Konfetti im Doppelbett

Von Johannes Halder |
Seit ihrer Teilnahme an der Biennale von Venedig 1995 gehört die Düsseldorferin Katharina Fritsch zu den erfolgreichsten Künstlerinnen unserer Zeit. Im Kunsthaus Zürich zeigt sie jetzt neben ihren großen, hypnotisch wirkenden Figuren und magischen Installationen auch neue Arbeiten in einer Retrospektive.
Ratten, 16 riesige Ratten hocken im Kreis, jedes der schwarzen Nagetiere 2,80 Meter hoch. Doch die Schwänze der Monster sind zu einem Knäuel verschlungen, sie kommen nicht vom Fleck. Der "Rattenkönig" von 1993 ist vielleicht das berühmteste Werk von Katharina Fritsch. Andere zeigen acht aggressiv fauchende Panther oder Hunderte von Pudeln, die in einer Runde, aufgestellt in Reih und Glied, ein nacktes Kleinkind zu bewachen scheinen.

Als kühl kalkulierende Meisterin der Massentierhaltung, als Dompteuse archaischer Ängste hält Katharina Fritsch ihr Publikum in Bann. Tiere sind ihre Spezialität, Gänsehaut garantiert.

Doch nichts davon in Zürich, sieht man mal ab von einem lebensgroßen Elefanten aus grün gefärbtem Polyester. Stattdessen empfängt uns am Eingang der Schau ein Koch, eine komplett fahlgelbe Figur mit hoher Mütze, die Haltung höflich geneigt, ein gefüllter Teller in der vorgestreckten rechten Hand, die Linke auf dem Rücken, wie es sich gehört. Doch ehrlich gesagt, von einem wie ihm möchte man lieber nicht bedient werden. Die servile Geste scheint gestellt, seine fiese Freundlichkeit hat etwas Lauerndes, und auch der Gasthof dahinter an der Wand, ein riesig vergrößertes Postkartenmotiv, ist uns nicht geheuer.

Da ist sie wieder, die typische Stimmung, die Katharina Fritsch in ihren Objekten so virtuos beschwört, sinistre Szenen zwischen Alltag und Alptraum, und gerne gibt sie darüber Auskunft, wie ihr solche Bilder in den Kopf kommen:

"Also das meiste kann man als biografisch bezeichnen insofern, als mir die Dinge begegnen, die mir merkwürdig erscheinen oder wo ich dann diese Bilder vor Augen habe, sehr plötzlich, sehr schnell, damit was zu machen. Teilweise sind es auch Träume, teilweise sind es auch Sachen, die ich geträumt habe. Und darum geht es mir auch - also das, was ich selber empfinde oder erlebe oder sehe, also diese Bildvisionen, die ich habe, so zu rekonstruieren, dass sie zu allgemeinen Bildern werden."

Gerade weil sie so banal sind, haben Fritschs Figuren etwas Überrumpelndes. Da begegnet uns in einem parkähnlichen Ambiente ein halbnackter Riese, der die Keule schwingt; in Wirklichkeit ist der Mann ein befreundeter Taxifahrer aus Düsseldorf, den sie als Modell benutzt hat. Die lähmend-langweiligen Sonntagnachmittagsspaziergänge in ihrer Kindheit haben sie dazu inspiriert, und Kinder haben eben Phantasie.

Da liegt auch eine Menge glitzernder Münzen auf dem Boden, als hätte es silberne Taler geregnet, wie im Märchen. Jede Menge Geld, zu einer akkuraten Herzform gerahmt; und das ist die Methode, die Fritsch schon früh zu ihrem Prinzip gemacht hat: nicht das Einzelstück, die Masse macht’s.

Wiederholung und stereotype Reihung, perfektes Gleichmaß und strenge Symmetrie, Präzision und Glätte zeichnen viele ihrer Werke aus und betonen deren Warencharakter.

"Ich hatte auch ganz früh so die Idee, Anfang der 80er-Jahre, wie toll das wäre, wenn man zum Beispiel auf einmal so ein Regal hätte mit diesen Sachen bei Karstadt, oder die zwischen den anderen Sachen stehen in einem Warenhaus. Und diesen Charakter klar zu machen, das ist jetzt kein Einzelobjekt, sondern das können ganz, ganz viele sein, also das ist quasi eine Fabrikproduktion."

In Zürich ist auch ihre "Tischgesellschaft" zu sehen von 1988. 32 absolut identische Männer flankieren sitzend einen 16 Meter langen Tisch – lauter Klone aus der Retorte, eine beklemmend halluzinatorische Installation; daneben einige ihrer "Warengestelle" mit Hunderten von gleichen Madonnenfiguren oder Vasen, aufgebaut wie die Warenpyramiden im Supermarkt. Auch ein Wühltisch ist dabei.

Inzwischen freilich ist Katharina Fritsch schon längst im Hochpreissegment des internationalen Kunstmarkts angekommen, in der Liga zwischen Jeff Koons und Silvie Fleury, in einer Welt zwischen Mythos und Nippes, Banalität und Bedeutung, Kitsch und Klischees.

Und damit spielt sie auch in Zürich. "Paris" ist so ein Thema, oder auch die "Liebe". Dazu inszeniert sie allerlei wundersame Szenen, lässt 32 aufgespannte Schirme an der Decke schweben, garniert mit Riesensiebdrucken von Rotweingläsern, Eiffelturm und Croissants, oder sie arrangiert ein Konfettimuster auf dem Laken eines Doppelbetts zu einem Lächeln, an der Wand dazu vergrößerte Pin-up-Postkarten männlicher Aktmodelle. Ja, natürlich darf man träumen.

Sie arbeite gerne mit starken Bildern, sagt Katharina Fritsch zu solchen surrealen Materialschlachten, und im Grunde hat sie die Räume des Zürcher Museums zu einer Manege gemacht, in der sie ihre Kunststückchen vorführt und die Magie ihrer Objekte zelebriert wie im Zirkus: den Elefanten, den Koch, den Riesen.

Dass sich dabei auch manche Platitude in die Nummernfolge schleicht, passiert da wohl. Oder sagen wir es positiv: Sie hat ihr Publikum so lange mit optischen Sensationen gefüttert, dass die leiseren, poetischeren Töne kaum mehr wahrzunehmen sind. Wir aber applaudieren trotzdem. Denn so ist es mit der Poesie: Sie teilt sich mit, noch bevor sie verstanden wird.

Service:
Katharina Fritsch
Kunsthaus Zürich - Katharina-Fritsch-Retrospektive
3. Juni – 30. August 2009

Deichtorhallen Hamburg
12. November 2009 - 7. Februar 2010