Hier geht es zur Playlist der Sendung.
"Das schaffe ich mit links!"
Als der Pianist Paul Wittgenstein im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verlor, wäre seine Karriere eigentlich beendet gewesen. Doch gab er neue Werke bei den bekanntesten Komponisten seiner Zeit in Auftrag. So entstanden etliche Klavierkonzerte für die linke Hand.
Paul Wittgenstein (1887-1961) stammte aus einer wohlhabenden Wiener Dynastie; sein Bruder war der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Er konnte es sich leisten, neue Werke bei den bekanntesten Komponisten seiner Zeit in Auftrag zu geben. Unter den Stücken, die eigens für Wittgenstein komponiert wurden, konnte sich jedoch nur das D-Dur-Klavierkonzert von Maurice Ravel einen dauerhaften Platz im Repertoire erobern – andere Werke dieser Reihe werden erst nach und nach als pianistische Herausforderungen entdeckt.
Dass Komponisten auf die technischen Fähigkeiten von Auftraggebern oder ersten Interpreten Rücksicht nehmen müssen, ist nicht außergewöhnlich – schon Mozarts Klavierkonzerte weisen unterschiedliche pianistische Schwierigkeitsgrade auf. Doch wie soll man beim Komponieren fürs Klavier gleich eine ganze Pianistenhand ignorieren und trotzdem noch "pianistisch" schreiben? Neben Maurice Ravel haben u.a. Benjamin Britten, Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Sergej Prokofjew, Franz Schmidt und Richard Strauss Klavierkonzerte für die linke Hand geschrieben.
Avantgardist wider Willen
Dass sich diese Aufzählung wie ein Who’s Who der Komponisten zwischen den Weltkriegen liest, ist dem großen Ehrgeiz Wittgensteins zuzuschreiben, zu dessen weiteren Eigenheiten es allerdings gehörte, diese Werke eigenmächtig zu verändern oder gar nicht erst aufzuführen. Der Grund: Wittgenstein war musikalisch eher konservativ gesinnt und wurde erst durch seine tragische Verwundung zu einem musikalischen Pionier. Vermutlich hätte dieser Avantgardist wider Willen lieber die großen Klavierwerke von Beethoven bis Brahms gespielt, als sich mit Ravel und Prokofjew herumzuschlagen…
Ein Repertoire ist zu entdecken – sowie ein spannender und bisweilen skurriler Aspekt der Kunst des Klavierspiels. Schließlich ist die Linke das Sorgenkind vieler rechtshändiger Pianisten: In den ersten Jahren des Klavierunterrichts sind die Anforderungen an die linke Hand nicht besonders groß – doch dann kommt es knüppeldick: Das Virtuosenrepertoire fordert eine ebenso geläufige wie kräftige linke Hand, bei der auch Treffsicherheit erwünscht ist.
Wo bleibt die rechte Hand?
Was reizt einen Pianisten heute daran, Stücke nur mit der linken Hand zu spielen? Und was macht er währenddessen eigentlich mit der rechten Hand? Sind Linkshänder im Vorteil? Können Rechtshänder mogeln, indem sie das linkshändige Repertoire rechtshändig spielen? Als Studiogast plauderte Herbert Schuch in dieser Sendung, die wir aus dem Jahr 2009 wiederholen, aus dem pianistischen Nähkästchen. Der rumäniendeutsche Virtuose wurde unter anderem von Alfred Brendel gefördert, setzte sich intensiv mit dem linkshändigen Klavierrepertoire auseinander und zählt heute zu den führenden Pianisten seiner Generation.