Den Begriff zu tilgen, löst keine Probleme
Wissenschaftlich gesehen gibt es keine "Rassen". Warum man mit dem Begriff dennoch weiter arbeiten muss und warum es falsch ist, das Wort aus dem Anti-Diskriminierungsparagrafen zu streichen, erklärt der Historiker Christian Geulen.
In Deutschland ist "Rasse" ein Unwort, zumindest aber - spätestens seit der Zeit des Nationalsozialismus – ein höchst problematischer Begriff. In Ländern wie den USA oder Großbritannien dagegen wird das Wort "race" unbefangen verwendet.
Auch diese Diskrepanz ist Thema der Konferenz "Rasse - Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts" im Hygiene Museum Dresden. Ja, bestätigt der Koblenzer Historiker Christian Geulen, der die Veranstaltung leitet, die heftige Debatte um den Begriff "Rasse" sei ein deutsches Phänomen - aus nahe liegenden Gründen. Dennoch hält Geulen nichts davon, das Wort aus dem Grundgesetz zu tilgen (wo es im Artikel 3 zu finden ist) - wie von den Grünen und der Piratenpartei gefordert.
Tabuisierung lässt Konflikte nicht verschwinden
Die Tabuisierung, sei, seiner Meinung nach, keine Lösung:
"Weil gar nicht Thematisieren, glaube ich, die Gefahr birgt, dass das, was einmal mit diesem Begriff verbunden war, nur heute nicht mehr in dieser Weise miteinander verbunden wird, plötzlich doch in anderen Begriffen, in anderer Sprache wieder hochkommen kann. Und dann haben wir keinen wirklichen Begriff mehr, mit dem wir das benennen können."
Tilge man "Rasse" als Begriff, sei der Begriff zwar verschwunden, nicht aber das damit verbundene Problem. Entscheidend sei, in welchem Zusammenhang "Rasse" benutzt werde. Wenn der Begriff im Anti-Diskriminierungs-Paragrafen verwendet werde, mache er dort durchaus Sinn. Werde er gestrichen, dann fehle gewissermaßen die Handhabe, wenn Formen der Fremdenfeindlichkeit tatsächlich "mit dem, was dieser Begriff einmal bedeutete und was damit zusammen hängt, weiterhin arbeiten. Das heißt: Wir nehmen uns selber Waffen weg."
Ursprung im mittelalterlichen Spanien
Auf Menschen sei "Rasse" übrigens das erste Mal nachweislich im 15. Jahrhundert während der Reconquista in Spanien angewendet worden, erläuterte Geulen: Hätten unter maurischer Herrschaft Christen, Muslime und Juden mehr oder weniger friedlich neben- und miteinander gelebt, rückte die Re-Katholisierung Spaniens plötzlich die Relevanz der "Abstammung" in den Fokus.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: "Rasse": Wenn ich dieses Wort sage, dann zuckt es in Ihnen vielleicht genauso wie in mir. Rasse ist ein Wort, das an schlimme Zeiten erinnert, an Zeiten, in denen aus absurden Reinheitsvorstellungen einer Rasse mörderische Politik wurde.
Und doch, dieser Begriff oder das, wofür er steht, ist nicht aus der Welt. Denken Sie an Situationen wie in Baltimore, Rassenunruhen, denken Sie an Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte, aktueller Rassenhass.
"Rasse: Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts", das ist der Titel einer Tagung, die heute im Deutschen Hygienemuseum in Dresden beginnt, in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und in Kooperation mit dem Institut für Geschichte der Universität Koblenz. Von dort kommt auch der Historiker Christian Geulen, der die Konferenz mitverantwortet, jetzt unser Gesprächsgast hier in "Studio 9". Guten Morgen!
Christian Geulen: Guten Morgen!
Frenzel: Jetzt musste ich das Wort "Rasse" ganz häufig in den Mund nehmen. Ihnen wird es noch vielmehr so gehen bei Ihrer Tagung, dabei könnte man ja denken, gar nicht thematisieren ist vielleicht der bessere Weg. Warum tun Sie es?
Geulen: Weil gar nicht thematisieren, glaube ich, die Gefahr birgt, dass das, was mit diesem Begriff einmal verbunden war, nur vielleicht heute nicht mehr in dieser Weise miteinander verbunden wird, plötzlich doch in anderen Begriffen, in anderer Sprache wieder hochkommen kann, und dann haben wir keinen wirklichen Begriff, mit dem wir das benennen können.
Also, ich kann ein Flüchtlingsheim anzünden und sagen, es würde sich hierbei um den Schutz der eigenen Kultur handeln und nicht von Rasse sprechen. Wenn wir also von beiden Seiten diesen Begriff völlig verbannen und tabuisieren, dann bleibt uns nur noch die etwas eigenartige Formel "Rassismus" übrig und über deren Definition streiten sich Experten, Öffentlichkeit und Politik genauso.
Deshalb denke ich, dass es vielleicht sogar gerade jetzt sinnvoll ist, nach diesem Grundbegriff, der dem Rassismus mal seinen Namen gab, wieder neu zu fragen.
Frenzel: Ich habe jetzt gerade lauter negative Konnotationen aufgeführt, Sie auch in Ihren Beispielen, aber ich könnte ja auch mal das Grundgesetz zitieren, Artikel 3: "Niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden". Das ist ja, ohne Frage, gut gemeint, aber bestärkt das damit nicht auch die Idee von der Rasse, von Unterschieden?
"Der Rassenbegriff ist zunächst mal eine Leerformel"
Geulen: Der Rassenbegriff ist zunächst mal eine Leerformel. Wir sind uns einig darüber, dass es sozusagen im wissenschaftlich strengen Sinne definierbare Rassen nicht gibt. Im wissenschaftlich strengen Sinne definierbare Kulturen oder Nationen gibt es aber auch nicht.
Wenn also im Grundgesetz gerade im Anti-Diskriminierungsparagraphen der Begriff Rasse auftaucht, würde ich sehr davor warnen, jetzt hinzugehen und zu sagen, nein, das ist ein veralteter oder ein gefährlicher Begriff, deshalb muss er da gestrichen werden, weil dann fehlt uns gewissermaßen die tatsächliche Handhabe, wenn Formen der Fremdenfeindlichkeit tatsächlich dezidiert mit dem, was dieser Begriff einmal bedeutete und was damit zusammenhängt, weiterhin arbeiten. Das heißt, wir nehmen uns selber Waffen weg.
Frenzel: Aber Herr Geulen, Sie haben ja selbst gesagt, wissenschaftlich ist das eigentlich gar nicht haltbar, dieses Konzept, und wenn man dann von Rasse spricht, dann macht man es ja doch irgendwie fest, dass es welche gibt.
Geulen: Nein, das ist ein Missverständnis. Ich glaube, was oft hier verwechselt wird, ist, wie eigentlich Ideologien funktionieren. Und ein Begriff wie Rasse kann ideologisch sein, völlig unabhängig davon, ob er wissenschaftlich wahr ist oder nicht. Was ihn zu einem ideologischen Begriff macht, ist nicht seine Falschheit – Individuen sind nicht Lügen –, sondern was ihn problematisch und gefährlich macht, ist die jeweils spezifische Verwendungsweise in sehr bestimmten Kontexten.
Das heißt, die Tatsache, dass die Wissenschaften, was immer wir darunter jetzt verstehen – Biologie, Zoologie oder Kulturwissenschaft oder was anderes –, meinen, natürlich gibt es keine Rassen, damit ist überhaupt noch nicht das eigentliche Problem aus der Welt geschafft, sondern wir haben sozusagen nur ein Wort aus unserer Sprache gestrichen, das aber vielleicht gerade notwendig wäre, um bestimmte Probleme anzusprechen.
Frenzel: Es geht bei Ihrer Konferenz um die Aktualität, aber natürlich auch – Sie sind Historiker – um die Geschichte des Rassebegriffs. Wenn wir da mal zurückgehen, wo kommt der denn eigentlich her und wann beginnt eigentlich dieser Missbrauch?
Geulen: Er ist ungefähr 500 Jahre alt, der Rassenbegriff, und wurde zum ersten Mal auf Menschen angewendet im Mittelalter, vorher schon spielte er schon im Rahmen der Pferdezucht eine Rolle, aber zum ersten Mal auf Menschen angewendet wurde er im Spanien des 15. Jahrhunderts im Zuge der sogenannten Reconquista, der Rekatholisierung Spaniens, das ja seit einigen Jahrhunderten schon maurisch dominiert war, das heißt, von muslimischen Arabern, wo aber gleichzeitig in all diesen Jahrhunderten auch christliche und jüdische Gemeinden lebten, und das sogar relativ friedlich miteinander.
Jetzt begann die Rekatholisierung von Norden nach Süden durchgehend, hat sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, und diese neuen katholischen Machthaber kamen immer wieder darauf, dass bestimmte, vor allen Dingen Juden, die in Spanien lebten, inzwischen formal zum Christentum übergetreten waren, faktisch aber ihre jüdische Lebensweise weiter verfolgten.
Also haben sie sozusagen das Glaubensbekenntnis als den entscheidenden Moment abgeschafft und stattdessen danach gefragt, wie viele Generationen dieser jeweiligen Familien denn schon dem christlichen Glauben anhängen. Und diese Unterscheidung, dafür wurde der Begriff der Rasse beziehungsweise der Reinheit des Blutes und der Rasse eingeführt, und von da aus hat er sich dann sehr schnell in alle europäischen Sprachen verbreitet.
Frenzel: Und da beginnt wahrscheinlich auch, wenn auch erst nur in Ansätzen, die Geschichte der Diskriminierung aufgrund von Rasse, die ja ihren historischen Höhepunkt gefunden hat in unserer Geschichte, in der Nazizeit.
Wenn wir heute diesen Rassebegriff so problematisch hier und anderswo, Sie auf Ihrer Konferenz, diskutieren – ist das eigentlich eine deutsche Debatte? Also wenn ich ans Englische denke, die "human race", das ist ja eine ganz normale Begriffsverwendung des Wortes Rasse.
Geulen: Ja, das ist richtig, das ist tatsächlich ein Problem, wenn man die Sache international betrachtet. Gerade in Amerika ist "race" sozusagen eine völlig akzeptierte Kategorie der Unterscheidung, obwohl auch in Amerika alle wissen, dass es natürlich keine wissenschaftliche Definition und keinen wissenschaftlichen Beweis der Existenz dieser Rassen gibt, aber auch die Schwarzenbewegung spricht natürlich von "race" als dem Thema, das sie immer wieder nach vorne stellen.
Das ist, was in Deutschland interessanterweise eben überhaupt nicht der Fall ist, sondern im Gegenteil, hier wehrt man sich eher dagegen und will diesen Begriff loswerden. Und mit diesen Unterschieden werden wir uns auch auf der Tagung zum Teil beschäftigen, denn sie zeugen davon, dass man gerade mit solchen Abschaffungen bestimmter Begriffe die Probleme nicht wirklich löst. Man muss nur einmal über bestimmte Grenzen gucken und dann ist entweder der Begriff wieder da oder in neuen Begriffen wird das gleiche gemeint und ähnliches.
Das heißt, die Funktionsweise dessen, was mit dem Begriff und was man rassistisches Verhalten nennen könnte, ist etwas, das nicht unmittelbar nur an diesen Begriff gebunden ist, sondern sehr viel komplexer, und genau das wollen wir auf unserer Tagung thematisieren.
Frenzel: "Rasse: Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts", das ist der Titel einer Tagung, die heute im Deutschen Hygienemuseum in Dresden beginnt. Im Gespräch dazu war der Historiker Christian Geulen, ich danke Ihnen ganz herzlich dafür!
Geulen: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.