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Diskografisches Porträt einer streitbaren Brückenbauerin
Die Komponistin Ethel Smyth zeichnete sich an vielen Fronten mit Leidenschaft aus. Der Umgang mit kaiserlichen Majestäten war für sie ebenso selbstverständlich wie der Kontakt zu Johannes Brahms oder der Gang ins Gefängnis im Kampf um Frauenrechte.
Energische Musik zum Ausbruch bereit. Musik eines besonderen Komponisten: Ethel Smyth, die sich um 1900 gegen alle Widerstände durchsetzte. Ihr faszinierendes musikalisches wie literarisches Gesamtwerk hält viele Entdeckungen bereit.
Einiges an Kammermusik und kleineren Orchesterwerken hat Smyth (1858-1944) hinterlassen, vor allem aber Chorwerke, eine Handvoll Opern sowie etliche hochgelobte autobiografische Schriften. Das, wofür sie am berühmtesten wurde, den "March of the Women", komponiert als Hymne der Suffragetten, der englischen Frauenbewegung.
Dieser Initiative schloss sich die aus besten viktorianischen Kreisen stammende Smyth in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg an. Sie schreckte dabei keineswegs vor jenen drastischen Aktionen zurück, mit denen Frauen im damaligen British Empire für ihre Anliegen, besonders für das Wahlrecht, kämpften.
Nachdem sie 1912 in der Londoner City die Fensterscheiben eines unliebsamen Politikers eingeworfen hatte, kam sie ins Gefängnis. Thomas Beecham, einer der größten englischen Dirigenten seiner Zeit, besuchte die Unerschrockene hinter Gittern und setzte sich auch sonst für sie ein.
Immerhin hatte Smyth zu diesem Zeitpunkt schon ihre erste Ehrendoktorwürde erhalten und Zuspruch von prominentester Seite erfahren, etwa von Komponisten wie Debussy, Fauré, Mahler und Tschaikowsky. Später sollte sie sogar vom König geadelt werden und "Dame Ethel" heißen.
Das alles ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass hauptberufliche Komponistinnen damals nicht nur nicht wohlgelitten waren, sondern auch größte Schwierigkeiten hatten, überhaupt an einem Konservatorium immatrikuliert zu werden. "Die Komponistinnen stehen da, wo die Schauspielerinnen zu Zeiten Shakespeares standen", schrieb die von Smyth bewunderte Virginia Woolf 1929, nämlich nicht auf der Bühne.
Brahms und die Frauen
Smyth, begabt mit eisernem Willen, nie versiegender Energie und der Fähigkeit zum Brückenbauen, kam in den späten 1870er-Jahren ans Leipziger Konservatorium, in dessen Umfeld sie neben vielen Enttäuschungen auch manch inspirierende Begegnung hatte. Johannes Brahms lernte Smyth als überragenden Komponisten seiner Zeit kennen. Aber sie erfuhr auch, dass er gegenüber Frauen keineswegs "Brahms, der Fortschrittliche" war.
Gleichwohl ist ihr Werk von der Auseinandersetzung mit deutscher Romantik und Klassizismus tief geprägt. Doch auch impressionistische Farben finden sich in ihrem Schaffen, das nach und nach für das heutige Musikleben und damit auch für den Plattenmarkt erschlossen wird.
Frauen in Liszts Metier
Während sich zu ihren Lebzeiten Dirigenten wie Thomas Beecham, Arthur Nikisch und vor allem Bruno Walter für sie einsetzten, findet man heute allerdings kaum Dirigenten von Rang, die sich für Smyths Musik engagieren. Unverändert gilt der Ausspruch von George Bernard Shaw, nachdem er ein großes Werk Smyths gehört hatte: "Da Frauen in der Profession Victor Hugos auffallend erfolgreich sind, kann ich nicht erkennen, warum sie nicht gleichermaßen in der von Liszt Erfolg haben sollten."
Smyth formulierte ihr kämpferisches Credo so: "Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in See zu stechen. Ich habe weder Angst noch bin ich hilfsbedürftig; auf meine Art bin ich eine Entdeckerin, die fest an die Vorteile dieser Pionierarbeit glaubt."
Volker Hagedorn präsentiert das diskografische Porträt einer Einzigartigen. Gesprächsgast ist eine ausgewiesene Kennerin: Marleen Hoffmann hat über Smyth promoviert und ein Werkverzeichnis der Komponistin erstellt.