Netflix-Chef: "Wir leben in einer Abruf-Welt"
Bei der Innovationskonferenz "Digital-Life-Design" in München diskutierten prominente Vordenker über die Zukunft der Digitalisierung. Netflix-Chef Reed Hastings machte sich dabei nicht nur Freunde.
Schon am ersten Kongresstag stand für Gastgeber Hubert Burda fest: Das nächste große Dinge ist die "Infosphäre". Diesen Begriff hatte Luciano Floridi präsentiert, Professor für Philosophie und Informationsethik an der Universität Oxford:
"Alles, was existiert – Sie, ich, die Welt, dieses Mikrofon – all das ist Teil der Infosphäre. Es ist einfach ein anderes Wort für Realität. Wenn ich die Realität unter dem Blickpunkt der Information betrachte, dann ist das die Infosphäre. Auf diese Weise verstehen wir uns und die Welt anders. Wir haben ein anderes Konzept der Realität um uns herum. Damit erscheint es uns leichter, Dinge zu erreichen, wir handeln weniger intuitiv. Und uns selbst betrachten wir zum Beispiel als etwas, das aus einer Informations-DNA besteht."
Laut Floridi hat dies enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft. In der Infosphäre unterliege Informationsvermittlung völlig neuen Prinzipien. Menschen würden einfach nur noch das abrufen, was sie für wichtig hielten und sich mit anderen über ihre Interessen organisieren; klassische Institutionen hingegen, wie etwa Parteien, würden sich auflösen. Doch wie lässt sich in diesem Umfeld vermitteln, welche Fragen für eine Gesellschaft insgesamt von Bedeutung sind? Dies blieb nicht nur offen. Für Reed Hastings, Chef des Streamingdienstes Netflix, ist sie nicht einmal von Relevanz. Dass etwa das klassische Fernsehen in der Digitalisierung ein Auslaufmodell ist, besorgt Hastings nicht.
"Zu jeder neuen Technologie gehört, dass man Dinge verliert und Dinge gewinnt. Als wir noch mit Pferden gereist sind, kannten wir uns bestens damit aus, wie man sich um Tiere kümmert. Heute sind Pferde nur noch Haustiere für Reiche. Es gibt immer einen Verlust und einen Gewinn. Bei der Vorstellung, dass die Nachrichten um sechs oder um acht kommen sollten, werden zukünftige Generationen sagen: Worüber redet ihr eigentlich? Wir werden ihnen wie Aliens erscheinen. Wir leben in einer Abruf-Welt. Wir hängen an unseren Mobiltelefonen rund um die Uhr. Die alte Medienwelt wird verschwinden, so wie das Festnetztelefon allmählich verschwindet."
"Er entwickelt sein Businessmodell - der Rest muss sich sortieren"
Anfang Januar erst hatte Netflix verkündet, dass das Angebot nun weltweit empfangbar ist, mit Ausnahme von China. Streamingdienste wie Netflix hätten aber nicht das Potential, so integrativ zu wirken wie das Noch-Massenmedium Fernsehen, kritisierte der ZDF-Journalist Claus Kleber. Im Interview auf großer Bühne versuchte er Hastings wenigstens ein Bedauern darüber abzuringen. Vergeblich.
"Ich wollte von ihm gerne hören, wie viel Verantwortung er dafür spürt, dass er mit seinem Angebot an Netflix, das überwältigend erfolgreich ist rund um den Globus, doch auch etablierte Kulturen zum Beispiel von Nachrichtenvermittlung gefährdet. Und ich wollte wissen, ob er uns die Zeit lässt, uns dem anzupassen. Das tut er eindeutig nicht. Er entwickelt sein Businessmodell und sagt, der Rest muss sich sortieren, so wie wir die Landschaft jetzt gestalten. Und das ist der Schwung, der aus Silicon Valley kommt in vielen Feldern."
Dieser Geist zog sich durch die DLD. Statt einer Reflexion über die Folgen der Digitalisierung, von der laut Weltbank noch 60 Prozent der Menschheit gänzlich ausgeschlossen sind, ging es vor allem um die nächste Killerapplikation im Kampf um den User. Marne Levine, Chefin des operativen Geschäfts der Foto-App instagram, prophezeite den Siegeszug von Bilddiensten.
Bilder würden zu unserer neuen Sprache werden, weil sie kulturübergreifend seien. Tatsächlich hätten Bilder, so Matthias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien FAZ, gute Chancen im Kampf um die Aufmerksamkeit:
"Das Interessante ist, das viele neue interessante Angebote, den alten Angeboten, den traditionellen Angeboten überlegen sind. Nehmen Sie das Bewegtbild. Ich habe keine Geduld mehr im Programm darauf zu warten, dass irgendetwas passiert oder in Fernsehnachrichten darauf zu warten, dass der mich wirklich interessierende Punkt angesprochen wird, sondern ich will mein eigener Programmdirektor sein."
Das fahrende Smartphone?
Neu ist diese Erkenntnis freilich auch nicht. Allerdings hat der Digitalchef der FAZ auch einen richtig neuen Trend entdeckt, vielleicht tatsächlich "the next next", ganz nach dem Konferenzmotto. Matthias Müller von Blumencron:
"Was ich aus der Konferenz mitnehme und auch aus den verschiedenen Debatten, ist, dass wir in ein sehr interessantes Zeitalter eintreten, was Mobilität angeht. Die letzten zehn Jahre war das Smartphone das Gerät, was unser Leben am meisten verändert hat und in den nächsten zehn Jahren wird sich möglicherweise das Auto am meisten verändern bzw. unsere Art und Weise, wie wir das Auto nutzen. Also eine Bewegung weg von dem PS-starken Eigentumsstatusobjekt hin zu einem Nutzungsgerät, was ich möglichst schnell und unkompliziert nutzen kann."
Möglicherweise wird also auf einer der nächsten Digitalkonferenzen das fahrende Smartphone präsentiert – von einem Unternehmen, das klassische Medien, Autoindustrie und Internetplayer in einem vereint.