Schule

Religionsunterricht in der Krise

Eine Schülerin an der Tafel, auf der mit Kreide das Wort "Religion" geschreiben steht
Weniger Teilnehmende, Lehrkräftemangel, grundsätzliche Kritik: Der klassische Religionsunterricht hat mit vielen Problemen zu kämpfen. © picture alliance / Friso Gentsch
Seit rund zehn Jahren nehmen immer weniger Schülerinnen und Schüler am konfessionell gebundenen Religionsunterricht teil. Brauchen wir heute noch Religionsunterricht an Schulen? Und wie könnte er aussehen?
Das Angebot ist groß: Konfessionell gebundenen Religionsunterricht gibt es in fast in jeder Schule in Deutschland – neben evangelischem und katholischem mittlerweile auch alevitischer, buddhistischer, christlich-orthodoxer, islamischer und jüdischer Religionsunterricht.
Religionsunterricht soll Schülerinnen und Schülern aus theologischer Perspektive die eigene Religion (und auch andere) näherbringen. Das wird auch als Bekenntnisunterricht bezeichnet.
Das Fach variiert dabei von Land zu Land, zum Teil von Schule zu Schule. Denn: Die Länder entscheiden in Bildungsfragen und damit auch über das Fach Religion. 

Religionsunterricht in Deutschland in Zahlen

Immer weniger Schülerinnen und Schüler in Deutschland nehmen am christlichen Religionsunterricht teil. Zahlen der Kultusministerkonferenz zeigen: Im Schuljahr 2023 waren es knapp 29 Prozent in den ersten zehn Klassen für den evangelischen Religionsunterricht und rund 25 Prozent für den katholischen. Im Schuljahr 2015/2016 hatte die Teilnahme am evangelischen Unterricht noch bei 35 Prozent gelegen, am katholischen bei fast 34 Prozent. Seitdem gehen die Zahlen kontinuierlich nach unten. 
Deutlich gestiegen sind dagegen die Teilnahmezahlen an sogenanntem Ersatzunterricht wie Ethik: etwa 26 Prozent aller Schülerinnen und Schüler wählten dieses Fach. Auch nehmen deutlich mehr Kinder und Jugendliche am islamischen Religionsunterricht teil – ihre Anzahl hat sich im Vergleich zu 2015/2016 fast verdoppelt. Der Anteil im Gesamtvergleich liegt hier aber bundesweit lediglich bei 0,7 Prozent.

Warum es Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt

Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt. Dennoch gibt es noch konfessionellen Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Das liegt am an dem gesetzlichen „Sonderstatus“ des Religionsunterrichtes. Denn im Grundgesetz, Artikel 7, steht: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Und weiter: „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ Der Staat muss weltanschaulich neutral sein. Doch für den Religionsunterricht muss er sich nach dem Grundgesetz – was die Inhalte angeht –mit den Religionsgemeinschaften abstimmen.

Kritik am konfessionell gebundenen Religionsunterricht

Die gesetzliche Lage räume den Kirchen zu viel Einfluss in Schulen ein, so Kritiker. Zudem stellt er die Infrastruktur und bezahlt zumeist die Lehrkräfte. Weitere Kritikpunkte am Religionsunterricht umfassen beispielsweise Mangel an Lehrpersonal, das abnehmende Interesse von Schülerinnen und Schülern, die Unterrepräsentierung religiöser Minderheiten und die Streitereien zwischen und in den Religionsgemeinschaften.
Die Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts ist daher für eine weltanschaulich neutrale Religionskunde – ohne Beteiligung der Religionsgemeinschaften. Im Gegensatz zum konfessionell gebundenen Religionsunterricht wird dabei aus einer neutralen Perspektive heraus über Religionen und Weltanschauungen informiert, die einen wichtigen Teil der Alltagskultur darstellen. Religionskunde vermittelt also säkulares Wissen über Religion.
Zwar sei auch unabhängig von religiösen Anliegen die Auseinandersetzung mit Religion gesellschaftlich wichtig, so Alberts. Dies könne aber eben auch in einem Fach wie Religionskunde vermittelt werden, unabhängig von religiösen Institutionen.
Die Religionspädagogin Anke Edelbrock hat einen weiteren Einwand: Glaube können nicht in religiösen Bildungsprozessen vermittelt werden, betont sie. Für die kindliche Entwicklung sei ein im weitesten Sinne spirituelles Angebot bereichernd, auf den Glauben habe das aber keinen Einfluss.

Warum Islamischer Religionsunterricht zusätzlich für Kontroversen sorgt

Islamischer Religionsunterricht soll Integration fördern und Radikalisierung verhindern. Doch trotz politischer Förderung ist er an deutschen Schulen noch eine Seltenheit. Zudem sorgt er für Kontroversen: Kritiker befürchten, dass über den islamischen Religionsunterricht allzu konservative oder islamistische Religionsgemeinschaften Einfluss auf Schülerinnen und Schüler gewinnen könnten. Wie kommt es zu dieser Sorge?
Der Staat soll beim Religionsunterricht nicht nur mit den Kirchen kooperieren, sondern auch mit anderen Religionsgemeinschaften. Im Fall des islamischen Religionsunterrichts haben die Bundesländer in den vergangenen Jahren daher mit islamischen Verbänden verschiedene Kooperationen aufgebaut. Dies ist teilweise umstritten.
Denn: Für den islamischen Religionsunterricht hat der Staat keinen alleinigen Ansprechpartner, der der Kirche ähnelt. Eine vergleichbare Institution gibt es im Islam nicht. Außerdem sind die meisten Islamverbände keine Körperschaften des öffentlichen Rechts, so wie es die Kirchen sind. Die Bundesländer haben daher in mehreren Ländern Beiräte geschaffen, mit denen zusammen der islamische Religionsunterricht an staatlichen Schulen entwickelt wird. Diesen Beiräten gehören verschiedene ausgewählte Islamverbände an, wie beispielsweise in manchen Bundesländern auch der umstrittene deutsch-türkische Moscheeverband Ditib, der teilweise für seine Nähe zur türkischen Regierung kritisiert wird.
Die SPD-Politikerin Lale Akgün spricht sich dafür aus, die Kooperation mit den Islam-Verbänden, den islamischen Religionsunterricht und das staatliche Dialogforum der Deutschen Islamkonferenz zu beenden. Statt des islamischen Religionsunterrichts sollte eine neutrale Islamkunde eingeführt werden, die über Glaubenswege sachlich informiere.
Ultrakonservative bis islamistische Verbände wie die vom türkischen Staat gelenkte Ditib oder die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) brächten ständig politische Botschaften im religiösen Gewand unter die Leute, so Akgün.
Es sei hochproblematisch, dass beispielsweise die Ditib personell, strukturell, finanziell, ideologisch und staatlich von der türkischen Religionsbehörde, der Diyanet, abhängig sei, sagt auch die Journalistin und Publizistin Khola Maryam Hübsch. Doch unterliege letztendlich jeder Religionsunterricht an Schulen einer staatlichen Kontrolle. Wichtig sei, dafür zu sorgen, dass Verbände wie die Ditip nicht der einzige Kooperationspartner des Staates seien. Dass Imame eben nicht aus Ankara kommen, sondern in Deutschland ausgebildet werden.
Dass es auch anders gehe, zeige das Beispiel der islamischen Gemeinschaft Ahmadiyya. Die sei eigenständig finanziert und staatsunabhängig. Und dort würden seit 2012 in Deutschland Imame ausgebildet.
Gerade weil es viele verschiedene islamische Verbände gebe, plädiert Hübsch zudem dafür, im islamischen Religionsunterreicht einen Grundkonsens zu finden und sich dafür an gemeinsamen ethischen Fundamenten zu orientieren. Das bedeute, sich auf die anerkannten Quellen zu berufen und sich auf eine, besonders weit verbreitete Interpretation zu einigen – sie bezeichnet dies als „konservativen“ Religionsunterricht.
Islamischer Religionsunterricht sei auch für die Integration wichtig, weil er vor Radikalisierung schütze. Denn „guter“ Religionsunterricht vermittle allgemeine, ethische Werte wie Toleranz und Solidarität, sowie auch einen reflektierten Umgang mit Religion, so Hübsch.

Was für einen konfessionell gebundenen Religionsunterricht spricht

Religionsunterricht vermittelt generell Sachkompetenzen und Hintergrundwissen über Religion – das sagt der Religionslehrer Marcus Hoffmann, Vorsitzender des Bundesverbandes katholischer Religionslehrer. Doch entscheidend sei dabei die Frage des persönlichen Zeugnisses und des persönlichen Erfahrungsaustauschs: Was heißt es, eine Religion zu leben, mit ihren Schwierigkeiten, Herausforderungen und ihren guten Seiten? Dies könne über die Erfahrungen der Lehrkräfte in und mit Religion im Unterricht vermittelt werden. Genau das unterscheide Relgionsunterricht von Ersatzangeboten wie Ethik oder Religionskunde: die konfessionelle Prägung oder Konfessionalität - im Sinne von "confessio", bekennen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Religiöses Grundwissen helfe, kulturelle Zeugnisse wie Musik, Architektur oder Kunst, Geschichte oder Traditionen besser zu verstehen, so Hoffmann. Also beispielsweise erfahren, was Christi Himmelfahrt (in manchen Bundesländern ein Feiertag) bedeutet oder welche biblische Geschichte hinter einem berühmten Gemälde steckt.
Doch auch um die Gegenwart, um aktuelle Konflikte und Probleme zu deuten, sei religiöses Grundwissen hilfreich. Es erlaube, eine kritische Urteilsfähigkeit zu entwickeln – gerade weil Religion immer wieder instrumentalisiert werde. Der Religionsunterricht könnte Schülerinnen und Schülern ein Aufklärungspotential an die Hand geben, damit sie beispielsweise religiöse Posts auf TikTok oder Instagram besser einordnen können, und verstehen: Wer ist eigentlich der Akteur dahinter? Was wird dort im Namen der Religion verbreitet?

So könnte ein Religionsunterricht anders gestaltet werden

Als ein mögliches Beispiel für einen neuen Ansatz gilt der sogenannte ökumenische Religionsunterricht – also ein von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam verantworteter Unterricht. Ab dem Schuljahr 2025/2026 soll ein solcher Unterricht unter dem Namen „christliche Religion“ in Niedersachsen an allen Schulen eingeführt werden. Das neue Unterrichtsfach hat für die Kirchen Pilotcharakter. Die anderen Konfessionen sollen ebenso wie die anderen Religionen und Weltanschauungen angemessen dargestellt und behandelt werden.
Die Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts sieht dagegen im Fach Religionskunde ein solches, zukünftiges Angebot. Das biete – im Gegensatz zum etablierten Religionsunterricht – Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Religion einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen – unabhängig von bestimmten Religionsgemeinschaften oder von religiösen Personen, die diesen Unterricht anbieten.

csh
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