"Meine Musik ist ein Angriff auf das Trommelfell"
37:49 Minuten
Wolfgang Rihms Kompositionen irritierten Anfang der 1970er-Jahre viele durch ihre Energie und Sinnlichkeit. Heute fehlen die Werke des Stockhausen-Schülers auf keinem Spielplan. In unserem Gespräch erzählt Rihm unter anderem, wie er zum Komponieren kam.
Wolfgang Rihm ist einer der angesehensten Komponisten unserer Zeit. Bereits mit elf Jahren begann er, eigene Stücke zu schreiben. Parallel zu seiner Schulzeit studierte er Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe und legte gleichzeitig mit den Abiturprüfungen 1972 sein Examen ab.
Mit seinem späteren Lehrer Karlheinz Stockhausen verband ihn eine besondere Beziehung. Er habe ihm einmal folgendes auf ein Blatt geschrieben:
"'Lieber Wolfgang Rihm, bitte folgen Sie ganz Ihrer eigenen Stimme. Ihr Karl-Heinz Stockhausen.' – Und das habe ich mir mit Reißnagel an die Wand gehängt und das hing jahrzehntelang über meinem Schreibtisch. Und das habe ich lange Zeit da hängen gehabt, bis es zu vergilben drohte, denn es war, wie immer bei Stockhausen, mit grünen Filzstift damals noch geschrieben."
Nach dieser Musik helfe nur Schnaps, so ein Kritiker
Mittlerweile hat Wolfgang Rihm etwa 400 Werke geschaffen – Stücke, an deren Energie, Spannung und Sinnlichkeit sich Publikum und Kritik erst einmal gewöhnen mussten. Nach dieser Musik helfe "nur noch ein Schnaps", soll ein Kritiker Anfang der 1970er-Jahre ausgerufen haben. Zum Komponieren brauche er vor allem Zeit, sagt Wolfgang Rihm.
"Und zwar eine Zeit, die mir gehört. Eine Zeit, die nicht fremdbestimmt ist. Eine Zeit, die nicht auf einen Termin hinaus läuft."
Und wenn es mal nicht voran gehe, dann müsse er das aushalten.
"Das heißt, man braucht eine Konstitution, psychisch und physisch, die das erträgt. Man darf nicht verrückt werden, man darf nicht denken, jetzt muss irgendwas passieren, jetzt muss irgendwas genommen werden oder irgendwas nicht genommen werden, irgendwie von außen was kommen, sondern ich muss wirklich Geduld haben, Geduld und warten."
Mehr Zuschauer als zu Beethovens Lebzeiten
Heute dürfen seine Stücke auf keinem Spielplan fehlen. Am morgigen Samstag eröffnet sein opulentes Bühnenwerk "Tutuguri" das Musikfest Berlin. Das Stück, das er vor 30 Jahren geschrieben hat, wieder im Konzertsaal zu erleben, sei für ihn so, als würde er "einem Kind begegnen, das jetzt erwachsen ist und sein eigenes Leben hat." Das sei ihm fern und nah zugleich und "jede Sekunde ist mein Fleisch."
Was das Interesse des heutigen Konzertpublikums an neuer Musik angeht, zeigt sich Wolfgang Rihm optimistisch.
"Denn wenn wir uns vor Augen führen, vor Augen meint in dem Fall zahlenmäßig, statistisch, beschäftigen sich so viele Menschen wie noch nie, noch nie in einer erdgeschichtlichen Zeit, mit zeitgenössischer Kunst, wie heute. Und mit zeitgenössischer Musik eben besonders.
Ich bringe mal das Beispiel, wenn ein Konzert mit Werken meiner Studenten im Rundfunk übertragen wird und es hat eine Einschaltquote von 'nullkommanullsoundsoviel', dann hören das immer noch mehr Menschen als Beethovens Violinkonzert zu seinen Lebzeiten."