Ist Putin ein Romantiker?
Ist Putin der Romantiker, der imperiale Sehnsüchte hegt? Oder sind es die Demonstranten, die sich für eine Demokratisierung einsetzen? Die Ereignisse in der Ukraine hätten die Tagung "Politische Romantik" in Frankfurt/M. eingeholt, gesteht der Organisator Stephan Schlak.
Joachim Scholl: Peter Sloterdijk hat gestern Abend als erster gesprochen, heute und morgen werden, um nur einige prominente Namen zu nennen, Klaus Theweleit, Rüdiger Safranski, Karl Heinz Bohrer, Cora Stephan und Herfried Münkler dabei sein im Goethe-Haus in Frankfurt am Main, eingeladen zur Tagung "Politische Romantik" von Stephan Schlak. Der Historiker hat die Konferenz für die Kulturstiftung des Bundes konzipiert und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schlak.
Stephan Schlak: Guten Morgen, Herr Scholl.
Scholl: "Politische Romantik", Herr Schlak, das scheint, auf den ersten Blick eine merkwürdige Allianz von Begriffen zu sein, von zwei Sphären, die nicht zueinander zu passen scheinen. Wie gehen Sie denn Ihrer Ansicht nach zusammen, Politik und Romantik?
Ein schwefeliger, belasteter Begriff
Schlak: Es ist ein sehr schwefeliger und, man muss auch sagen, belasteter Begriff, ein richtiger Begriffs-Cocktail, der seine stolze Blüte in der Zwischenkriegszeit, in der Zeit nach 1914 hatte. Carl Schmitt, der berühmt-berüchtigte Jurist, hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, über die politische Romantik. Max Weber, der große Soziologe, attackierte damit die Gesinnungsliteraten. Und in der ideenhistorischen Karriere ist es eigentlich ein Abgrenzungsbegriff, mit dem die naiven Schwärmer, die Phantasten diskriminiert werden. Wir schauen ihn uns jetzt – und ich hoffe, mit gehörigem Abstand ist es erlaubt, diesen Begriff wieder aus der Asservatenkammer zu holen – neu an und versuchen, mit diesem Begriff das Spannungsverhältnis von Politik und Leidenschaft zu bestimmen.
Scholl: Was heißt denn in diesem Zusammenhang Politik, was heißt Romantik?
Schlak: Romantik ist schon der unbedingte Wille immer zu einem Anfang, zum Denken von Alternativen, zur Imagination, zur Fantasie und zur Leidenschaft, und Politik ist eine Sphäre, die natürlich ganz anders funktioniert, die, sagen wir, von Kompromissen, von kleinen Schritten beherrscht wird, und wir versuchen zu sagen, dass beide Sphären zusammengehören müssen, damit die Politik ihre Vitalität und ihre Anziehungskraft auch nicht verliert.
Scholl: Stichwort 1914, Herr Schlak. Thomas Mann hat in seinem „Zauberberg", der ja genau mit dem Kriegsausbruch 1914 schließt, zwei Protagonisten entworfen, die für diese zwei Begriffsfelder stehen können, Politik und Romantik: Hier der Aufklärer Settembrini, der immer das Licht einschaltet, wenn er den Raum betritt, vom Tageslicht der Vernunft, der Aufklärung, spricht, und ihm gegenüber steht der Jesuit Naphta, der da so das nationalistische Gefühl verkörpert, damit verbunden die Leidenschaft, die Dunkelheit und gar den terroristischen Aufstand, eben auch die romantische Rebellion. Wen mögen Sie denn lieber?
Schlak: Das ist schwer zu sagen. Erst mal muss man sagen, dass wir auf unserer Tagung hoffentlich beide dabei haben, die Settembrinis und die Naphtas, also die Aufklärer, die das helle Licht einschalten wollen und auch davor warnen, wie das fast auch altbundesrepublikanische Tradition ist, vor dem romantischen Rückfall des Politischen, dass die Sphären ganz streng auseinandergetrennt werden müssen zwischen Politik und Romantik, und wenn die Sphären vermischt werden – ein Stück weit versuchen wir das hier -, sofort vor dem romantischen Rückfall warnen. Ich würde schon sagen, auch erst mal vor dem Horizont unserer Berliner Republik mit unserer Physikerin an der Spitze, wäre es wichtig, dass Leidenschaften, dass politische Alternativentwürfe, auch dass politische Fantasie wieder mit dem Regierungsapparat konfrontiert wird.
Scholl: Auf das Aktuelle kommen wir gleich, Herr Schlak. Ich möchte noch ein bisschen in der Historie verweilen. Sie haben Carl Schmitt schon zitiert. Man hat auch den Nationalsozialismus genau in seinem Sinne als romantische Idee charakterisiert und die Nazis haben geschickt etliche romantische Motive der Volksgemeinschaft ideologisiert. Ist damit nicht doch erst mal jede Konzeption einer politischen Romantik schon mal ein wenig ad absurdum geführt?
Die große Rede von Peter Sloterdijk
Schlak: Da spielen Sie fast auf die große Rede von Peter Sloterdijk an. Der sprang gleich in seinen ersten Sätzen seiner Rede von Carl Schmitt zum Nationalsozialismus, und Schmitt war ja Kronjurist des Nationalsozialismus in einer entscheidenden Zeit der 30er-Jahre und beschrieb das Dritte Reich als ein Konglomerat der politischen Romantik. Die Schwierigkeit dieses Begriffes ist eben, dass es ein relationaler Begriff ist, und von der Studentenbewegung 1968 bis vielleicht zur Occupy-Bewegung, von der wir uns vielleicht Widerstand gegen die ökonomischen Zurichtungen versprechen, bis zum Dritten Reich, bis zum Stalinismus, bis zu den ideologischen Kräften wurde vieles zur politischen Romantik genommen. Das macht es jetzt auch so schwierig, diesen Begriff in diesen Tagen neu und unbefangen zu betrachten und ein Stück weit auch zu symmetrisieren, dass er eben nicht nur als Abgrenzungs- oder Diskriminierungskeule verwandt werden kann, sondern auch besetzbar ist für Protagonisten alternativer Gegenentwürfe.
Scholl: "Politische Romantik", die Tagung in Frankfurt am Main, wir sind im Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Historiker Stephan Schlak. Sie sprechen in der Ankündigung davon, Herr Schlak, dem politischen Intensitätsgrad unserer Tage nachzuspüren, und Sie schreiben, gerade Europa bedarf heute mehr als Rechenschieber und Finanzjongleure. Politische Romantik sei hier eine Chance. Können Sie die mal ein wenig erläutern?
Schlak: Ja, ich muss dazu etwas vorwegschicken. Als wir die Tagung konzipiert haben, im letzten Jahr, da dachten wir, Mensch, die fällt in den April diesen Jahres, das ist kurz vor der Europawahl, das ist 100 Tage nach der Großen Koalition, und da wollten wir ein Stück weit auch sagen, es könnte so eine Lethargie in diesem Jahr sein, dass wir mit diesem Begriff einfach auch sagten, dass gerade Europa, gerade in dieser starken finanziellen Lage, in der sich Europa mit den Krisenländern wie Griechenland befindet, dies ein neuer emphatischer Zuspruch ist und dass man neu und emphatisch über das Projekt Europa nachdenken kann. Dann wurden wir selbst überrollt fast von den Ereignissen an der Krim in Osteuropa, wo sich Leidenschaften, die so ein zentraler Begriff sind für unsere Tagung, in einem ganz anderen Gesicht zeigten, und Leidenschaften, hinter denen zum Teil das Gespenst des Bürgerkrieges auftauchte, und so hat diese Tagung auch in den letzten Wochen eine Wandlung unterlaufen.
Scholl: Das heißt, die Chance heißt jetzt nicht mehr, der Politik mehr Romantik zu verschaffen, sondern eigentlich dieser Revolutionsromantik doch wieder sozusagen politische Koordinaten einzuziehen, der Vernunft doch eher Rechnung zu.
Wer ist an der Krim der politische Romantiker?
Schlak: Auch da ist es schwer. Natürlich schlägt in dieser Stunde in Europa wieder gerade die Stunde der Diplomatie, das heißt des Kalküls, des klugen Abwägens. Also würde man doch hoffen, dass die europäischen Außenminister jetzt nicht politisch-romantisch diese Lage mit Russland und in der Ukraine lösen, sondern fast mit dem Max Weberschen Begriff, mit Augenmaß und behutsam, vorsichtig dicke Bretter bohren. Und auch da ist es schwierig, wenn man die Lage beschreibt: Wer ist der politische Romantiker? Ist es Putin, der von der großen Mutter Russland träumt und imperiale Sehnsüchte hat? Sind es die Demonstranten, die ohne Rücksicht auf die geopolitischen Sorgen einer nahen Großmacht sich für eine Demokratisierung einsetzen? Unser Begriff spielt da auch eine große Rolle, ohne dass er auf ein Lager genau zugeschnitten werden kann.
Scholl: Sie haben schon ein paar Worte zu Peter Sloterdijk und seinem Vortrag gestern gesagt. Er hat die Konferenz eröffnet mit einer Rede über politischen Ikarismus, also den mythischen Hochflieger Ikarus ins Spiel gebracht. Welchen Akzent politischer Romantik hat Sloterdijk denn hier speziell gesetzt?
Schlak: Sloterdijk hat eigentlich einen Prolog gemacht zu unserer Konferenz. Wir haben ja die Konferenz ein wenig zwischen dem Zeitraffer 1914 und 2014 aufgehangen. Er hat uns die große Geschichte der politischen Romantik von Alexander dem Großen in schnellen Schritten durch die Weltgeschichte über Richard Wagner bis Adolf Hitler erzählt, und wir haben schon gemerkt, das abgründige Erbe, auf dem unsere Konferenz steht. Es war, wie nicht anders zu erwarten, nicht nur ein Vortrag über den Ikarismus, sondern ein großer philosophischer Gedankenflug.
Scholl: Und in der Goethe-Stadt Frankfurt im Goethe-Haus werden auch Rüdiger Safranski und Sahra Wagenknecht über den Dichtergott Goethe himself als Homo Politicus diskutieren, auch interessante Figur in Sachen politischer Romantik. War er nicht auch einer, ein politischer Romantiker, Goethe, der Dichtergott? Er hat Napoleon ja bewundert als modernen Heros, und gleichzeitig hat er die Ordnung geliebt wie kaum ein zweiter.
Schlak: Das wird übrigens mit eines der spannendsten Paare und Duelle dieses heutigen Tages sein, Wagenknecht gegen Safranski, zumal die Führungspolitiker der Linken aus Goethe ja einen frühen Kapitalismuskritiker herausschälen, durch starke Lektüre von Faust II. Dagegen gibt es dann doch deutliche Instinkte von Goethe, wenn er sagt, dass ihm die Ordnung lieber ist als die Gerechtigkeit. Nicht Freiheit statt Gerechtigkeit, wie eine Schrift von Freiheit statt Kapitalismus, wie ein Buch von Wagenknecht heißt, sondern Ordnung statt Gerechtigkeit. Da bin ich sehr gespannt, wie der große Goethe-Biograph Safranski auf diese, man kann schon sagen, sozialromantische Lektüre der Politikerin antworten wird.
Scholl: Wir sind jedenfalls gespannt und werden Ihre Konferenz im Programm auch weiter begleiten, die Diskussionen zur "Politischen Romantik" auf der Tagung in Frankfurt am Main. Stephan Schlak hat sie konzipiert, organisiert. Viel Erfolg dafür, Herr Schlak, und besten Dank für das Gespräch.
Schlak: Vielen Dank, Herr Scholl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.