Konfessionen in Syrien

"Wir dachten, es gäbe keine Konflikte"

Ein syrischer Junge sitzt vor seinem Haus in Tishreen am ersten Tag des Waffenstillstands in Syrien.
Syrischer Junge vor Haus in Tishreen. © picture alliance / dpa / Mohammed Badra
Von Moritz Behrendt |
Der syrische Bürgerkrieg ist auch ein Krieg der Konfessionen. Diese Spannungen traten erst jetzt an die Oberfläche - auch, weil sie von Staatspräsident Bashar al-Assad instrumentalisiert wurden.
Rand Sabbagh ist Christin. Die Journalistin ist in Damaskus aufgewachsen, hat muslimische und alawitische Freunde – Probleme im Alltag gab es bis 2011 kaum. Syrien, Heimat so unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften wie Sunniten, Alawiten, Christen, Schiiten, Drusen, Ismailiten und Juden, präsentierte sich nach Außen und Innen als Hort der religiösen Toleranz:
"Wir haben das für die Wirklichkeit gehalten, ich habe daran geglaubt. Das lag auch daran, dass man über religiöse Spannungen nicht reden durfte – wir dachten, es gäbe keine Konflikte, wir dachten, es gäbe Toleranz, aber das war wohl eine Illusion."
Friederike Stolleis, Islamwissenschaftlerin und Herausgeberin einer neuen Syrien-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung macht deutlich, dass der scheinbare Frieden zwischen den Religionsgruppen seinen Preis hatte:
"Ein syrisches Kind konnte Abitur machen, ohne jemals etwas über die religiöse und ethnische Vielfalt des Landes zu erfahren. Der Effekt war zweischneidig, weil an der Oberfläche die konfessionellen Unterschiede keine Rolle spielten. Darunter war es natürlich ein Tabu und auch mit der gefährlichste Anklagepunkt für Oppositionelle. Konfessionelle Spannungen zu schüren, war ein Vorwurf, der viele für viele Jahre hinter Gitter gebracht hat, insofern war das immer ein heikles Thema."

Aufstand zunächst keine konfessionellen Züge

Das Assad-Regime selbst aber habe durchaus Konfessions-Politik betrieben. Bei der Besetzung wichtiger Positionen im Staat sei die religiöse Zugehörigkeit immer mitgedacht worden, sagt Stolleis. Nach dem Ausbruch des Konflikts vor fünf Jahren hat Bashar al-Assad dann ganz bewusst die Angst der Minderheiten vor der sunnitischen Mehrheit geschürt. Umstritten ist, in welchem Maß das Regime verantwortlich für die Konfessionalisierung des Konflikts war. Der Anwalt Samer Massouh warnt vor einer Überbewertung:
"Der Konfessionalismus war schon vorher vorhanden, allerdings blieb er lange verborgen. Es gibt Oppositionelle, die behaupten, das Regime habe den Konfessionalismus erst erschaffen. Das glaube ich nicht – aber es hat die Spannungen für sich genutzt."
Rand Sabbagh war selbst am Widerstand gegen das Assad-Regime beteiligt. Sie betont, dass der Aufstand zunächst keinerlei konfessionelle Züge trug. Aber schon in der ersten Reaktion habe die Regierung die Demonstrationen als das Werk sunnitischer Extremisten gebrandmarkt – und so auf die Angst der Minderheiten vor einer Herrschaft der Islamisten gesetzt.
"Jede Glaubensgemeinschaft wurde auf unterschiedliche Art instrumentalisiert. Assad hat die Alawiten als Stützen der Armee benutzt – und ich sage bewusst, er hat sie benutzt, weil sie aus meiner Sicht Opfer sind. Es ist, als hätte er alle Alawiten in Mithaftung genommen. Den Christen wiederum sagt er ständig, wie gefährdet sie sind und dass nur er sie beschützt - obwohl ich weiß, dass er das nicht tut."

Die meisten Christen halten zur Regierung

Fast drei Viertel aller Syrer sind sunnitische Muslime. Die Alawiten, eine mit den Schiiten verwandte Glaubensgemeinschaft, machen Schätzungen zufolge rund 12 Prozent der Bevölkerung aus. Weitere gut zehn Prozent sind Christen unterschiedlicher Konfessionen. Sie leben als Minderheit über das ganze Land verteilt - nur im Wadi al-Nasara, dem "Tal der Christen" westlich von Homs sind sie in der Mehrheit. Samer Massouh beschreibt in seiner Untersuchung für die Studie der Ebert-Stiftung, dass die meisten Bewohner des Tals am liebsten gar keinen Kontakt mit Muslimen pflegen würden; seit 2011 hat sich der Graben noch vertieft. Für die Hauptstadt Damaskus schildert Rand Sabbagh dagegen einen offeneren Austausch zwischen den Religionsgruppen. Konfessionelle Identitäten hängen eben auch von lokalen Gegebenheiten ab.
Doch so unterschiedlich ihre Nähe zu Muslimen sein mag, die meisten Christen halten zur Regierung. Am vehementesten unterstützen die offiziellen Vertreter der Kirchen das Assad-Regime, sehr zum Missfallen von Sabbagh:
"Ich habe selbst erlebt, wie Priester die Leute aufgerufen haben, zur Armee zu gehen, sich zu bewaffnen und ihre Gebiete zu verteidigen. Ich war schockiert, denn das war die gleiche Kirche, in der früher Liebe, Wohltätigkeit und all diese Dinge gepredigt wurden."
Bischöfe und Patriarchen hätten ihre Loyalität zum Assad-Regime nicht zwingend aus Überzeugung so offen bekundet, meint Friederike Stolleis, sondern auch aus Pragmatismus:
"Wahrscheinlich haben sie da bisher auch viele Leben mit gerettet, weil, wenn sie sich gegen das Regime gewandt hätten, dann wäre es mit dem Schutz der Minderheiten schnell vorbei gewesen. Allerdings ist das natürlich langfristig ein sehr riskanter Kurs, weil, wenn das Regime stürzt, stehen sie ohne Schutz da und mit der Verantwortung, das Regime gestützt zu haben."

Es ist schwer sich eine friedliche Zukunft vorzustellen

Je länger der Krieg in Syrien andauert, desto offener zeigen viele Gegner des Assad-Regimes ihren Hass auf Angehörige religiöser Minderheiten. Extremistische Gruppen wie die Nusra-Front oder der selbst ernannte Islamische Staat sehen in einem zukünftigen Syrien keinen Platz für Alawiten. Die Schriftstellerin Samar Yazbek, eine alawitische Assad-Gegnerin, beschreibt in ihrem Tagebuch: "Die gestohlene Revolution", wie ihr islamistische Kämpfer ins Gesicht sagen, dass alle Alawiten ausgerottet werden müssten. Angehörige anderer Minderheiten sollen sich nach Vorstellung der Extremisten entweder zum Islam bekehren oder eine Schutzsteuer bezahlen.
Angesichts der Gräuel des Krieges und der Verrohung im Umgang fällt es schwer, sich vorzustellen, wie die Syrer in Zukunft wieder friedlich zusammenleben können. Anwalt Massouh ist voller Skepsis:
"Wenn die Syrer sich selbst überlassen werden mit dieser Menge an Waffen im Land, wird es nicht nur Konflikte und Massaker zwischen den unterschiedlichen Konfessionen geben, sondern auch zwischen den ethnischen Gruppen, zwischen Kurden und Arabern."
Für Friederike Stolleis sind Hass und Abgrenzung nur die Hälfte der Wahrheit: Sie sieht auch zahlreiche Beispiele überkonfessioneller Solidarität - von Alawiten, die sunnitischen Flüchtlingen Nahrung bringen und Unterkünfte besorgen und umgekehrt. Das nährt die kleine Hoffnung, dass es auch nach fünf Jahren Krieg noch genügend Menschen gibt, die dem Hass etwas entgegensetzen.

Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Playing the Sectarian Card" ist auch online zu finden.

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