Neues Kunstareal belebt Pariser Banlieue
06:01 Minuten
Bisher beschränkte sich die Pariser Kunstszene auf die Innenstadt. Nun ändert sich das mit einem Projekt höchst unterschiedlicher Kunstschaffender in Romainville. "Komunuma" nennt sich das neue Kollektiv – nach dem Esperanto-Wort für Gemeinschaft.
43 rue de la Commune. Für den Taxifahrer ist die Adresse nicht leicht zu finden. Noch ist das weitläufige Areal im Industriegebiet von Romainville in der Banlieue von Paris eine Baustelle. Hier entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen Pharmafabrik – einer imposanten Industriekathedrale aus rotem Backstein - ein neues Kunstquartier.
Der FRAC Ile de France, der staatliche Regionalfonds für Gegenwartskunst, wird hier im Herbst 2020 ein neues Ausstellungshaus eröffnen, die private Stiftung Fondation FIMINCO plant Atelier- und Ausstellungsräume für Künstlerinnen und Künstler, und der Kunstmarkt ist mit mehreren Galerien dabei. "Komunuma" nennt sich das neue Kollektiv – nach dem Esperanto-Wort für Gemeinschaft.
Mehr Raum für Kunst
Florence Bonnefous, Gründungsmitglied von Komunuma, ist mit ihrer Galerie Air de Paris schon umgezogen in ein frisch renoviertes Gebäude gegenüber der alten Fabrikhalle. Beginnend mit einem Video der US-Amerikanerin Elaine Sturtevant präsentiert die Eröffnungsausstellung von Air de Paris auf insgesamt vier Etagen Werke aller 40 Künstlerinnen und Künstler der Galerie.
"More" hat Bonnefous ihre große Gegenwartskunst-Schau genannt. "Mehr" könnte auch eine Überschrift sein für das ganze Komunuma-Projekt: Es gibt mehr Raum für die Kunst als im Pariser Zentrum, draußen in Romainville.
Und es gehe nicht nur um den "realen Raum", um mehr Quadratmeter, sagt Florence. Für sie öffne sich hier in der Banlieue auch ein "mentaler Raum". Wenn sie aus der Metro komme, fühle sie sich ganz woanders: "Die Häuser sind niedriger als in Paris, man sieht mehr vom Himmel. Die Atmosphäre ist anders. 'Grand Paris' ist noch im Entstehen, eine neue Geschichte beginnt. Es ist toll, da dabei zu sein."
Grand Paris - Erschließung der Vororte
"Grand Paris" – seit vielen Jahren schon ist der Begriff eine Art Zauberformel von Politikern und Stadtplanern mit dem Ziel, das relativ kleine Pariser Zentrum innerhalb der Ringautobahn Périphérique besser mit den Vororten zu verbinden. Anders als in vergleichbaren Weltstädten wie London oder New York spielte sich in Paris besonders das künstlerische Leben lange Zeit fast ausschließlich im historischen Zentrum ab. Das ändert sich nun allmählich.
2012 bezog die Galerie Thaddaeus Ropac neue, riesige Räume im Vorort Pantin, nicht weit entfernt von Romainville, wo jetzt das Komunuma-Quartier entsteht. Auch die Galerie Jocelyn Wolff hat den Schritt in die Banlieue gewagt. "Ganz so weit entfernt ist das eigentlich gar nicht", sagt die Galeriedirektorin Nasim Weiler.
"Also wenn man im Marais wohnt, so wie ich, braucht man mit der Linie 5 ganze 25 Minuten hier raus. Wenn man in Berlin zu Hause ist oder in London oder in New York, dann sind 20 oder 30 Minuten Metro-Fahrtzeit eigentlich gar kein Thema. Aber hier in Paris ist das schon noch etwas Ungewöhnliches."
Vergleichbar mit deutschen Kunstvereinen
Insofern ist der aktuelle Streik der Pariser Metro natürlich zunächst noch ein kleines Handicap für das neue Kunstquartier. Aber langfristig sieht Weiler nur Vorteile:
"Dass es eine Zusammenführung gibt von privaten Kunstgalerien, von Atelierräumen und auch diesem FRAC, das ist im Grunde vergleichbar wie bei uns in Deutschland die Kunstvereine, dass das alles so zusammentrifft in einem Areal, das letztendlich sehr leicht zugänglich ist. Das ist etwas sehr Schönes hier. Es ist wirklich eine Community. Wir genießen die Nachbarschaft mit den anderen Galerien. Wir treffen uns regelmäßig, und es hat natürlich auch einen Synergieeffekt."
Vom Brexit profitieren
Am 12. Januar laden die vier Komunuma-Galerien wieder gemeinsam zu den Vernissagen ihrer neuen Ausstellungen ein. Und die Pionierinnen und Pioniere hoffen, dass sie nicht lange allein bleiben werden da draußen in Romainville. Air de Paris-Chefin Bonnefous setzt besonders auf potenzielle Mitstreiter aus dem Ausland, erzählt sie im Taxi auf dem Rückweg nach Paris:
"Wir können in Paris bestimmt etwas opportunistisch vom Brexit profitieren", meint sie. "Der New Yorker Galerist David Zwirner hat gerade eine Filiale in Paris aufgemacht, die Galerie Whitecube aus London eröffnet ein Büro mit Showroom. Wir werden alles tun, um Kollegen, die uns nahestehen, davon zu überzeugen, sich uns anzuschließen."
Komunuma - 43 rue de la Commune in Romainville. Bald werden bestimmt auch die Pariser Taxifahrer die neue Adresse der internationalen Kunstszene nicht mehr lange suchen müssen.