Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben.
Geboren 1952 in St. Malo, in der Bretagne. Die Mutter, eine Zigeunerin die den Matrosen die Zukunft aus der Hand liest, der Vater ein Seemann, selten da, weil er meistens Kabeljau vor der neufundländischen Küste fischt.
Die Mutter verlässt bald die bretonische Hafenstadt und zieht mit dem kleinen Jean-Jacques auf alten Zigeunerwegen kreuz und quer durch Europa, ja auch bis in die Türkei und nach Ägypten. Erst mit zwölf Jahren kehrt der Junge in seine Geburtsstadt St. Malo zurück.
"Als ich mit meiner Mutter nach Frankreich kam, wurde ihr gesagt, sie solle unbedingt ihre unbändigen Kinder - ich hatte noch einen Halbbruder - einschulen, das sei hier Gesetz. Meine Mutter sprach zwar ein bisschen französisch, konnte aber kaum lesen. Sie schrieb uns in irgendeiner Schule in der Nähe ein. Wir hatten eine Stunde Unterricht pro Woche. Die Nachbarn wollten wissen, wie sich die kleinen Wilden in der Schule machten. Sehr gut, sagte meine Mutter, sie gehen einmal in der Woche für eine Stunde hin. - Was? Solche Schulen gibt’s hier nicht! - Doch, doch, sagte meine Mutter. - Nein, Sie haben sich geirrt, das ist eine Musikschule, hieß es. Am nächsten Tag kamen wir dann in eine normale Schule, auf der Musikschule blieben wir trotzdem, und später ging ich aufs Konservatorium."
Das machte ihm nur wenig Spaß - zu traditionell, zu konventionell fand er den Unterricht. Dennoch: 17 Abschlusspreise und Diplome hat er bekommen.
Er verlässt die akademische Welt, tingelt herum, lebt in England, in Holland und Dänemark, macht mit Frank Zappa Musik, spielt bei der englischen Band Soft Maschine, sogar der Dirigent und Komponist Pierre Boulez engagiert das Multitalent Lemêtre.
1978 möchte Ariane Mnouchkine Klaus Manns Roman "Mephisto" für die Bühne adaptieren und sucht einen Musiker, der den Schauspielern ein Instrument beibringen kann. Sie fragt Jean-Jacques Lemêtre. Der zögert nicht lange. Er habe, so erzählt er grinsend, zuvor mit psychisch Kranken und Gefängnisinsassen Musik gemacht und könne es auch einmal mit Schauspielern versuchen! Vom Theater hat er ebenso wenig Ahnung wie die meisten Schauspieler von Musik.
"Wie überall traf ich auch dort auf Leute, die mir sagten: Ich kann kein Instrument spielen, bin unmusikalisch, mit 50 lerne ich das nicht mehr. Ich kann es nicht vertragen, wenn Leute so reden. Es ist total falsch. Jeder hat einen Rhythmus - der Beweis: Jeder läuft, das allein ist doch schon ein Rhythmus, oder? Jeder atmet, bewegt sich. Man muss nur verstehen, welchen Rhythmus man hat."
Das Treffen mit Ariane Mnouchkine ist ein Wendepunkt im Leben von Jean-Jacques Lemêtre. Er bleibt beim Théatre du Soleil, für Mephisto, den Shakespearezyklus, die Atriden und alle anderen Inszenierungen der berühmten Truppe. Seitdem ist seine Bühne voller Instrumente neben der der Schauspieler aufgebaut, begleiten seine rasenden Trommelwirbel, leisen Flötentöne oder knarzenden Blechinstrumente die Bewegungen der Schauspieler. Er sei ihre "emotionale Musik", der "innere Klang".
Ob gigantische Fasstrommeln, übermannshohe Blas- und Streichinstrumente, ob Bambusrohre oder auch nur klackernde Kieselsteine und Glasmurmeln - Jean-Jacques Lemêtre beherrscht alle Instrumente - ohne im Einzelfall virtuos zu sein. Wenn ihm eins fehlt, baut er es.
"Ich brauche ein Instrument, bei dem sich der Ton drehen soll digldigldigl - ein akustisches Instrument, kein Klavier oder so was. Da habe ich das Rad eines Fahrrades genommen, die Speichen durch Gitarrensaiten ersetzt, es gestimmt und dann gedreht. Wenn alle Saiten gestimmt sind, macht es genau dieses digldigldigl."
Jean-Jacques Lemêtre: Nomade, Reisender, Weltbürger, einer, der davon überzeugt ist, dass Theater eine Botschaft vermittelt - die von Menschlichkeit. Vierzehn Stunden arbeitet er täglich beim Théâtre du Soleil. Ein Mann wie er ist damit nicht ausgelastet. Er gibt Solokonzerte, unterrichtet und betreibt musikethnologische Studien. Und wenn dann noch Zeit übrig ist?
"Ich bin ein leidenschaftlicher Koch. Am liebsten koche ich für viele Leute. Morgen zum Beispiel mache ich ein Essen für 20 Personen. Keine Ahnung, was es geben wird, vielleicht was asiatisches. Beim Kochen improvisiere ich genauso wie in der Musik."
Lemêtre: "Das gibt's doch nicht, heißt es dann, Leute die mit so vielen Instrumenten unterwegs sind, Sie können die doch nicht alle spielen. Dann schlage ich vor: Okay, ich mache ein Konzert für Sie. Die ganzen Aufseher setzen sich dann hin und hören zu. Diese improvisierten Konzerte auf dem Flughafen, das macht Spaß."
Groß, breit und kräftig, braune, blitzende Augen, langer Bart, den gewellten Pferdeschwanz kunstvoll mit einer Holzspange auf dem Kopf drapiert. Er sei immer in den Ferien, auch wenn er arbeite, sagt der Hüne entspannt. Man nimmt es ihm ab. Jean-Jacques Lemêtre vermittelt das Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben.
Geboren 1952 in St. Malo, in der Bretagne. Die Mutter, eine Zigeunerin die den Matrosen die Zukunft aus der Hand liest, der Vater ein Seemann, selten da, weil er meistens Kabeljau vor der neufundländischen Küste fischt.
Die Mutter verlässt bald die bretonische Hafenstadt und zieht mit dem kleinen Jean-Jacques auf alten Zigeunerwegen kreuz und quer durch Europa, ja auch bis in die Türkei und nach Ägypten. Erst mit zwölf Jahren kehrt der Junge in seine Geburtsstadt St. Malo zurück.
"Als ich mit meiner Mutter nach Frankreich kam, wurde ihr gesagt, sie solle unbedingt ihre unbändigen Kinder - ich hatte noch einen Halbbruder - einschulen, das sei hier Gesetz. Meine Mutter sprach zwar ein bisschen französisch, konnte aber kaum lesen. Sie schrieb uns in irgendeiner Schule in der Nähe ein. Wir hatten eine Stunde Unterricht pro Woche. Die Nachbarn wollten wissen, wie sich die kleinen Wilden in der Schule machten. Sehr gut, sagte meine Mutter, sie gehen einmal in der Woche für eine Stunde hin. - Was? Solche Schulen gibt’s hier nicht! - Doch, doch, sagte meine Mutter. - Nein, Sie haben sich geirrt, das ist eine Musikschule, hieß es. Am nächsten Tag kamen wir dann in eine normale Schule, auf der Musikschule blieben wir trotzdem, und später ging ich aufs Konservatorium."
Das machte ihm nur wenig Spaß - zu traditionell, zu konventionell fand er den Unterricht. Dennoch: 17 Abschlusspreise und Diplome hat er bekommen.
Er verlässt die akademische Welt, tingelt herum, lebt in England, in Holland und Dänemark, macht mit Frank Zappa Musik, spielt bei der englischen Band Soft Maschine, sogar der Dirigent und Komponist Pierre Boulez engagiert das Multitalent Lemêtre.
1978 möchte Ariane Mnouchkine Klaus Manns Roman "Mephisto" für die Bühne adaptieren und sucht einen Musiker, der den Schauspielern ein Instrument beibringen kann. Sie fragt Jean-Jacques Lemêtre. Der zögert nicht lange. Er habe, so erzählt er grinsend, zuvor mit psychisch Kranken und Gefängnisinsassen Musik gemacht und könne es auch einmal mit Schauspielern versuchen! Vom Theater hat er ebenso wenig Ahnung wie die meisten Schauspieler von Musik.
"Wie überall traf ich auch dort auf Leute, die mir sagten: Ich kann kein Instrument spielen, bin unmusikalisch, mit 50 lerne ich das nicht mehr. Ich kann es nicht vertragen, wenn Leute so reden. Es ist total falsch. Jeder hat einen Rhythmus - der Beweis: Jeder läuft, das allein ist doch schon ein Rhythmus, oder? Jeder atmet, bewegt sich. Man muss nur verstehen, welchen Rhythmus man hat."
Das Treffen mit Ariane Mnouchkine ist ein Wendepunkt im Leben von Jean-Jacques Lemêtre. Er bleibt beim Théatre du Soleil, für Mephisto, den Shakespearezyklus, die Atriden und alle anderen Inszenierungen der berühmten Truppe. Seitdem ist seine Bühne voller Instrumente neben der der Schauspieler aufgebaut, begleiten seine rasenden Trommelwirbel, leisen Flötentöne oder knarzenden Blechinstrumente die Bewegungen der Schauspieler. Er sei ihre "emotionale Musik", der "innere Klang".
Ob gigantische Fasstrommeln, übermannshohe Blas- und Streichinstrumente, ob Bambusrohre oder auch nur klackernde Kieselsteine und Glasmurmeln - Jean-Jacques Lemêtre beherrscht alle Instrumente - ohne im Einzelfall virtuos zu sein. Wenn ihm eins fehlt, baut er es.
"Ich brauche ein Instrument, bei dem sich der Ton drehen soll digldigldigl - ein akustisches Instrument, kein Klavier oder so was. Da habe ich das Rad eines Fahrrades genommen, die Speichen durch Gitarrensaiten ersetzt, es gestimmt und dann gedreht. Wenn alle Saiten gestimmt sind, macht es genau dieses digldigldigl."
Jean-Jacques Lemêtre: Nomade, Reisender, Weltbürger, einer, der davon überzeugt ist, dass Theater eine Botschaft vermittelt - die von Menschlichkeit. Vierzehn Stunden arbeitet er täglich beim Théâtre du Soleil. Ein Mann wie er ist damit nicht ausgelastet. Er gibt Solokonzerte, unterrichtet und betreibt musikethnologische Studien. Und wenn dann noch Zeit übrig ist?
"Ich bin ein leidenschaftlicher Koch. Am liebsten koche ich für viele Leute. Morgen zum Beispiel mache ich ein Essen für 20 Personen. Keine Ahnung, was es geben wird, vielleicht was asiatisches. Beim Kochen improvisiere ich genauso wie in der Musik."