Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie

Von Udo Schmidt |
Das Great Barrier Reef ist wohl einer der größten Touristen-Magneten auf dem fünften Kontinent, der allerdings bedroht ist. Monster-Seesterne fallen derzeit über die Korallen her. Sie haben sich explosionsartig vermehrt, weil zu viel Dünger von den Zuckerrohr-Feldern in Queensland ins Meer gelangt sind. Schwere Stürme haben das Riff im vergangenen Jahrzehnt zudem geschädigt.
Rob McGregor fährt in Townsville Taxi. Townsville ist eine kleine Universitätsstadt im australischen Bundesstaat Queensland ganz nahe am berühmten und gefährdeten Great Barrier Reef. Hier in Townsville sitzen die Korallenexperten, die sich derzeit große Sorgen um das Riff machen, um den größten Naturschatz, den Australien besitzt.

Und hier in Townsville fährt Rob Taxi, Rob, der ein bisschen aussieht wie Jack Nicolson mit wenigen Zähnen und der vierzig Jahre als Fischer zur See gefahren ist. Dem Riff, sagt Rob, haben die Fischer jedenfalls nie weh getan, da sind wir doch nie wirklich nah rangekommen, meint der knapp 70-jährige, da wären uns doch sofort die Netze kaputt gegangen.

Rob: "Ja, es gibt schon Probleme mit dem Riff, aber ob das nun von der Minenindustrie oder von uns Fischern kommt? Das ist doch wohl eher einfach die Natur - das Riff ist weit draußen, weg von den Menschen."

Morgan Pratchett ist einer der Korallenexperten und Professor an der James Cook University in Townsville. Seine Kinder sind noch klein, wie auf dem Foto auf seinem Schreibtisch gut zu erkennen ist, Morgan ist keine 40 Jahre alt. Aber er hat Erfahrung und war an dem Bericht über den Zustand des Great Barrier Reefs beteiligt, der vor wenigen Wochen für große Aufregung sorgte.

Morgan Pratchett: "Die durchschnittliche Korallendecke auf dem Riff hat sich in den vergangenen 27 Jahren halbiert. Das ist das Ergebnis der umfangreichen Untersuchung. Das Riff selber ist heil, aber die Korallen verschwinden."

Das Riff wird kahl, und dafür sind vor allem die Millionen Dornenkronen-Seesterne verantwortlich, die derzeit über die Korallen her fallen, ihren Magen über jede Koralle stülpen und diese ganz einfach verdauen. Ekelhafte Viecher sind das, sagt Morgan Pratchett, der als Taucher die Monster-Seesterne aus nächster Nähe kennt.

Pratchett: "Die sehen oft wie Aliens aus, sie können sehr groß sein, sie haben viele, viele Arme und wenn man ihnen einen Arm abschlägt, dann wird daraus wieder ein neuer Seestern. Sie sind wirklich nicht schön."

Das diese Seesterne sich so vermehren, liegt am Dünger, der ins Meer rund um das Riff gelangt. Dünger von den Zuckerrohr-Feldern in Queensland. Maßnahme eins muss nun sein, die Seesterne zu bekämpfen, die derzeit das Great Barrier Reef kaputt fressen. David Wachenfeld leitet die Reef Marine Park Authority, auch in Townsville, und er hat einen, wenn auch schwer umzusetzenden Plan:

Wachenfeld: "Wir bereiten gerade in begrenztem Umfang vor, den Seesternen ein Sulfat zu spritzen, dass sie tötet, aber für die sonstige Umwelt ungefährlich ist. Wir versuchen, die Technik so zu verbessern, dass wir das auch in größerem Umfang hinbekommen."

Millionen Dornen-Kronenseesterne, und jeder soll seine Spritze bekommen, allzu Erfolg versprechend klingt das nicht! Also muss mittelfristig zumindest daran gearbeitet werden, den Düngereintrag ins Meer zu unterbinden. Das wissen Morgan Pratchett und David Wachenfeld in Townsville.

Und das weiß auch Russel Debeatsman im drei Autostunden entfernten Mossman, einem 2000 Einwohner Städtchen in Queensland. Mossman ist ein wenig die Hauptstadt des Zuckerrohrs und daher nicht ganz das Ende der Welt, aber einen Eindruck davon, wie es da sein könnte, erhält man in Mossman schon. Russel repariert in Mossman die Fahrzeuge einer Zuckerrohr-Mühle - und kennt sich aus. Ja, sagt er, es ändert sich doch schon etwas beim Einsatz von Dünger auf den Feldern.

Debeatsman: "Das geschieht natürlich eher aus ökonomischen Gründen. Der Dünger wird immer teurer, also schauen alle nach Alternativen und nutzen wenig vom teuren Dünger. Eine Alternative sind beispielsweise die Rückstände der Zuckerrohrproduktion, die wir zum Düngen nutzen."

Nicht weit entfernt von Mossman liegt Port Douglas. Hier starten die Touristenboote mit Schnorchlern und Tauchern an Bord zum Riff-Erlebnis, solange es das noch gibt.

Auf einem dieser Boote arbeitet Amy Hadcock. Sie führt die Hobby-Taucher vorsichtig an das Riff und seine Schönheiten heran – und sie erzählt auch von den Gefahren. Den Dornenkronenseestern etwa kennt auch sie aus nächster Nähe.

Hadcock: "Die sind wirklich gespenstisch, ganz in rote Fäden gehüllt. Sie sind nachtaktiv, sodass man häufig tagsüber keinen dieser Seesterne sieht. Und man will ja auch nicht in die Riffspalten greifen und dabei vielleicht noch eine Koralle abbrechen."

Amy ist nicht nur Touristenführerin, Amy ist jede Woche mit einer Liste der zu notierenden Beobachtungen am Riff unterwegs, sie notiert die Zahl der Tiere, die sie innerhalb einer Stunde sieht, sie misst die Sicht unter Wasser und so weiter - ein kleines Stück Rettung des Riffs.

Hadcock: "Das ist Teil der ganzen, wöchentlich aktualisierten Untersuchung. Wir schicken dann die Daten zur Marine Park Authority, zur Behörde, die das Riff verwaltet, dort wird dann immer der aktuelle Zustandsbericht erstellt."

Richard Partridge kommt aus den USA und er ist Taucher. Seine Tochter hat ihm den Trip zum Great Barrier Reef geschenkt. Denn hier war Richard, der erfahrene Taucher noch nie. Entsprechend gespannt sitzt Richard mit anderen Unterwasser-Fans in der Kabine, in der das Briefing stattfindet. Also die Einführung und in den Ablauf des Tauchgangs.

Partridge: "Ich hoffe, viele bunte Fische zu sehen und viele neue Erfahrungen zu machen, die ich in der Karibik, wo ich sonst immer getaucht bin, noch nicht gemacht habe."

Hiromi erscheint, der Dive Instructor. Hiromi ist Australierin, allerdings erst seit einigen Jahren. Sie stammt aus China, hat sich in die Rolle der australischen Tauchlehrerin aber schnell eingefunden.

Ja, sagt Richard, der erfahrene Taucher, er wisse natürlich von den Problemen, die es hier am Great Barrier Reef gebe.

Partridge: "Ich denke, alle Riffs auf der ganzen Welt haben Probleme mit der Korallenbleiche wegen des warmen Wassers, ich kenne solche Probleme auch aus der Karibik, aber ich bin natürlich mit den speziellen Schwierigkeiten hier nicht vertraut."

Hiromi verbreitet währenddessen gute Laune. Ja sagt sie, man werde schon ein paar schöne Fische sehen und - fest versprochen - das auch nicht nur nachher auf dem Teller beim Lunch.

Und dann geht es los - ab ins Wasser. Getaucht wird bei Quickliver von einer Unterwasserplattform aus, damit alles so angenehm wie möglich ist.

Gut 40 Minuten dauert der Tauchgang, dann ist bei den ersten die Flasche leer. Das Riffabenteuer findet in maximal 14 Metern Tiefe statt - ein sehr entspannter Tauchgang also. Richard ist hinterher jedenfalls begeistert.

Partridge: "Es war sehr gut, da waren sehr viele, farbenfrohe Korallen, mehr als ich erwartet habe. Und natürlich schöne Fische in den ganz unterschiedlichen Farbtönen. Und auch einen der Seesterne habe ich gesehen, die hier ja ein Teil des Problems sind."

Rund sechs Milliarden australische Dollar erwirtschaftet das Great Barrier Reef jedes Jahr, rechnet man zusammen, was die Touristen in Queensland ausgeben und wer alles von Ihnen lebt. Damit ist das Riff nicht unwichtiger als das Minengeschäft, dem Australien zwar seinen derzeitigen Wohlstand verdankt , das aber das Riff gefährdet, durch den Ausbau der Häfen und die zunehmende Zahl der Schiffe, die durch das Riff kreuzt - wie etwa Larissa Waters meint, Grünen-Politikerin in Queensland:

"Wir verdienen eigentlich viel Geld mit dem Riff, mit dem Tourismus, mit Fischfang, es muss also kein Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie bestehen. Es besteht ein Konflikt zwischen den Interessen der Minengesellschaften und dem notwendigen Schutz des Riffs. Das Riff muss sich genügend Herausforderungen stellen, da braucht es nun nicht auch noch den Hafenausbau, das Baggern, und den Ausbau der Schifffahrtsrouten durch das Riff zu Autobahnen."

Georgina Wood ist Campaignerin bei Greenpeace Australia. Sie erdenkt und leitet die Kampagnen, mit denen sich Greenpeace schützend vor das Great Barrier Reef stellt.

"Wenn sie in Queensland herumfragen, dann treffen sie immer mehr Menschen, die sagen, das die Dinge aus dem Gleichgewicht sind. Wir hatten lange die attraktive Rohstoffindustrie, aber jetzt unterhöhlt diese alles. Der Abbau von Kohle kann keine Perspektive mehr sein, man kann Kohle nicht ohne Klimawandel haben und der Klimawandel ist auch für das Riff hier die auf lange Sicht größte Gefahr."

Greenpeace hat sich in Sydney einen Betonkasten, fast einen Bunker als Standort ausgesucht, ganz in der Nähe des Business districts. In das Büro von Georgina kommt man nur mittels eines dunklen Lastenfahrstuhls. Klaustophobiker dürfen draußen bleiben.

Ja, sagt Georgina und stimmt darin, wenig überraschend, der Grünen Larissa Waters zu, das Riff stehe unter Druck. Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie, den viele am Riff symbolisiert sehen, sei so eindeutig aber nicht.

Wood: "Das ist eine schwierige und komplexe Geschichte. Australiens Rohstoff- und Ressourcengestützte Wirtschaft ist natürlich von den Minen abhängig. Aber gleichzeitig wird viel mit dem Tourismus verdient.

Die Erfolge der Minen treiben den australischen Dollar in die Höhe, was wiederum den Tourismus erschwert. Insgesamt bestimmen die Minen-Unternehmen die Landschaft, symbolisch die politische Landschaft und auch ganz konkret die Umwelt."

Große Hafenprojekte etwa bei Gladstone an der Küste von Queensland sind geplant und auch schon genehmigt, stündlich ist dann ein Schiff dort unterwegs und steuert durch das Riff. Solange alles gut geht, ist das kein Problem.

Aber nur, solange alles gut geht. Michael Roche ist Vorsitzender des Queensland Ressource Council, er ist eine Art Minen-Lobbyist. Natürlich geht alles gut, meint er:

"Da gibt es eine Menge Fehlinformationen. Es sind doch nur drei genehmigte Routen durch das Riff und im Riffgebiet ist immer ein Lotse, ein Experte an Bord. In den vergangenen fünf Jahren hat es einen einzigen Unfall gegeben, das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte."

Georgina Wood, die Greenpeaclerin, die Michael Roche meint, wenn er von Fehlinformationen spricht, die verbreitet werden, widerspricht.

Wood: "Wir gehen davon aus, dass es wirklich entscheidend ist, dass diese Hafenprojekte nicht zustande kommen. Wir reden von Gebieten mit Wasserschildkröten und Dugongs, den Seekühen beispielsweise, direkt daneben soll dann Kohle verladen werden. Dagegen werden wir kämpfen."

Georgina Wood kämpft dann gegen eine Investitionslawine von rund 60 Milliarden australischen Dollars an, umgerechnet knapp 50 Milliarden Euro. Das ist sehr, sehr wichtig für Queensland, sagt Michael Roche vom Ressource Council, jeder fünfte Arbeitsplatz hänge schließlich vom Minengeschäft ab:

"Jeder Job im Minengeschäft schafft drei weitere Arbeitsplätze im Umfeld. Das macht das Rohstoffgeschäft so wichtig, und die Minenarbeiter, die am Wochenende in ihre Heimatstädte fliegen, verteilen das verdiente Geld dann auch im ganzen Land."

Morgan Pratchett, der Korallenexperte aus Townsville, ist anderer Meinung. Die Jobs seien natürlich wichtig, meint er, aber die geradezu dramatische Zunahme des Schiffsverkehrs stelle eine zu große Gefahr dar.

Pratchett: "Das Problem ist die Aussicht, dass es in den kommenden Jahren eine wachsende Hafen-Infrastruktur an der Küste Queensland geben wird. Die Zahl der Schiffe, die durch das Great Barrier Reef fahren, soll sich, so die Annahme, bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Und damit nimmt das Risiko von Schiffsunfällen zu und ganz allgemein die Lärmbelästigung für viele sehr empfindliche Korallenfische."

Allein der Aufbau der Häfen, das Ausbaggern wird dem Riff massiv schaden. Sagt Pratchett:

"Es wird eine Menge Störungen geben, das Riff wird stark unter Druck kommen. Wenn alles wie geplant stattfindet, dann können wir bald Good Bye zu einem weiteren großen Teils des Riff sagen."

Das Great Barrier Reef - alle in Australien beteuern, es zu lieben und zu schätzen - die Zukunft dieses unvergleichlichen Stücks Natur jedoch ist weiter unsicher, und wird es wohl noch lange bleiben. Wegen der neuen Häfen, der Stürme, am Ende allein schon wegen des Dornenkronen-Seesterns.
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